Memory Wall – Anthony Doerr

Memory Wall – Anthony Doerr„Das Leben einer alten Frau wird zum Leben eines jungen Mannes. Der Erinnerungsbeobachter wird zum Erinnerungsbewacher."

Während ich größtenteils begeistert von Anthony Doerrs Roman Alles Licht, das wir nicht sehen war, für den er sogar mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, muss ich nun umso enttäuschter auf seine Novelle Memory Wall zurückblicken. Dabei steckt so viel in der Geschichte, die Idee dahinter ist gut.

Doerr thematisiert auf verschiedenen Ebenen Erinnerungen. Da gibt es die demente Alma, der ihre Erinnerungen unaufhaltsam abhandenkommen. Dann gibt ihren Arzt Dr. Amnesty, der ihr mit einer womöglich zukunftsweisenden Methode dazu verhilft, ihre Erinnerungen zu behalten. Auf Kassetten werden diese gespeichert, ohne Zusammenhang in kurzen Episoden, so, wie Erinnerungen nun einmal sind. In Almas Schädeldecke werden vier Ports implantiert, mit denen sie immer und immer wieder ihre Erinnerungen durchgehen kann.

„Erinnere dich oft genug [...]. Vielleicht verselbstständigt sich die Erinnerung dann. Vielleicht erneuert sie sich." (S. 100)

Weiter gibt es Almas Ehemann Harold, der mit Beginn seiner Rente versessen auf Fossilen ist, Dinge, die an eine jahrtausendweite Vergangenheit erinnern. Luvo hingegen kann sich nach der misslungenen Operation an nichts mehr erinnern, wird von Roger aufgenommen, der hinter Harolds Fossilien um des großen Geldes Willen hinterher ist. Dafür steigen sie jede Nacht in Almas Haus und bedienen sich ihrer Erinnerungen, um dem Ort einer besonders wertvollen und seltenen Fossile auf die Schliche zu kommen. Zuletzt gibt es noch den Hausdiener Pheko, der einen kranken Sohn hat. Welche Rolle spielt er nochmal? Ja, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.

Erinnerungen beeinflussen viele Schicksale im Roman, allein schon durch den Versuch, an sie heranzukommen. Eindrücklich schildert Doerr, wie sich ein Leben verändert, wenn Erinnerungen verblassen, wenn man irgendwann nicht einmal mehr weiß, wie man essen kann. Dennoch bleibt es durchweg unmöglich, die Figuren und ihre Beweggründe zu verstehen. Vor allem durch das Umschwenken des Fokus' von Alma auf die Nebenfigur Luvo verliert die Novelle ungeheuer an Fahrt. Gleichzeitig versucht Doerr in das Büchlein mit den sehr kurzen Kapitel gesellschaftliche Probleme in Kapstadt zu pressen. Sogar Doerrs Sprache ist zu viel des Guten. Während sie in Alles Licht, das wir nicht sehen poetisch und gefühlvoll war, wirkt sie hier zum Teil übertrieben und unpassend.

Memory Wall von Anthony Doerr hat durchaus Potential, das Thema der Erinnerung, wer wir mit und ohne sie sind, und was aus uns wird, wenn wir ihrer beraubt werden, stößt zum Nachdenken an. In der Form konnte die Geschichte jedoch nicht überzeugen.

Anthony Doerr: Memory Wall. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. C.H. Beck. Februar 2016. 135 Seiten. 14,95 Euro.


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