Dass drei Generationen gleichzeitig lebten, trat als Regelfall erst spät in der Menschheitsgeschichte auf – zusammen mit moderner Kultur vor rund 30.000 Jahren.
Aus: Spektrum der Wissenschaft, April 2012
Neandertaler wurden nur selten über 30 Jahre alt. Ähnlich der frühe moderne Mensch: Fossilien sprechen für ein sehr junges Sterbealter bei den meisten Erwachsenen. Erst vor rund 30000 Jahren, als sich der Homo sapiens in Europa verbreitete, erreichte ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung ein höheres Alter.
Das entdeckte die amerikanische Paläoanthropologin Rachel Caspari, Professorin an der Central Michigan University in Mount Pleasant. Sie hat das übliche Sterbealter in verschiedenen Menschengruppen anhand von Gebiss- und Zahnfossilien ermittelt. Die Abnutzung der Backenzähne erlaubt dazu recht präzise Aussagen.
In der April-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" beschreibt sie, wie sie bei diesen Analysen auf die Großeltern stieß: Erwachsen und somit fortpflanzungsfähig wurde man früher mit rund 15 Jahren – nämlich wenn der dritte hintere Backenzahn erschien, unser Weisheitszahn. Um noch Enkel zu erleben, musste man demnach mindestens doppelt so alt werden. Bei den Neandertalern kamen auf zehn Erwachsene, die ein Alter von 30 Jahren nicht erreichten, nur vier potenzielle Großeltern. Bei modernen Europäern der ausgehenden Altsteinzeit, dem Jungpaläolithikum, waren es dagegen 20, also eine völlig umgekehrte Gewichtung.
Caspari setzt diese Revolution der Altersstruktur zu dem Kultursprung in Beziehung, der damals in Europa auftrat. An den frühen Bevölkerungen des Nahen Ostens, wo einst Neandertaler und moderne Menschen teils nebeneinander lebten, kann die Forscherin zeigen, dass es nicht genetische Gründe waren, die den Homo sapiens in Europa plötzlich so viel älter werden ließen. Denn im Nahen Osten benutzte er noch nicht die fortschrittlichen Technologien für Werkzeuge und fiel auch nicht sonderlich mit Kunstwerken auf.
Das änderte sich schlagartig, als der moderne Mensch nach Europa kam. Caspari vermutet, dass er sein kulturelles Potenzial erst jetzt entfalten konnte. Wodurch das Lebensalter nun so deutlich anstieg, ob etwa wegen verstärkter gegenseitiger Hilfeleistungen, ist nicht geklärt. Trieben Lebensdauer und kulturelle Neuerungen sich gegenseitig an?
Die Anthropologin argumentiert, die älteren Menschen hätten mit ihrer Lebenserfahrung und ihren Kenntnissen Wissenserwerb, Traditionen und den Zusammenhalt gefördert. Sie halfen auch den Jüngeren bei der Kinderaufzucht. Die Populationen wuchsen – was wiederum nach Erkenntnis von Forschern der Kultur nützt. Die Neandertaler konnten mit nichts davon mithalten und gingen unter.