Meinung am Sonntag | Mad world

Ich muss jetzt ausnahmsweise mal ein wenig politisch werden, auch wenn das hier bislang nicht oft passiert ist. Aber der aktuelle Anlass bietet sich an, um ein wenig Senf im Internet zu verteilen. Daraus wird jetzt eine wöchentliche “Kolumne” entstehen, in der ich – mal mehr, mal weniger politisch – aktuelle Geschehnisse kommentiere.

In diesen Tagen wird wieder klar: Die Menschheit ist schon längst auf dem Gipfel des Wahnsinns angekommen. In einer Zeit, in der sich gefühlte 70% der Erde in Kriegen und/oder Armut befinden, in der bewusst Zivilflugzeuge abgeschossen werden und sich Menschen bis aufs Blut bekämpfen, weil sie das Existenzrecht des anderen einfach nicht akzeptieren wollen, was soll da nur aus uns werden?

Während der aktuelle asymmetrische Krieg im Gaza-Streifen mal wieder auf grausamste Weise das Kräfteungleichgewicht der Parteien deutlich macht befindet sich der unbeteiligte Ottonormal-Mitteleuropäer in einem Gewissenskonflikt: Soll man Partei ergreifen? Für wen?

Man findet in den Sozialen Netzwerken wie Twitter mittlerweile Bilder von durch israelische Luftangriffe verstümmelten palästinensischen Kinderleichen (ich erspare Euch den Link zu den Bildern, aber der Guardian hat sich dem Thema in einem Kommentar ebenfalls angenommen), deren Echtheit besonders von der Gegenseite angezweifelt wird. Angeblich stammen viele der Bilder, die wir im Fernsehen als aktuelles Material aus dem Nahen Osten vorgesetzt bekommen, in Wahrheit aus dem Syrienkonflikt. Von einem in Berlin lebenden Israeliten hörte ich indes die Behauptung, die Hamas befehle Familien und vor allem Kindern, sich auf die Dächer ihrer Häuser zu begeben, um als menschliche Schutzschilde zu dienen. Und er sagte mir – vermutlich richtigerweise – dass man über Dinge wie dieses grauenhafte Vorgehen natürlich nichts aus den westlichen Medien erfahre. Anders herum fragt man sich unter anderem, warum Israel ein UN-Gebäude (!) beschießt und dabei noch mehr Frauen und Kinder tötet. Und auch, ob Israel nicht lieber wahre Größe zeigen sollte, indem es nicht als vergeltungssüchtiger Aggressor agieren, sondern den Palästinensern als fortschrittlicher Friedensvordenker die Hand reichen könnte.

Also noch einmal die Fragen: Wem soll man hier glauben? Und vor allem was soll man glauben?

All das führt unweigerlich zu der Erkenntnis: Egal, welcher “Seite” man Recht gibt, man liegt immer falsch. Aus beiden Richtungen werden unmenschliche Verbrechen am jeweiligen Gegner begangen. Die eine Seite hat lediglich den Vorteil, nach den USA die schlagkräftigste und am besten ausgestattete Armee der Erde zu besitzen. Die andere hat überhaupt nichts dergleichen. Und ist im Endeffekt der Wut Israels erst einmal völlig ausgeliefert.

Ohne die Meldungen der Tageszeitungen rezitieren oder auf die Entstehungsgeschichte des Nahost-Konflikts eingehen zu wollen, es hat sich gezeigt, dass besonders die “Pro-Gaza”-Meinung oft gleichgesetzt wird mit einer “Anti-Israel”-Einstellung. Die Antisemitismus-Keule mal wieder. Getreu dem Motto “bist du nicht für uns, dann bist du gegen uns”. Zugegeben, was da in Frankreich momentan passiert, das erinnert in Teilen schon ein wenig an die Judenhetze im 3. Reich. Aber kann man nicht einfach beide Konfliktparteien, in aller Deutlichkeit gesagt, scheisse finden? Tatsache ist, dass es in Kriegen nur Verlierer gibt. Und eine weitere Tatsache ist, dass ein wesentlicher – wenn nicht der entscheidende – Antrieb des seit Generationen anhaltenden Hasses die Religionen sind. Religionen, welche ursprünglich mal den Menschen helfen, sie bereichern und harmonisieren sollten. Doch wie so oft in der Geschichte sind sie auch hier zum Ursprung allen Übels geworden. Zudem scheint der Radikalisierungsgrad in vielen Glaubensrichtungen seit dem 11. September zuzunehmen.

Es wäre so schön, wenn die Menschen im Nahen Osten und überall dort, wo religiöser Fanatismus den Tod von Menschen bedeutet, sich von diesem Übel befreien, oder wenigstens den gegenseitigen Respekt wiedererlangen könnten. Wenn sie sich einfach mal entspannen und darüber nachdenken würden, wohin das alles führen soll. Ob sie wirklich wollen, dass auch ihre Kinder und deren Kinder noch in ständiger Todesangst leben müssen sollen. Ob sie wirklich keinen anderen Weg sehen, ihre Zukunft zu gestalten, als durch die Auslöschung sogenannter “Feinde des Glaubens”. Und wenn all die Menschen der radikalen Hamas, der Boko Haram, der Taliban, der Westboro Baptist Church, der Kreationisten und all der anderen weltfremden Vereinigungen diese Fragen mit ja beantworten, dann sieht es wohl für uns alle düster aus. Dann müssen wir uns wohl erst zurück in die Steinzeit bomben, um am Ende festzustellen: Wir haben nur eine Erde. Wir haben nur uns. Und miteinander leben ist soviel einfacher als gegeneinander.


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