Ich liebe es, Menschen zu belauschen. Gebe ich zu. Wahrscheinlich ist es vollkommen unmoralisch, und trotzdem lerne ich so viel über Menschen… na gut, zugegeben, eigentlich bin ich nur schrecklich neugierig. Also lausche ich – unauffällig natürlich. So wie heute. Ich sitze im Café Pauline in Hamburg auf einem alten restaurierten Stuhl mit Federkernkissen und linse vorsichtig über den Rand meines Laptops. Neben mir eine extra starke Latte Macchiato und ein extra gesunder Karotte-Orange-Ingwer-Saft. Ich fühl mich gut, irgendwie mondän und unabhängig wie ich hier so sitze; am helllichten Tag in einer fremden Stadt in einem angesagten Café. Ich trage meinen crèmefarbenen Pulli mit eingenähten Pailetten, der macht, dass ich bei Sonneneinstrahlung aussehe wie eine kurvige Discokugel. Dazu die zerschlissene Jeans und die Winterboots. Irgendwie fühle ich mich modisch, denn ich denke, „stylemixing“ ist gerade bestimmt total angesagt.
Mir gegenüber am Tisch sitzt nach meiner Beobachtung die Oberschicht Hamburgs. Eine Dame, schätzungsweise Mitte 50, gut gekleidet mit drei Endzwanzigern, davon ein Pärchen und ein Single-Mann. Für mich erfüllen sie genau jetzt in diesem Moment alle Klischees, die ich mir so zurechtgelegt habe. Sie tragen Perlenohrringe und teure Cashmere Pullis, die Jacken mit echtem Pelzbesatz locker über die Stuhllehnen geworfen. Sie essen das Schlemmerfrühstück auf großen Etageren, trinken Champagner und unterhalten sich. Über alles. Sie kennen sich mit allem aus, haben über alles eine Meinung. Ich liebe es.
Der Single-Typ
Das erste Thema eröffnet der Single-Typ. Er findet einfach keine Freundin für sich. Er hatte da mal eine, nur irgendwie hat die ihn geistig so gebremst. Jetzt sucht er halt einfach eine spontane Frau, und vor allem eine, sagt er, die auch das nötige Kleingeld verfügbar hat, sich jeder zeit spontan überall treffen zu können. Es sei einfach so ätzend, und ich kann das gut nachvollziehen, wenn er mal spontan nach Paris zum Abendessen fliegen will, und sie hat schon wieder keine Kohle um sich anzuschließen. Er würde sie dann natürlich schon einladen, allerdings habe er das Gefühl, sie sei regelrecht stolz darauf gewesen, dass er so unglaublich großzügig war, und das hat ihn irgendwann gelangweilt. Auch habe er sich schon mal überlegt, eine deutsche Schauspielerin Bianca Irgendwas zu daten, allerdings würde die immer so viel blinzeln. Ist also auch nix. Dass Beziehungen zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten einfach nicht funktionieren können hat er schnell gemerkt. Seiner Verflossenen, die ihn ermahnte, er könne ruhig etwas mehr Dankbarkeit zeigen dafür, dass sein Vater ihm ein Auto schenkte, denn sie würde so etwas niemals bekommen, machte er einfühlsam klar, dass sie dies von ihrem alkoholkranken Schlosservater auch niemals erwarten könne, und jeder haben eben eine andere Selbstverständlichkeit im Leben. Ich frage mich ernsthaft, wie eine Frau sein muss, die diesem Mann gegenübersteht, ihm zuhört, und ihr Herz beginnt, schneller zu schlagen – und das vor Liebe und nicht vor Hass.
Die Dame
Die ältere Dame verabschiedet sich. Sie fährt mit dem Taxi. Muss noch bei MaxMara was abholen. Ich habe rausgefunden, wie sie in das Gefüge passt. Erst dachte ich, sie wäre die Mutter von irgendwem. Ist sie nicht. Sie wohnt in einem Schloss, oder wohnte… Und auch wenn man es sich nicht vorstellen kann, so ganz alleine in einem 18-Zimmer Schloss mit angrenzendem Pferdestall und Wellnessbereich kann Frau sich schon verdammt einsam fühlen. Dazu Ehedramen, hin und her und jetzt studiert sie wieder. Mit den anderen dreien. Angehört hat es sich ein bisschen nach Medizin, könnte aber auch Kunstgeschichte sein. Die Dame scheint gleichermaßen Mutterersatz und Psychologin für die drei Jungspunde zu sein. Sie berät den Single in seiner Vorgehensweise mit Frauen (an dieser Stelle hätte ich mich gerne kurz eingemischt), das Perlenmädchen darin, wie sie am besten mit dem Vater ihres Freundes umgehen soll und stellt mal rein interessehalber ein paar Fragen zu tiefschürfenden Themen in die Runde. Wie einsam kann ein großes Vermögen machen? Wann darfst du selbst auch mal vorne anstehen, und nicht immer die anderen? Ist es ethisch tragbar, sich von einer Thailänderin massieren zu lassen? Solche Sachen eben. Sie ist ohne Zweifel ziemlich reich, allerdings nicht so Schickeria reich, mehr so mondän reich. Sie ist keine Carmen Geiss. Mehr so die Tochter aus gutem Hause, die den Sohn aus gutem Hause geheiratet hat. Beide sicherlich tolle, einflussreiche Jobs mit sozialer Verantwortung. Understatement. Bestimmt Rotarier. Luxusprobleme. Ich wette sie fährt einen Range Rover, und das… DAS macht mich wirklich neidisch. Ich wäre auch gerne so eine Range Rover-Frau. Für mich vermittelt das so ein Gefühl von „Ich bin superreich und habe zu Hause einen Koch und einen Personal Trainer und einen riesigen begehbaren Kleiderschrank, aber trotzdem bin ich total auf dem Boden geblieben, reite in meiner Freizeit durch den Dreck, kümmere mich um mein Waldstück und erlaube meinen Kindern nicht, die neuste, superteure Technik von Apple zu haben weil ich sie zur Bescheidenheit erziehen will“. Seufz. Manchmal habe ich das Bedürfnis, diese Menschen, zu denen ich mir so eine Geschichte überlege mal anzusprechen und sie zu fragen, wie ihr Leben tatsächlich aussieht. In diesem fall mache ich es nicht. Nicht, dass sich der Single Typ noch in mich verliebt.
Das Perlenmädchen und… er
Das Perlenmädchen ist eben ein Perlenmädchen. Sie ist nicht sicher, was sie eigentlich wirklich studieren soll, denn sie interessiert sich ja für so unglaublich viel. Kunstgeschichte, Politik, Medizin, Jura,… wie soll man sich da auch entscheiden? Ich glaube, sie ist froh, dass ihr Freund, der schon seit einer Stunde neben ihr sitzt und nichts sagt, genau so ist wie er eben ist. Ab und zu nickt er. Das Perlenmädchen redet und redet und redet. Am liebsten darüber, wie ungern sie bei ihrem zukünftigen Schwiegervater ist, denn der redet pausenlos nur von sich selbst und die Themen der anderen interessieren ihn nicht. Der Freund nickt stumm. Ich bin erstaunt, wie sie es schafft, die unterschiedlichsten Themen nahtlos aneinander zu reihen, und so in 10 Minuten ununterbrochener Redezeit 27 Themenbereiche abhandelt. Auch das Perlenmädchen mag Psychologie, und so gibt sie ihrem Liebsten abschließend noch den Rat, doch auch mal sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Er habe ja schließlich auch Bedürfnisse wie jeder andere und wolle gesehen werden. Er nickt wieder stumm. Ich stelle mir vor, die er langsam aufsteht, sie an Kragen und Hosenbund packt und sie in hohem Bogen aus dem Fenster wirft. Danach reibt er sich zufrieden die Hände, setzt sich, nimmt einen großen Schluck von seinem Minze-Ingwer-Limettenwasser, lehnt sich zurück und grinst zufrieden.
Stattdessen stehen alle auf. Und gehen. Och nö!! Vor lauter Belauschen vergesse ich vollkommen, meinen Kaffee auszutrinken. Was soll’s. Kalter Kaffee macht bekanntlich schön. Das junge Pärchen neben mir streitet sich darüber, wie falsch er das Baby hält – heute. Und wie er den Schnuller vollkommen falsch reingesteckt hat – heute. Und darüber, dass er sein Bio-Apple-Cinnamon-Porridge so laut isst – heute. Ich nehme an sie menstruiert. Das verdirbt mir die Laune. Schnell weg hier!
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