Das Volkstheater hat seine letzte Premiere „Brooklyn Memoiren“ des amerikanischen Erfolgsautors Neil Simon (geb. 1927) anstelle des zuvor angesetzten Stückes „Homohalal“ von Ibrahim Amir absolviert. Nach hitzigen, medialen Debatten dürfte nun etwas Ruhe eingekehrt sein, die dem Haus und vor allem dem Ensemble sicher gut tut.
Die „Brooklyn Memoiren“ wurden von Sarantos Zervoulakos in Szene gesetzt. Zervoulakos, der am Max Reinhardt Seminar studierte und 2011 für den Nestroy als bester Nachwuchs nominiert war, siedelte das Geschehen in einem lang gezogenen Container an. Dieser bot Herberge für eine Familie in den 30er Jahren, der Jugendzeit des Autors, an die er sich in dem Stück zurückerinnerte. Der mit Menschen und Möbeln vollgepfropfte Container ist aber auch eine Herberge, die genauso gut heute irgendwo an einem menschenfeindlichen Stadtrand stehen könnte. Zumindest macht das die Ausstattung (Thea Hofmann-Axthelm) klar. Aus dem Flachbildschirm flimmern Schwarz-Weiß-Nachrichten aus den 30er Jahren des Hitlerdeutschlands, die Meublage, ein krudes Sammelsurium von Billigmöbeln und mit Plastik überzogenen Schonpolstern, erinnert an die 70er und 80er Jahre. Eine Videokamera mit direkter Projektion auf die Bühnenwand verweist in die Gegenwart. Aussage: Das, was hier gespielt wird, ist allzeit gültig.
Ob dies wirklich so ist, sei dahingestellt. Das goldene Herz des raubeinig wirkenden Familienoberhauptes Jack (Rainer Galkes Authentizität in dieser Rolle beeindruckt) mag es so oder so ähnlich in vielen Schattierungen geben. Die Bruderliebe, die in Sekundenschnelle auch in Hass umschlagen kann, ebenso. Kaspar Locher als Stanley und Nils Rovira-Munoz als Eugene haben zwar keinerlei Ähnlichkeit miteinander, kommunizieren aber tatsächlich wie zwei Brüder mit größerem Altersunterschied. Laurie, die Jüngste (Katharina Klar), nutzt ihren Herzklappenfehler bis aufs Äußerste familienintern aus, um sich nur ja nicht zu sehr an der täglichen Hausarbeit beteiligen zu müssen. Seyneb Saleh hofft als Tanzfreak Nora auf ein Engagement am Broadway, während ihre Mutter Blanche (Birgit Stöger zieht alle Register einer naiven, beinahe lebensunfähigen Witwe) sich mit Nähen ein wenig Geld verdient und deren Schwester den Haushalt schupft. Anja Herden spielt mit viel Verve jene Frau, die es mit viel Umsicht und Geschick schafft, die Familie über die Runden zu bringen.
Die Gag-Dichte ist in dem Stück, Neil-Simon untypisch, nicht sehr hoch. Hier und da einmal ein passender Kalauer, aber ansonst bleibt das Spiel um das Leben im Präkariat eher bedrückend als humorig. Die vielleicht bald dazukommenden jüdischen Verwandten aus Europa schweben wie ein Damoklesschwert über der Familie. Aber dennoch gibt der Vater Durchhalteparolen aus. Platz ist ja schließlich in der kleinsten Küche, auch wenn sie gerade einmal so groß ist, dass sie zwei Herdplatten und einen Kühlschrank ausmacht.
Während des Abends darf man tief in die familiären Unbillen eintauchen. Miterleben, wie Blanche sich für einen Verehrer aufbrezelt, der sie dann doch sitzen lässt. Herrlich wie Stöger sich im Minutentakt von einer Femme fatal hin zu einem abgetakelten Heimchen wandelt. Man darf mit Kate mitfiebern, die das O.K. ihrer Mutter und ihres Onkels benötigt, um von der Schule abzugehen und Tänzerin zu werden. Und man darf auch Anteil nehmen am Missgeschick von Stanley, der in einer finanziell engen Zeit zuerst seinen Job aufs Spiel setzt und dann seinen ganzen Lohn beim Kartenspiel verliert. Die Figuren sind liebenswert herausgearbeitet und toll umgesetzt. Das Schmollen von Laurie erinnert so manchen und so manche aus dem Publikum an die eigenen pubertierenden Kinder und die Hyperaktivität von Eugene, der seine Familie mit filmischen Close-ups festhält, ist ebenfalls vielen aus der eigenen Erziehung des Nachwuchses nur zu gut bekannt. Der Abend lebt vom Ensemble und dem wirklich grandiosen Bühnenbild. Die Beengtheit der Wohnsituation, die prekären Arbeitsverhältnisse, die Unterbeschäftigung der Frauen, die es nicht schaffen, sich im Arbeitsmarkt zu integrieren – all das sind zwar auch heutige Themen. Allerdings wird der Transfer in unsere Gegenwart nur mit Requisiten und der Ausstattung selbst angedeutet. Das einzige Manko des Abends, der dem Publikum jedoch, dem Applaus zu urteilen, großes Vergnügen bescherte.
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