Forschung und Internet sind eine tolle Kombination, besonders für alle, die gern was mit Daten machen. In sogenannten Sozialen Netzwerken – die vermutlich so beliebt sind, weil wir in dermaßen asozialen Zeiten leben – verraten die Nutzer völlig freiwillig persönlichste Dinge über sich. Oder auch in Blogs. Ich habe das in meinen letzten beiden Artikeln hier beispielsweise auch getan. Natürlich habe ich länger darüber nachgedacht, ob ich das tun sollte. Aber in diesem Fall fand ich es wichtiger, anschaulich mitzuteilen, wie allgegenwärtig Lebenslügen, Verdrängung und Gewalt in unserer Gesellschaft sind. Die ja immer so erschrocken ist, wenn man wieder etwas Schreckliches passiert. Dabei kann und muss man sich eigentlich darüber wundern, dass nicht ständig noch viel Schlimmeres passiert. Aber die Leute reißen sich halt zusammen, leiden still und machen weiter. Bis die Sache eskaliert.
Zurück zum akuten Aufreger der Internet-Gesellschaft, der es sogar in die Tagesschau geschafft hat: Deutschlands größte Auskunftei in Sachen Bonität forscht gemeinsam mit dem Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam im SchufaLab. Das SchufaLab ist ein Internet-Forschungsprojekt, das der Schufa immerhin 200.000 Euro pro Jahr wert ist. Der NRD berichtete, dass zum einen neue Technologien zur Gewinnung von Daten und zum anderen die Brauchbarkeit der Daten selbst erforscht werden sollen. Das klingt erstmal ganz harmlos nach Grundlagenforschung, ist aber bei genauerer Betrachtung ein echter Hammer, denn letztlich läuft es darauf hinaus, dass im Internet gezielt persönliche Daten aller Art über stimmte Personen gesammelt werden sollen, die dann wiederum so aufbereitet und ausgewertet werden, dass sie der Schufa Anhaltspunkte über die Zahlungsfähigkeit der jeweiligen Leute liefern.
Durchforstet werden sollen aber nicht nur soziale Netzwerke, worüber sich jetzt Daten- und Verbraucherschützer und unsere gute Ilse so sehr aufregen. Auch Nachrichtenseiten, Blogs, Unternehmensseiten – hier gibt es beispielsweise aufschlussreiche Mitarbeiterverzeichnisse oder Projektbeschreibungen – Publikationslisten und so weiter sollen gezielt durchsucht werden. Hat man erst einmal eine Person zweifelsfrei identifiziert, kann man ganz gezielt einen riesigen Haufen Daten über sie sammeln, insbesondere, wenn diese im Internet aktiv ist. Facebook, Twitter, Xing, Google+ und so weiter – eine fantastische Auskunftsmaschine, mit der nach und nach ein ziemlich genaues Profil erstellt werden kann, ja mehr sogar: an einem “Meinungsbild” sind die Auftragsforscher ebenfalls interessiert. Da werden die bei Blogs wie diesem ihren Spaß haben.
Es wird im SchufaLab sogar darüber nachgedacht, Leute mit fingierten Freundschafts- und Kontaktanfragen auszuhorchen, etwa über Adressänderungen. Über die freuen sich beispielsweise Inkasso-Unternehmen, wenn ein Schuldner einfach von der Bildfläche verschwindet. Oder wenn jemand aus wie auch immer gearteten Gründen eine andere Adresse angibt, als die, an der er oder sie tatsächlich wohnt. Der Stern titelte ganz zutreffend “Stasi-Methoden für den Kapitalismus“. Nur dass die Stasi jetzt ein öffentliches Projekt mit mehr oder weniger freiwilliger Mitwirkung aller ist, die auf die Segnungen moderner Kommunikation nicht verzichten möchten. Und so hinterlasse ich Datenspuren im Internet und trage meistens auch eine Ortungswanze mit mir herum, die zusätzlich mit feinster US-amerikanischer Militärtechnik (GPS) ausgerüstet ist. Weil es halt so praktisch ist, unterwegs erreichbar zu sein, nachschauen zu können, wann der nächste Zug oder Bus kommt oder was auch immer. Handy, E-Mail, Internet – finde ich super, und das meine ich auch so. Klar, man kann auch ohne auskommen, früher ging das ja auch. Man könnte aber auch super ohne Schufa oder sonstige Datensammler auskommen. Und ohne diese ganzen lästigen Awendungen, mit denen einem immer nur was verkauft werden soll, weshalb eine Bonitätsprüfung überhaupt nötig ist.
Diese ganze Aufregung, dass die Schufa arglose Facebook-Nutzer aushorchen will, ist doch absolut lächerlich gemessen an der Tatsache, dass sich keine darüber aufregt, dass es überhaupt eine Institution wie die Schufa gibt. Man braucht ja nur mit dem falschen Kerl verheiratet sein oder in der falschen Gegend zu wohnen, um eine schlechte Schufa-Bewertung zu kommen, ganz ohne Facebook-Schnüffelei. Ich konnte, weil ich in mal einer finsteren Gegend wohnte, bei bestimmten Versandhäusern nichts bestellen. Das hab ich überlebt, klar, wenn der eine nicht will, dann findet man halt einen anderen Versand. Aber aus der finsteren Gegend wieder heraus zu kommen, weil Vermieter in besseren Gegenden natürlich eine Schufa-Auskunft sehen wollen – das fand ich auch ohne persönliches Profiling schon ziemlich blöd. Wobei – meine Schufaweste ist weißer als weiß, ich wurde ja “nur” in Kollektivhaftung genommen, was auch ein Skandal ist. Aber über den regt sich erstaunlicherweise keiner auf.
Aber die Privatsphäre der Bürger muss natürlich geschützt werden. Wenigstens auf Facebook muss man doch mal seine Meinung sagen können, ohne dass sich gleich die Schufa dafür interessiert! Oder Kristina Schröder, der verlängerte Arm des Verfassungsschutzes. Wobei ich nach wie vor nicht auf Facebook bin. Aber ich möchte mich in anderen Ecken des Internets auch nicht als Verfolgte fühlen. Nur kann man daraus auch andere Konsequenzen ziehen als weinerliche Forderungen nach mehr Datenschutz. Wovor muss man denn geschützt werden, ist die viel interessantere Frage. Vor den Interessen des Kapitals – das ist die einfache Antwort. Die sind das Problem. Und nicht die Frage, wie weit die Schufa Leute aushorchen darf. Das Problem ist, dass eine Schufa überhaupt existiert.
Update 8.6. nachmittags:
Schade eigentlich. Bevor es richtig los geht, ist es schon wieder vorbei: Das Hasso-Plattner-Institut hat seinen Vertrag mit der Schufa angesichts der massiven Kritik von allen Seiten gekündigt. Zum Forschen wäre jetzt ohnhine nicht die nötige Ruhe vorhanden, befand HPI-Chef Christoph Meinel.
Beim nächsten Projekt werden die beteiligten vermutlich nicht mehr so dumm sein, so eine Sache an die große Glocke zu hängen, da lernt man von Google und Co, hält die Klappe und programmiert lieber still vor sich hin, bis die Algorithmen stimmen und die Daten fein sortiert und verknüpft werden – je nachdem, was der diskrete Auftraggeber bestellt. Wer glaubt, dass dieser Rückzug ein Sieg für Verbraucher und Datenschützer wäre, glaubt vermutlich auch an den Osterhasen. Mal sehen, was der uns als nächstes ins Datennest legt…