Angelika Stucke war dem Rezensenten bis dato nur als Autorin exzellent erzählter und höchst vergnüglich zu lesender Krimikomödien ein Begriff. Nun hat sie ein schmales Bändchen mit 51 Schnurren von/über ihrem/n Zwergdackel “Alfred vom Hexenkessel” vorgelegt.
Und wieder überrascht Angelika Stucke angenehm, denn hierin geht es nicht um die ansonsten üblichen heiteren Tiergeschichten, sondern auch um ein gerüttelt Maß an Kirchen- und Religionskritik. Dazu dazu dann unten mehr.
Zunächst geht es “nur” um die Sicht der Welt aus der Perspektive eines (natürlich kurzbeinigen) Dackels. Dieser stellt immer wieder fest, dass Menschen ja so was von merkwürdig sind. Die erste, und titelgebende, Schnurre bietet dafür bereits ein sehr beredtes Beispiel an: “…Neulich morgen habe ich auf der Straße einen plattgefahrenen Maulwurf entdeckt. Ganz frisch! Super Note! Habe mich also gleich drauf geschmissen und der Länge nach drin gewälzt, ist ja vom Feinsten dieser Duft. Überhaupt nicht mit toter Maus zu vergleichen! Und so selten zu finden!” (S. 1)
Doch sein Frauchen reagierte wider Erwarten völlig anders als Alfreds Mithunde… Statt ihn zu beneiden, steckte sie ihn ohne Erbarmen in die Badewanne, schrubbte und parfümierte ihren Liebling… Und nun roch er einfach nur noch ekelhaft nach Veilchen: “Menschen sind echt merkwürdig! Dabei strotzt die Natur doch nur so vor wohlriechenden Düften. Ich denke da an dampfende Kuhfladen, frische Pferdeäpfel oder eben - die Krönung der Gerüche! - Eau de Tope (Maulwurfwasser)!” (S. 2)
Aber nicht nur in Bezug auf Düfte oder wohlschmeckende Speisen unterscheiden sich Mensch und Tier. Nein, auch in Bezug auf die Kommunikation oder die Manieren untereinander. Während sich Hunde – oder auch Katzen – stets eindeutig ausdrücken, widersprechen sich beim Menschen verbale und Körpersprache sehr oft und das meist drastisch. Oder in Bezug auf die Frage, was Glück ist. Und dann diese Namensgebungen füreinander, da gibt es meist keine eindeutige Bezeichnung. Mal ist man Alfred, mal Schätzchen, mal dieses, mal jenes. Und auch ihren Mitmenschen geben Menschen mal diesen, mal jenen drolligen Namen, dabei handelt es sich doch auch hier immer nur um ein- und dieselbe Person. Und dann erst all diese komischen Sitten zu sogenannten Feiertagen, egal ob Advent, Weihnachten, Silvester, Valentinstag oder am primitivsten zum Eiersonntag. Wie kann man nur so blöd sein, zu glauben, dass ausgerechnet ein Hase da Eier legt und das ganze auch nur ein einziges Mal im Jahr. Alfred lässt sich auch übers Reisen aus oder übers “Shopping”, übers Fernsehen oder gewisse “Contests”. Oder über das Thema, wer erzieht eigentlich wen? Der Mensch sein Haustier oder dieses sein “Frauchen” bzw. “Herrchen”?
Alles ist für ihn trotz aller natürlicher Bildung mehr oder weniger unverständlich, und aus Alfreds Sicht auch unsinnig oder unnötig. Insofern geht es in diesem Büchlein nicht nur um Menschliches oder Allzumenschliches aus fiktiver Tiersicht. Nein, Angelika Stucke hält damit ihren Mitmenschen, eigentlich uns allen, den Spiegel vors Gesicht. Das regt nicht nur wieder und wieder zum Schmunzeln an, sondern nicht minder zu Nachdenklichkeit über unser nur kurzes Leben.
Überraschend dürfte für den Leser aber sein, dass Angelika Stucke Betrachtungen über Glauben, christliche Religion und Kirchen hier nicht ausklammert. Es sind sogar mehrere Schnurren, die sich diesem Komplex dezidert zuwenden. Aus einer der deutlichsten soll an dieser Stelle zitiert werden: “Glaubensfrage - Gestern hatte ich viel Zeit zum Philosophieren, weil Frauchen mal wieder den Wischlappen durchs ganze Haus schwank. (…) So konnte ich meinen eigenen, tiefschürfenden Gedanken nachhängen, die ich euch nicht vorenthalten möchte.
Wer mein Buch bis hierher gelesen hat, weiß ja bereits, dass wir Hunde an den lieben Dog glauben. Für alle, die mein Buch gleich mit diesem Beitrag begonnen haben, hier eine ebenso kurze wie tadellose Beweisführung dafür, dass Gott ein Hund sein muss: Wie schreibt sich Hund auf Englisch? DOG! Und wie liest sich das von hinten, also von der weitaus interessanteren Seite aus betrachtet? GOD! Was ja nichts anderes als Gott auf Englisch bedeutet. Gott ist also ein Hund. Darüber sind sich auch alle Hunde einig.
Nun kommt es aber immer mal wieder zu harten Auseinandersetzungen zwischen uns Hunden darüber, ob der liebe Dog nun ein Pudel, ein Pischer oder ein Pekinese sei. Es gibt auch Fraktionen, die sehen den lieben Dog als Rottweiler, als Dobermann oder als Chihuahua. Ich persönlich bin ja mittlerweile zu der Ansicht gelangt, der liebe Dog müsse ein Schäferhund sein, von wegen guter Hirte und so.”
Andere Hunde von seiner ureigensten Überzeugung überzeugen zu wollen, käme ihm jedoch nie in den Sinn. “Wozu auch? Sind wir uns doch im Prinzip (god ist gleich dog) alle einig.
Nun gibt es aber auch strenggläubige Hunde, die sich zum Missionieren berufen fühlen. Stell dir vor, dein Weg kreuzt sich beim Gassigehen mit dem eines Hundes, den du noch nie zuvor gesehen hast, und der, kaum dass er dein Hinterteil beschnüffelt hat (was ja ein freundliches ‘Guten Tag’ in der Sprache der Caniden bedeutet), ‘Der liebe Dog ist ein Dackel!’ sagt.
Obwohl du vielleicht selbst ein Dackel bist, sträuben sich dir dann doch die Nackenhaare, weil du ja daran glaubst, daß der liebe Dog ein deutscher Schäferhund ist.
Tja, und so kommt es dann immer wieder zu völlig unnötigen Auseinandersetzungen…” (S. 111/112)
Und dann erst dieser Heiligen- oder Märtyrerkult, das Anbeten von Knochen… Wobei, Hunde wissen mit Knochen besseres anzufangen. Aber, Alfred philosophiert gerne und hat auch von Mathematik etwas Ahnung: Wenn man z.B. all die Köpfe und Knochen des Heiligen Valentin zusammensetzen würde, die in mehreren Kirchen ausgestellt sind, dann müsste besagter Valentin ja ein biologisch-anatomisches Wunder gewesen sein!
Köstlich zu lesen ist auch die sogenannte Weihnachtsgeschichte, die immer falsch erzählt werde. Alfred macht den Leser deshalb mit der einzig wahren und historisch verbürgten Begebenheit vertraut. Dies gilt auch für das neu- und damit richtig erzählte Gedicht “Knecht Alfred”, das so heißt und nicht “Knecht Rupprecht” (“Von drauß vom Wald komm ich her…”).
Alles in allem stellen diese 140 Seiten ein überaus kurzweiliges und zugleich geistreiches Lesevergnügen dar. Und vielleicht machen ja sogar die hier besonders hervorgehobenen Texte den besonderen Wert dieses Bändchens aus: Denn auch so kann Religions- und Kirchenkritik betrieben werden, heiter, ironisch, nachdenklich stimmend durch die Verfremdungen und damit vielleicht sogar ansprechender als hochwissenschaftliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema.
Danke, Angelika Stucke! Der Rezensent daher empfiehlt Dackel Alfreds Philosophiererei über “Dog und die Welt” gerne weiter.
Alfred vom Hexenkessel (Angelika Stucke): Eau de Tope – Maulwurfwasser. 140 S. brosch. CreateSpace Independent Publishing Platform. Leipzig 2015. 7,48 Euro. ISBN 978–1507647363
[Erstveröffentlichungen hpd und Freigeist Weimar]