Meinungsfreiheit

Sarrazin und die SPD (Teil II)

Als in der DDR sozialisierter Bürger habe ich unter Meinungsfreiheit immer verstanden, dass man in einem Land, wo diese herrscht, für politisch relevante Äußerungen, nicht mit staatlichen Repressionen zu rechnen hat. Die DDR verfügte über eine ganze, fast alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens berührende Palette von Disziplinierungsmaßnahmen. Vom vertrauensvollen Gespräch über zur Farce verkommene „Kritik und Selbstkritik“, Relegationen, Versetzung auf andere Arbeitsplätze und Ausbürgerung bis hin zu langjährigen Haftstrafen. Von der Wiege bis zur Bahre schwebte über den Häuptern der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ die Gefahr des falschen Wortes zur falschen Zeit am falschen Ort. Das alles war freilich stark differenziert. Die Maßstäbe waren in vieler Hinsicht verschieden, sozusagen individualisiert und vom jeweiligen  Individuum instinktiv verinnerlicht. Und es gab Strategien, damit umzugehen. Und es gab Freiheitsgrade, die der Einzelne sich „erobern“ konnte, und es gab andererseits von den meisten, selbst den demonstrativ Ausreisewilligen, anerkannte Grenzen.

Das alles gibt es nicht in der Bundesrepublik, wo Meinungsfreiheit durch das Grundgesetz verbürgt ist!

Indessen scheint mir in gegenwärtigen Diskussionen die Inanspruchnahme dieser „Meinungsfreiheit“ stark überdehnt. So wird das Verfassungsrecht von Sarrazin und seinen Fans in Anspruch genommen und so argumentiert, als könne man hierzulande, in welcher Position und unter welchen Umständen auch immer, ohne die geringsten persönlichen Konsequenzen, verantwortungslos über jedes Thema schwadronieren.

Nun stelle man sich aber vor, der Vorsitzende eines Philatelistenvereins ginge in die Medien mit dem Statement, Briefmarkensammeln sei eine hirnrissige Tätigkeit. Oder eine Mitarbeiterin der Deutschen Bank schriebe im „Handelsblatt“, 25 Prozent Eigenkapitalrendite vor Steuern sei Wahnsinn, und die „Deutsche Bank“ solle vernünftigerweise verstaatlicht werden. Oder der Umweltminister revidierte seine Meinung und setzte sich für die Abschaltung aller Kernkraftwerke ein. Meint wirklich einer, da würde die Berufung auf „Meinungsfreiheit“ vor den entsprechenden Konsequenzen schützen, die jedem sofort unwillkürlich vor Augen stehen?

Die Bundesbank hat Sarrazin für sein Entlassungsgesuch bezahlt. Der SPD ist solcher Weg aus der Falle nicht beschieden. Klar ist, dass Sarrazin die Grenze des Erträglichen für die Partei überschritten hat. Viele seiner Äußerungen sind ein Hohn auf die noch gültigen Grundwerte dieser Partei. Aber wer ist diese Partei? Wer ist noch, nach jahrelangem Aderlass, in dieser Partei? So mag sich Gabriel, ähnlich wie der Bundespräsident, die Augen gerieben haben, als er massiv mit Meinungsäußerungen von zu vielen Genossinnen und Genossen (wie viele weiß keiner so recht) konfrontiert wurde aus einer Ecke, die sich als Mitte entpuppte. Eine Partei ist nun aber kein Marktplatz.  Sie repräsentiert als „Partei“ mitnichten das Ganze, wenn sie auch das Ganze im Blick haben sollte. Eine linke Volkspartei hat, bei Strafe ihres Untergangs, das Recht und die Pflicht, sich von dem abzugrenzen und das auszuschließen, was ihr nicht entspricht, was ihr und denen schadet, für die sie angetreten ist. Mit einer beschworenen Gefahr für die Meinungsfreiheit in diesem Lande hat das alles nichts zu tun. Jede Partei hat ihre Sarrazine und Steinbäche. Der Ausgang des Parteiausschlussverfahrens ist nur deshalb für die Leitmedien so spannend, weil er, wie auch immer, über die SPD mehr aussagen wird, als ihrer Führung derzeit lieb ist.


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