Meine Skoliose und ich

Meine Skoliose und ich

Heute möchte ich dir etwas über mich erzählen, dass nichts mit Kindern, Kinderwunsch, Schwangerschaft oder Ähnlichem zu tun hat. Etwas, das mich in meiner eigenen Kindheit lange begleitet hat und das eine große Narbe hinterlassen hat.

Ich habe Skoliose.

Unter dem Begriff Skoliose können sich die meisten nichts vorstellen, hier eine kurze Erklärung:

Bei Skoliose handelt es sich um eine Krankheit, bei der sich die Wirbelsäule unnatürlich stark krümmt. Die einzelnen Wirbel sind dabei nicht nur zu stark zur Seite geneigt, sondern zusätzlich auch rotiert. Dadurch entsteht eine doppel-S-Form bei der die einzelnen Bögen sich ausgleichen um das Gleichgewicht zu wahren. Skoliose kann über Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule festgestellt werden, bei stark ausgeprägten Skoliosen, kann man die Verformung auch von Außen erkennen. Oftmals sind die Schultern, Schulterblätter und Hüften nicht symmetrisch.

Die leichte Form der Skoliose haben Mädchen genauso häufig wie Jungen, von den stärkeren Formen sind Mädchen hingegen deutlich häufiger betroffen. Bei 90% der von Skoliose Betroffenen lässt sich nicht sagen, woher diese kommt, sie wird dann als idiopathisch bezeichnet. Behandelt wird Skoliose mit Krankengymnastik und Korsetts.

Als Maß für die Stärke eine Skoliose nimmt man den Cobb-Winkel (nach John Robert Cobb).

Mit 16 hatte ich einen Cobb-Winkel von 74°. Das ist viel (eine Krümmung von über 20° kommt gerade einmal bei 0,5% der Bevölkerung vor, wobei diese Zahl immer kleiner wird, je stärker die Krümmung).

Darum wurde mir mit 16 empfohlen mich an der Wirbelsäule operieren zu lassen. Die Ärzte sagten mir, dass ich andernfalls nicht so alt werden würde, da die Wirbelsäule irgendwann anfangen wird die inneren Organe zu verschieben und es dann schnell sein kann, dass es zu eng für das Herz oder andere Organe wird. Man wollte mir 7 Bandscheiben entfernen und diese durch Schrauben ersetzen und mit Stäben verbinden, damit meine Wirbelsäule künstlich aufgerichtet wird. Als junges Mädchen war ich irgendwie schon geschockt und hatte Angst, viel größer war aber die Angst davor, dass mein Rücken sich immer mehr krümmen würde. Meine Skoliose konnte man schon jetzt von außen sehen, wenn ich im Schwimmbad war und auch durch Pullover und T-Shirts hindurch sah man, dass mein Rücken nicht gerade war. Zudem musste ich eigentlich 23 Stunden am Tag ein Korsett tragen, was für mich damals die Hölle auf Erden war.

Kurz gesagt fand ich die Idee der OP zwar gruselig, erhoffte mir davon jedoch endlich Heilung. Kein Korsett mehr. Keine Krankengymnastik. Ein gerader Rücken, den man nicht verstecken muss.

Im Frühjahr 2006 ging ich dann nach Neustadt, wo die Operation durchgeführt wurde. Meine Mutter mietete sich in der Zeit eine Ferienwohnung in der Nähe um immer bei mir sein zu können. Sie war da, als ich auf der Intensivstation aufwachte, von Schmerzen gequält wurde und so einen unglaublichen Durst hatte, dass ich dachte ich sterbe. Sie war da, als ich das erste Mal versuchte aufzustehen, mein Kreislauf zusammenbrach und ich von zwei Schwestern zurück ins Bett getragen wurde. Sie war da, als ich mit einem Gehwagen (ja genau, so einem, den eigentlich nur alte Leute verwenden!) durch die Krankenhausflure schlich und versuchte mein Gleichgewichtsgefühl wieder zu finden. Sie war da, als ich das erste mal eine Treppe hinunterging und bei jedem Schritt das Gefühl hatte gleich einfach da unten zu liegen.

Die Zeit danach war sehr schwer. Obwohl ich schon 10 Tage nach der OP entlassen wurde, hatte ich extrem starke Schmerzen und konnte einen Monat lang nicht zur Schule gehen. Eine Zeit lang lag ich viel im Bett und machte gar nichts. Irgendwann wurde es meiner Mutter zu viel und sie zwang mich aufzustehen und mein Leben wieder in die Hand zu nehmen. Ich glaube, dass ich in dieser Zeit so nah an einer Depression und Schmerzmittelabhängigkeit war, wie ich mir im Nachhinein gar nicht eingestehen möchte.

Danach ging es langsam Berg auf. Ich durfte zwar nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr - sprich Schulbus - fahren, sondern musste dafür mit dem Klein-Bus fahren, der eigentlich für stark körperlich behinderte Kinder ist, und durfte auch immer nur einige Stunden in der Schule bleiben. Es tat mir jedoch sehr gut wieder unter Menschen zu kommen. Ich hatte recht lange noch Schmerzen und auch die Narbe verheilte nicht so gut wie bei anderen, doch ich merkte dass es besser wurde.
Allerdings geschah bei meiner Operation etwas unvorhergesehenes: zwar war mein Rücken nun fast gerade (der Hauptbogen wurde auf 12° reduziert), dafür stand auf einmal meine Hüfte sehr schief. So hieß es dann nach der OP wieder: Korsett tragen. Zum Glück war dieses Korsett im Vergleich zu den anderen wirklich bequem (in manchen vorigen fühlte ich mich wirklich als ob das ein Korkenzieher wäre). Und nach einem Jahr durfte ich auch dieses Korsett weg lassen, obwohl das mit meiner Hüfte nur minimal besser wurde. Anscheinend war es aber ok.

Heute habe ich schon regelmäßig Rückenschmerzen, ganz oft nehme ich diese aber gar nicht richtig wahr. Erst wenn Finn mich fragt, warum ich so quengelig bin, merke ich, dass da etwas weh tut (ich weiß, ich sollte mehr darauf achten). Und ich habe eine riesige Narbe auf dem Rücken. Diese Narbe geht oben vom rechten Schulterblatt über die ganze Seite und Endet quasi in der Taille über meinem Hüftknochen. Manchmal zwickt diese Narbe, ein großer Bereich ist immer noch taub. Manchmal tut sie richtig weh und doch vergesse ich sie oft einfach. Ich schäme mich nicht für meine Narbe und gehe trotzdem schwimmen. Ich habe mir vor einigen Jahren ein Tattoo direkt daneben stechen lassen, vielleicht um zu zeigen, dass es mein Körper ist. Dass die Skoliose und die Ärzte zwar eine Narbe hinterließen, die mich immer begleiten wird, dass es aber dennoch mein Körper ist, über den ich bestimme.

Wenn ich die Bilder betrachte und das alles noch einmal durchlebe, dann wird mir schon etwas anders zumute. Ich kann mir heute kaum mehr vorstellen, dass ich das bin und bin wahnsinnig froh, diesen Lebensabschnitt hinter mich gebracht zu haben.

Skoliose ist keine Lebensbedrohliche Krankheit, dennoch ist sie eine Krankheit, die vor allem die Kindheit und Jugend sehr stark beeinflusst. Manchmal glaube ich, dass meine Mutter unter der Skoliose mindestens ebenso sehr litt wie ich, wenn nicht vielleicht sogar mehr. Schon jetzt wünsche ich mir kaum etwas mehr, als das meine Kinder diese Krankheit nicht bekommen. Allen Müttern und Vätern von Betroffenen und allen Betroffenen selber wünsche ich, dass sie ihr Leben trotzdem genießen können. Auch wenn es manchmal nicht so scheint: irgendwann wird diese Krankheit in den Hintergrund treten. Sie wird zwar niemals gehen und uns ein Leben lang begleiten aber man lernt immer besser damit zu leben.


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