Unser letzter Tag begann natürlich mit Wehmut. Wir würden eine Welt aus Grün und Blau verlassen, die Wellen, den Wind und die köstliche Stille rund um unsere Ferienwohnung am Atlantik in der Nähe von Nazaré.
Von solch einer Aussicht fällt der Abschied schwer
Zurück nach Porto fahren, nochmal schlafen, die Kompliziertheiten der Mietwagenfirma ertragen und am nächsten frühen Morgen schon … ach ja, quasi widerstandslos einer großen, hektisch-urbanen Atlantikferne entgegen fliegen.
Die undurchsichtige Verkehrsführung, in lastwagenbefahrenen konzentrischen Kreisen rund um Porto, machte mich schon ganz wuschig. Der Urlaub geht zu Ende, wenn der Schmerz beginnt, um sich sogleich lindernd in Sehnsucht zu verwandeln. Dies ist vielleicht eine Strategie, die dem portugiesischen Lebensgefühl noch nahe ist… Und unsere letzte Station barg all dies in sich, die Schärfe und die Weichheit, verwirrende Mischung.
Auf dem Buchungsportal, das jeder kennt, wird die casa velha für den „Strandurlaub“ empfohlen. Erstaunlich genug fand ich das schon bei Buchung. Wer bucht in einem Land mit fast 1.800 Kilometern Küstenlänge seinen Strandurlaub ausgerechnet am Rande einer Großstadt – aber weit genug weg von allen Sehenswürdigkeiten Portos – in Flughafennähe? Wer sitzt in diesen Marketingabteilungen und reimt sich Dinge zusammen, die heraus zu fordern scheinen, dass die Abteilung Beschwerdemanagement nicht arbeitslos wird?
Dass der casa velha solche Bewerbung nicht um die Ohren fliegt, liegt am Ende vielleicht daran, dass Portugal so verblüffend ist, dass man vieles verzeiht. Namentlich aber sicher am Besitzer des Hauses, der die uns schon bekannte portuensische Gastfreundschaft so über alle Maßen auslebt, dass man erst recht alles verzeiht. (Nein, kein Schreibfehler: Die Portugiesen sind generell durchaus gastfreundlich, in und um Porto, so scheint mir, wird aber noch eine Scheibe drauf gelegt).
Und ich kann die Skurrilität durchaus auch andersrum liebgewinnen. Immerhin gibt es ein Meer, immer noch das gleiche, das wir am Morgen verließen und wiedergefunden haben, auch hier. Immerhin treffen wir auf eine Stimmung des Müßiggangs: Kinder auf Fahrrädern, langsame Jogger, Sonnenanbeter auf Strandlaken … und dann noch der Mann mit dem wettergegerbten Gesicht, der seine hundertste Runde über den Parkplatz dreht und dabei zunächst fast verdächtig wirkt. Dabei ist es wohl nur der bedauernswerte Obstverkäufer vom verwaisten Stand, da kein Käufer im weiten Umkreis in Sicht ist.
Das Hotelzimmer ist so klein, dass man sich darin kaum umdrehen kann, das Wasser ist gerade straßenzügeweit abgestellt. Aber der freundliche Besitzer, der immer wieder mit verzweifeltem Blick seine lückenhaften Englischkenntnisse beklagt, dennoch alles versteht und in eine wunderbare Mischsprache mit französischen Brocken und redenden Händen verfällt, fährt uns nun abends schon hinterher zum Flughafen, wo wir den Mietwagen loswerden – und wird uns in der Frühe des nächsten Morgens auch rechtzeitig zum Flieger bringen. Er wird dafür kein Geld nehmen, das ich ihm versuche zu geben – und ich bin ein wenig beruhigt, dass ich später in den Bewertungen anderer lese, dass es ihnen genauso ging. Denn noch mehr hätte ich eigentlich nicht insistieren, wohl aber vielleicht heimlich einen Schein im Auto liegen lassen können. Ich phantasieloses, geiziges Geschöpf?!
Arbeiterhäuser in der Nachbarschaft der casa velha
Auch diesen Charme findet man in der Nachbarschaft
Die casa velha ist ein klassisches Hotel für eine Nacht, am strategisch richtigen Ort und mit jenen persönlichen Wohltaten en masse, die Menschen im Übergang, ankommend oder im Abschied begriffen, umsteigend zwischen den Welten, so gut gebrauchen können. Hier wird geholfen und man wird weiter gereicht zum nächsten Streckenabschnitt. Und das gilt nun gar nicht nur für Reisende mit Mietwagen wie uns. Die casa velha füllt sich im Laufe des Abends immer mehr mit Menschen und Stimmen, der Besitzer hat alle Hände voll zu tun, seine Hände zum sprechen zu bringen. Die casa velha – so stellt sich heraus – liegt auch am portugiesischen Jakobsweg, hier beginnt oder endet er, je nachdem, für alle, die von Porto aus ins nördliche Galizien pilgern.
Einen lernen wir kennen, im Restaurante Veleiros gleich nebenan – hierher bugsiert der Hotelwirt recht energisch die Gäste zum Abendessen, ob es an der auf Pulpo spezialisierten guten Küche oder einer zusätzlichen „Verbundenheit“ liegt, wer weiß. Hier lernen wir also einen anderen Gast kennen, der erfolgreich und ohne nennenswerte Blessuren den Jakobsweg gegangen ist, aber viel Trost aufgrund seiner erklecklichen Flugangst braucht. Am nächsten Tag nach Landung wird der den Daumen hochrecken im Hunsrück, sichtlich erleichtert.
Lichter, baby!
Angemessen, noch mal frischen Pulpo zu essen, draußen einen Sonnenuntergang am Meer zu sehen. Dann im Dunkeln, erleuchtet nur von den Lichtern der Straße und der Raffinerie trinken wir aus der Flasche den vinho verde, der tatsächlich in der Ferienwohnung nicht mehr geleert werden konnte. Pragmatisch, sentimental und ein wenig dekadent. Denn das war´s dann. Und die casa velha der geeignete Ort für den Übergang, fürwahr und obrigado!