Meine persönliche Dankesrede für den Friedensnobelpreis 2012

Dankesrede des EU-Bürgers Jens Bertrams anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die europäische Union.

Es gilt das gesprochene Wort! :-)

Sperrfrist: 10. Dezember 2012, 18 Uhr. :-)

Euer Majestät,
Exzellenzen,
Sehr geehrte Mitglieder des Nobelpreiskomitees,
meine sehr verehrten Damen und Herren:

Frieden ist ein sehr hohes Gut. Wenn die menschliche Gemeinschaft durch die Entscheidung des verehrten Komitees die Erhaltung des Friedens würdigt, so ist dies wieder und wieder zu begrüßen. Der Friedensnobelpreis ist eine der begehrtesten Auszeichnungen der Welt, daher ist sein Empfang eine große Ehre. Ich bin Bürger der europäischen Union, und deshalb fühle ich mich als einer der Preisträger. Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen meine Gedanken zu dieser Auszeichnung nicht verschweigen.

Zunächst einmal ist die Preisträgerin in ihrer Qualität als Organisation zu betrachten. Kann ein Staatenbündnis wie die europäische Union überhaupt eine solche Auszeichnung entgegennehmen? Die von mir geschätzte ehemalige niederländische Grünenpolitikerin Femke Halsema, eine große Befürworterin der europäischen Union, sagte dazu auf Twitter: “Es ist absurd, eine Auszeichnung wie den Friedensnobelpreis einer abstrakten und politisch so umstrittenen Organisation wie der EU zuzuerkennen. Nächstes Jahr vielleicht dem Universum?” Diese Äußerung fasst im Großen und Ganzen zusammen, was auch ich Ihnen, meine Damen und Herren, mit auf den Weg geben möchte. Die europäische Union ist eine abstrakte Organisation, sie ist weder ein Staatenbund im klassischen Sinne, noch ein Bundesstaat. Eine Auszeichnung wie den Friedensnobelpreis kann man durchaus an Institutionen vergeben, jedoch sollten es zielgerichtete Projektorganisationen sein. Unbestreitbar hat sich die Union Verdienste erworben. Zum einen sorgte sie sicherlich mit dafür, dass es innerhalb ihrer Grenzen in den letzten sechzig Jahren friedlich blieb. Auch wurden die neuen Mitglieder wie Kroatien und Slowenien erst aufgenommen, als sie ihre Kriege bereits hinter sich hatten. Und bei Serbien, Montenegro und der Türkei ist man sich ja bis heute nicht sicher, darum steht deren Aufnahme auch noch nicht unmittelbar bevor. Zum Anderen förderte sie sicherlich die wirtschaftliche Prosperität in vielen ihrer Mitgliedsstaaten. Damit sind wir aber auch schon bei den Bedenken gegen eine solche Auszeichnung wie den Friedensnobelpreis: Die europäische Union hat den Frieden in ihren Grenzen nur als Nebenprodukt geschaffen. Ihr eigentliches Ziel war und ist die wirtschaftliche Prosperität, die Erhaltung der Vormachtstellung in der Welt gegenüber den Schwellenländern und anderen sogenannten Global Playern auf dem Weltmarkt. Der Hort des Friedens und der Menschenrechte ist zur Festung Europa geworden, wirtschaftliche Erwägungen dominieren jede Einzelne der europäischen Entscheidungen und Maßnahmen.

Sie, Verehrte Komiteemitglieder, haben die Union ausgezeichnet, weil sie den Frieden seit sechzig Jahren in ihren Grenzen erhält, und weil sie für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eintritt. Sie haben also nicht so sehr die zwischenstaatliche Organisation “europäische Union” auszeichnen wollen, sondern Sie wollten an eine Idee erinnern, die an der Wiege der europäischen Gemeinschaft, die sich heute EU nennt, Pate gestanden haben mag. Dies ist für einen Europäer herzerwärmend, verkennt aber, wie viel Leid die Union über sehr sehr viele Menschen gebracht hat. Denn selbst wenn man einer abstrakten zwischenstaatlichen Organisation einen Friedensnobelpreis zuerkennen kann, weil sie im Volk eine Idee wach hält, so diskreditiert doch das alltägliche Handeln der Preisträgerin sie in meinen Augen. Und das sage ich als einer der Bewohner Europas, als ein Anhänger der europäischen Idee, gerade als ein Anhänger der Idee der Demokratie und der universellen Menschenrechte. Wo keine Menschenrechte gelten, da kann auch kein echter Friede herrschen, meine Damen und Herren. Und diese Menschenrechte werden innerhalb der Union seit 10 Jahren massiv eingeschränkt. Sie werden auf dem Altar der Sicherheitspolitik geopfert, und auf dem Altar einer Abschottung gegenüber der Außenwelt, um unseren europäischen Wohlstand zu sichern. Eine Organisation, die Flüchtlinge in Nordafrika in Lagern unter unwürdigen Umständen dahinvegetieren lässt, die auf Boote mit Flüchtlingen schießen lässt, die Diktaturen für ihre Strenge Auswanderungspolitik und ihr hartes Durchgreifen finanziell belobigt, die also Politik mit dem Hunger anderer Menschen macht, die hat den Friedensnobelpreis nicht verdient. Und dies ist nur einer der vielen Gründe für meine Ablehnung dieser Auszeichnung.

Ein weiterer Grund ist, dass für die EU als Organisation Demokratie nicht das höchste Gut ist. Das war es nie. Entscheidungen der EU werden von Regierungen getroffen, nicht einmal das europäische Parlament ist angemessen beteiligt. Mit dem europäischen Stabilitätsmechanismus werden den Parlamenten nun auch noch die Rechte am eigenen Staatshaushalt eingeschränkt. Über die Geldpolitik bestimmt ein Gremium, das in keiner Weise von den Bürgerinnen und Bürgern der Union demokratisch legitimiert ist. Zwar verlangt die europäische Union ständig von anderen Ländern Schritte hin zu einer demokratischen Entwicklung, aber weder bei diesen Ländern noch im Innern nimmt die Union diese Forderungen selbst besonders ernst. Das Demokratiedefizit wächst, meine Damen und Herren, ganz im Gegensatz zu den Lippenbekenntnissen europäischer Spitzenfunktionäre. Dies stiftet Unfrieden auch im Innern. Dasselbe gilt für die soziale Komponente: Wer Frieden schaffen will, der sollte im Innern beginnen, und dabei spielt das Konzept sozialer Gerechtigkeit eine große Rolle. Für die marktorientierte Union ist der Begriff weitestgehend ein Fremdwort.

In Europa, zumindest im nennenswerten Teil dieses Kontinents, herrscht nun fast 70 Jahre Frieden. Immerhin 55 Jahre davon gibt es die europäische Union und ihre Vorläufer. Doch auch im Osten des Kontinents herrschte Frieden, während die Sowjetarmee in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, der DDR, Bulgarien und Rumänien Wache hielt, und während die Person Josip Titos allein Jugoslawien am Zusammenbruch hinderte. Darf ich dann bescheiden um der Gerechtigkeit Willen darum bitten, auch der Sowjetarmee und Tito postum einen Friedensnobelpreis zu verleihen für ihre Bemühungen um eine friedliche Entwicklung in Europa? Wer die Bewahrung des Friedens würdigen will, der muss auch hier zu einer Neubewertung kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Friedenspolitik besteht zu großen Teilen aus einer maßvollen Außen-, einer gerechten Sozial- und einer demokratischen Innen- und Menschenrechtspolitik. All dies hat die europäische Union nur in sehr begrenztem Maße zu bieten, wenn ich mich einmal vorsichtig ausdrücken darf.

Natürlich ist dies nicht der erste Preis, verehrte Mitglieder des norwegischen Nobelkomitees,den Sie offensichtlich den falschen Personen zuerkannt haben. Wer Politikern wie Henry Kissinger, der für unzählige Morde in Vietnam, in Chile und anderen Ländern mutmaßlich mit verantwortlich ist, durch einen solchen Preis Anerkennung gewährt, tut der Auszeichnung und ihrer Glaubwürdigkeit in der Welt keinen Gefallen. Gleiches gilt für den Preis an Barack Obama, der noch nichts und bis heute nichts geleistet hat, was ihn zu einem würdigen Preisträger macht. Andererseits haben Sie aber auch schon Menschen ausgezeichnet, die durch ihr persönliches Engagement die Lage vieler anderer Menschen verbesserten und so nicht unwesentlich zum Frieden beigetragen haben. Gerade in den letzten Jahren kam das immer häufiger vor. Darum ist die Verleihung an die europäische Union für mich so unverständlich, denn jeder weiß, wie sie mit der Demokratie im Innern und mit den Menschenrechten nach außen umgeht. Wir haben Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand für zwei Drittel unserer Gesellschaft auf Kosten der Lebensqualität und hin und wieder auch des Lebens von Menschen errungen, die sich eben wegen jener Menschenrechte zu uns flüchten wollen.

Schließlich und endlich lehne ich die Auszeichnung für die EU ab, weil sie die Begriffe von Demokratie, Freiheit, Frieden und Menschenrechte zwar laufend im Munde führt, sie aber weder nach innen, noch nach außen verwirklicht. Ein nicht geringer Teil der wirtschaftlichen Prosperrität Europas stammt aus Waffengeschäften mit den Krisengebieten der Welt. Es gibt also in Europa einen riesigen Wirtschaftszweig, der ein wohl verstandenes Eigeninteresse am Fortbestand der blutigen Konflikte in der Welt hat. Dies macht die europäische Union endgültig zu einem verfehlten Preisträger des Friedensnobelpreises 2012.

Zum Schluss möchte ich noch an die Situation in Griechenland, Spanien und Portugal erinnern. Es ist der massive Druck der EU, der europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds, der Griechenland zu einem Sparpaket nach dem Anderen zwingt und dafür sorgt, dass fast 100.000 Griechen auf die Straße gehen und gingen. Angesichts der Ausschreitungen, angesichts der Brutalität der Polizei gegen Demonstranten, die gegen einen Besuch der deutschen Kanzlerin protestierten, die mehr als jeder andere Politiker das neoliberale Europa repräsentiert, kann man wohl nicht von einer friedlichen Entwicklung innerhalb Griechenlands sprechen. Es ist der erste Fall, in dem man sagen muss, dass die EU nicht Krieg verhindert, sondern kriegsähnliche Zustände bewusst herbeigeführt hat. Auch in Spanien und Portugal ist die Unruhe groß und wächst ständig weiter. Bei Ihrer Betrachtung der europäischen Union dürfen Sie nicht nur von der Mitte Europas ausgehen, meine Damen und Herren. Jedenfalls ist das Verhalten der Regierungen und der Sicherheitsorgane aller betroffenen Staaten nicht nur ein Trauerspiel, sondern auch unakzeptabel und teilweise menschenrechtsfeindlich.

Sie, meine Damen und Herren vom Nobelkomitee, haben in diesem Jahr einen kräftigen Fehlgriff getan. Für die kommenden Jahre wünsche ich Ihnen eine bessere Hand. Bitte sorgen Sie dafür, dass der Friedensnobelpreis nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


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