Vor mittlerweile über einem Jahrzehnt begann meine Gigaset-Story. Mein Bruder kaufte ein Schnurlostelefon nach digitalem DECT Standard. Damals faktisch abhörsicher und mit einer enorm guten Sprachqualität. Verglichen mit den analogen Vorgängergeräten gerade zu ein Qualitätssprung. Es handelte sich um ein Gigaset der 1000er Serie.
Das Gigaset-Logo
Es war keine Frage, dass die guten Erfahrungen dazu führten, dass ich später ebenfalls Gigaset Produkte kaufte. Wir haben in unserem Elternhaus in der Vor-DSL Zeit ISDN eingerichtet. Damit hatten wir zwei Leitungen: Meine Wenigkeit konnte im Internet unterwegs sein und trotzdem waren wir weiterhin erreichbar. Bei der Telekom kaufte ich daher eine kleine Kommunikationsanlage. Obwohl, klein ist falsch. Von der Leistung gesehen eine unheimlich grosse.
Die Telefonanlage, die bis heute in meinem Elternhaus an der Wand hängt und seit über einem Jahrzehnt (!) unterbrechungsfrei (!) arbeitet, ist eine T-Sinus 45. Viele kennen diese Anlage als Gigaset 3070. Dazu gab es einen sogenannten Komfort Hörer, über den die Basis konfiguriert werden kann.
Die T-Sinus 45 neben einem alten ISDN-NTBA – seit über einem Jahrzehnt ohne Ausfall in Betrieb
Für mich gab es dann ein kleines DECT Funkmodem, das via Funkschnittstelle eine Datenverbindung zur Basis herstellt. Das war faktisch der Vorläufer von WLAN.
T-Sinus data2 – Vorgänger von WLAN Sticks
Die Basis konnte noch mehr: Das analoge Modem kam an einen, das analoge Kombigerät an den anderen TAE Port. Was früher eine alte analoge „amex i“ mühevoll zusammenhielt, war und ist für das neue System kein Problem. Surfen, faxen oder telefonieren gleichzeitig. Geht.
Danach wurde dann weiter aufgerüstet. Mein Telefonbedürfnis stieg und ich kaufte mir einen eigenen Hörer. Das war ein abgespeckter DECT Hörer, der „nur“ telefonieren konnte. Den habe ich dann in vier Jahren so runtertelefoniert, dass die Tasten nicht mehr richtig gingen. Um die Reichweite der Anlage zu vergrössern, kaufte ich zusätzlich noch einen Repeater. Das Gerät leitet die Funksignale der Mobilteile und der Basis jeweils weiter und erhöht so die Reichweite. Das ganze funktioniert bis heute nahezu perfekt.
Als ich für mein neues Haus dann eine Telefonanlage suchte, war die Frage nicht schwer zu beantworten. Ich wollte wieder ein Gigaset 3070. Man mag es kaum glauben, aber die Telefonversion des Gigasets wird bis heute produziert. Das SX353 basiert auf der gleichen Technik. Ich hatte jedoch Glück und konnte im Schweizer ricardo ein Gigaset 3070 für gerade einmal 20 Franken kaufen. Ich ergänzte das System um zwei Mobilteile des Typs E49H. Das sind aktuelle, stossresistente Teile, die alle wichtigen Funktionen beherrschen. Dazu gesellt sich noch ein einfacherer Hörer. Die ganze Konstruktion hängt bei mir heute hinter einer FritzBox 7170v2, die an einer analog/DSL Kombination einen ISDN Anschluss simuliert.
Doch die Reichweite der Basis ist aufgrund der Architektur des Hauses relativ knapp. Kein Problem dachte ich mir und ging auf die Suche nach Repeatern. Gigaset bietet mittlerweile einen Nachfolger an, den Repeater 2. Eigentlich sollte der sich nur dadurch unterscheiden, dass er jetzt zwei LEDs hat – der alte hatte nur eine. Doch er hat noch ein anderes Unterscheidungsmerkmal: er funktioniert nicht richtig.
Bei meiner Anlage tut er kaum. Immer wieder brechen Gespräche nach 5 oder 6 Sekunden ab, sie werden erst gar nicht aufgebaut oder eingehende werden nicht signalisiert. Ein Wechsel des Standorts, Neuanmelden, Firmwareupdate der Basis, alles brachte keinen Fortschritt.
Der Gigaset Support arbeitet nur noch auf Sparflamme. Es gibt eine kostenpflichtige Hotline, an der ich bis heute kein einziges Mal etwas anderes als Wartemelodie gehört habe, es gibt ein Userforum, wo bei solch komplizierten Fällen nicht geholfen wird und eine Mailhotline, die am Ende auch nur die Vermutung hat, der Repeater sei defekt. Ein Garantietausch des Gerätes brachte keine Besserung. Den Versand des Repeaters durfte ich aber bezahlen…
Also nahm ich den Repeater mit zu meinem Elternhaus und installierte ihn dort probeweise anstelle des alten. Und siehe da, er arbeitet. Warum, kann mir keiner erklären. Ob es an den Mobilteilen liegt oder an der Basis – der Support existiert faktisch nicht (mehr?).
Eines haben der alte Repeater und der neue jedoch gemeinsam: Die Abstände der Wandhalterungen sind gleich. So konnte ich den neuen genau an die Stelle hinhängen, an der auch der alte war. Völlig durchdacht ist das aber auch nicht. Zumindest sehe ich jetzt, dass da irgendetwas schief ist:
Der Repeater 2 hängt schräg an der Wand in der Halterung des alten Repeaters
Betrachte ich die Packungen aller Geräte, sehe ich sehr schnell einen Unterschied: Überall steht „Made in Germany“ drauf – ausser auf dem Repeater 2. Der kommt aus China.
Gigaset gehört schon länger nicht mehr Siemens. Irgend jemand, vielleicht ein Berater mit ziemlich „fancy“ Powerpoint Folien hat Siemens eingetütet, Kommunikation sei nicht mehr Kernkompetenz des Hauses. Gigaset müsse weg. Da ist keine Fantasie mehr hinten dran, keine „Stories“, die man schreiben könnte. Zu diesem Zeitpunkt war Gigaset auch in keiner guten Verfassung.
So wurde ein Investor gesucht. Nach dem BenQ Debakel, die die ehemalige Siemens Handysparte, die mal Marktführer in Deutschland war, in nur einem Jahr zu Grunde richtete, musste eine bessere Lösung her. Warum Siemens dann auf die Idee kam, Gigaset einem Finanzinvestor zu geben, kann ich nicht verstehen. Ein kleiner Unterschied zum BenQ Deal gab es doch: Siemens behielt einen kleinen Anteil an Gigaset, um nicht komplett aussen vor zu stehen.
Was in den letzten Jahren bei Gigaset geschehen ist, ist ein Beweis dafür, dass renditeorientierte Unternehmenspolitik und qualitativ hochwertige Technik nicht unter einem Hut passen. Das ökonomische Prinzip funktioniert auf zwei Arten. Ein gesetztes Ziel mit möglichst niedrigen Ressourcen zu erreichen oder aus den vorhandenen Ressourcen den bestmöglichen Output zu bekommen. Aus dem Minimum das Maximum zu machen, ist kein ökonomisches Prinzip, das ist schlicht Käse.
Doch genau das scheint hier vorgegangen zu sein. Sehe ich mir die heutigen Gigasets an, dann basieren sie noch auf der alten Technik, die mit den Gigasets 3000 gekommen ist. Ein neues Display, vielleicht ein Softwareupdate, aber mehr nicht. Nun muss man sich klar machen, dass es im Festnetz Bereich wenig Innovation gibt. Viel mehr als Eco-DECT hat sich wirklich nicht getan. VoIP hat Gigaset nun auch dabei, aber richtig angekommen scheint es nicht. Für einen Finanzinvestor, der immer wieder neue „Stories“ sehen will, ein falsches Pflaster. Also wurden eben Stories geschrieben, die keine sind. Innovation durch farbige Displays oder neues Design. Da sich die Hardware nie wirklich änderte und die neuen Softwarekomponenten offenbar nie ausgereift wurden, merkt das der Kunde heute vor allem daran, wie langsam die Telefone geworden sind – und der China Repeater eben nur mit selbst ausgewählten Basen arbeitet. Auch eine Variante, die „Made in Germany“-Story zu killen.
Dabei gäbe es noch so viele Möglichkeiten, wie man im Festnetzbereich wieder vorankommen kann. Spontan fällt mir beispielsweise folgendes ein:
Die neuen Gigasets haben teilweise Bluetooth Funktionalitäten. Wieso gibt es keinen Bluetooth Repeater? Der Kunde kommt nach Haus, sein Handy in der Westentasche. Das Handy bucht sich im Repeater ein und von da an kommen die Gespräche und SMS immer über die DECT Anlage im Haus an. Kein Funkloch im Keller, keine wackelnde Gesprächsqualität. Kostet in der Umsetzung wenig, nur muss eben mal umgesetzt werden. Und ob der günstig in China hergestellte Repeater wirklich funktioniert, kann dann am Ende der Kunde testen.
Oder wieso gibt es keinen DSL-tauglichen Nachfolger des 3070? Eine heutige FritzBox 7270 kann im Prinzip das, was damals das 3070 konnte. Sie stellt Sprach- und Datenverbindungen zur Verfügung. Das damalige ISDN heisst heute eben DSL, das damalige Daten-DECT ist heute WLAN. Wieso bietet Gigaset solche Lösungen nicht an und baut sie aus? Wo ist die GigaBox? Es ist ja fast schon Ironie, dass die Gigaset Repeater auf ebay zu hohen Preisen gehandelt werden, weil sie die relativ schlechte DECT Basisstation der FritzBox gut ergänzen.
Stattdessen wird Innovation in den Sand gesetzt. Ein Blick auf das E36 Mobilteil zeigt die Problematik. Der Hörer ist vor allem für alte Menschen gedacht. Er hat sehr gute Lautsprecher, bietet eine Verbindung zu Hörgeräten, hat grosse Tasten und vier Schnellwahltasten. Da sage ich: da hat jemand nachgedacht. Doch dann kommt wieder der Tiefschlag. An der 3070 Basis wird dieser Hörer nur über DECT-GAP erkannt. Sämtliche sinnvollen Zusatzfunktionen wie beispielsweise das Übertragen von Telefonbüchern via Funk funktionieren nicht. Und dann ist da noch so ein Thema: irgendjemand hat vergessen, die „intern“ Taste bei diesem Hörer einzurichten. Ihn intern anzurufen geht, von ihm ein Gespräch an eine andere interne Nebenstelle zu führen, geht nicht. Was soll das?
Siemens plant nun, so wird gesprochen, Arques den Finanzinvestor, auszuboten. Ob das wirklich geht, sei mal dahingestellt. Es steht ein Verkauf an Novero im Raum. Eine Firma, die u.a. für sehr teure und hochwertige Gadgets bekannt ist. Oder zumindest bekannt sein möchte. Moment, hatten wir das nicht schon?
Xelibri (Quelle: wikipedia)
Hört man alten Siemens Mitabeitern zu, wird sich erzählt, dass Siemens Jahre vor den Wettbewerbern ein MP3 fähiges Handy parat hatte. Ein solches Gerät wäre sicherlich eine Sensation gewesen. Doch, so ist zu erfahren, es wurde aus Kostengründen abgelehnt. Die ersten Handys mit Farbdisplay kamen übrigens auch aus dem Hause Siemens, dann verschwanden sie plötzlich und als Nokia damit angefangen hat, galten sie als Erfinder.
Doch was Siemens stattdessen brachte, waren Xelibri Handys. Wie man den Sinn dieser Geräte verstehen soll, ist mir schleierhaft. Plötzlich sollten Handys Fashion werden. Das funktionierte nicht so wirklich. Die Handys waren technisch veraltet, sollten aber hipp aussehen. Legendär ist bis heute das Puderdosenhandy. Verzeihung: das Xelibri 6.
Xelibri 6, Das Puderdosenhandy (Quelle: altes Pressefoto)
Es kam was kommen musste: Xelibri wurde ein Flop. Bei Fans sind diese Geräte dafür bis heute absolut populär.
Als ich mich über die neue Firma informieren wollte und die Homepage ansteuerte, erlebte ich erstmal genau das, was ich nicht sehen wollte. Die Homepage lädt nicht. Es kommt eine Flash Fehlermeldung, eine HTML Fall-back Seite gibt es nicht. Also googelte ich im Netz und fand bei Best of Luxus einen Artikel. Das geht so los:
„novero entwickelt mit Leidenschaft wegweisende Kommunikationslösungen und präsentiert eine Kollektion, die das Versprechen einer formvollendeten und gleichzeitig bedienerfreundlichen Technologie für die Welt von Morgen konsequent einlöst. Getauft auf den königlichen Namen Victoria vereint diese Verbindung von Mode und Technik Fertigkeiten von Designern und Ingenieuren gleichermaßen. Mit Victoria überschreitet novero den eigenen Ansprüchen entsprechend Grenzen und kreiert exklusive Kommunikations-Accessoires, die in ihrer Einzigartigkeit konkurrenzlos sind.“
Das liest sich exakt so wie damals die Einführung von Xelibri. Sorry Siemens, aber nach einem 1. BenQ mit BenQ selbst, ein 2. BenQ mit Arques und nun ein 3. BenQ mit Novero?
Gigasets sind keine einzigartigen Kommunikationsobjekte von höchster Qualität die Designanforderungen erfüllen. Das sind sehr gute Telefone und es sollte alles daran gesetzt werden, dass es sehr gute, innovative Telefone bleiben. Aber bitte nicht wieder eine Puderdose, auch wenn sie auf Luxus getrimmt wird. Ich will gar nicht absprechen, dass es einen Markt für die von Novero gefertigten Produkte gibt. Den dürfte es sicherlich geben, aber Gigaset ist der Marktführer im Volumenmarkt – zumindest noch.
Meine Hoffnung liegt darin, dass sich Siemens auf seine Tugenden zurückbesinnt. Qualität und Leistung. Da würde Gigaset, wenn sie es Ernst nehmen, durchaus reinpassen.
Persönlich macht es mich einfach traurig, wenn ich sehe, wie hier eine Sparte, die qualitativ hochwertige, „Made in Germany“ Produkte herstellte, dermassen vor die Wand gefahren wird. Diese Gigasets waren die letzten Telefone, bei denen ich bereit war, den Aufpreis für eben dieses Prädikat „Made in Germany“ zu bezahlen. Zu Hause werde ich nun ausprobieren, ob der alte Repeater mit der Basis zusammen arbeitet. Tut er das nicht, werde ich wohl die 3070 abmontieren müssen und durch eine FritzBox 7270 ersetzen. Die Hörer werden dann im DECT-GAP Modus nur noch ein Schattendasein führen. Schade.
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