Ein ungewöhnliches, mutiges Experiment für die Schauspiel-Abteilung der Salzburger Festspiele: eine Uraufführung, gegründet auf der konzeptionellen Zusammenarbeit des Tiroler Dichters Händl Klaus und Franui, einer Musicbanda – ebenfalls aus Tirol, inszeniert von einem noch nicht berühmten französischem Regisseur (Nicolas Liautard), der sich den Text erst übersetzen lassen musste.
Ich war neugierig – die Vorberichterstattung hatte gute Arbeit geleistet.
Im Foyer des Salzburger Landestheaters dann der für mich eindrücklichste Moment eines Summens (Bienen!), verursacht vom Salzburger Premierenpublikum: Schickeria trifft auf künstlerische Intellektuelle bzw. intellektuelle Künstler, Aufregung mischt sich mit Skepsis, Sunnyi Melles ist auch da.
Während der Aufführung schwanke ich zwischen tiefer Bewunderung (“Hier wird gerade ein neues Genre erfunden!”) und enttäuschter Distanz (“Wann kommt er endlich…DER Moment?”). Denn den packenden Spannungbogen, die ergreifende Atmosphäre und den übermächtigen Sog, welche die Thematik des Librettos mit dem entsprechenden Leitmotiv haben erwarten lassen, erlebe ich leider nicht.
Aufgeladen mit Sinnbildern, gespickt mit aberwitzigen Wortspielen entlädt sich in Meine Biene. Eine Schneise der urtümliche Konflikt zwischen Mensch und Natur. Für die Figuren ist sie entweder paradiesähnlicher Lebensraum (Kathrin, Brigitte Hobmeier), Fremd- und Sehnsuchtsort (Peter, Stefan Kurt), Albtraum (Lukas, Ein Wiltener Sängerknabe) oder verhasste Heimat (Wim, André Jung) – die ideale Folie für das Spiel um menschliche Abgründe. Händl Klaus liefert hier einen außergewöhnlichen Theatertext (Libretto), der antike Tragödie und schwarzes Märchen, Familiendrama und Ode an die Natur zugleich ist. Seine Geschichte ist schwer zu begreifen (falls er überhaupt eine hat), doch vermittelt er die unheilvolle Ahnung einer Bedrohung -, der Tatort des Walbrands ist nur oberflächlicher Ort des Geschehens: Kathrin verführt Peter, dieser ist jedoch nicht der Vater von Lukas, obwohl der eine richtende Hand so schmerzlich vermisst -, und Wim ist dem Jungen zwar ähnlich, aber auf andere Weise mit ihm verwandt…Menschliche Beziehungen werden erst nach und nach enthüllt und geschärft.
Zwischen schwarzen Baumstämmen und verkohltem Laub (Waldbrand!) auf beiden Bühnenseiten sowie vor einer semitransparenten Pojektionsfläche wirkt das Spiel der großartigen Schauspieler zeitweise gehemmt und nur selten kommt es zu befreienden Wortgefechten. Meist sind sie zu sehr darum bemüht die Balance zwischen Sprache und Musik zu finden; wenn dies gelingt – vor allem im Sprechgesang, dann ist es die reinste Freude und die tiefgründige Magie der Worte wird fühlbar.
Der umjubelte Star des Abends ist – wer hätte es gedacht – der 13- jährige Sängerknabe, der mühelos die Mischung aus Alban Bergs Jugendliedern und Franui Eigenkompositions-Stücken umsetzt und dessen hochklare Stimme von einer anderen Welt zu kommen scheint (passend zur Rolle des Kindes als Fremdkörper in der Natur) – allerdings überrascht die Häufigkeit seiner Auftritte und Soli, fügt sich seine Bühnenfigur zu oft nicht in das Spiel der Anderen ein.
Eine Schneise ist zwar auf der Bühne zu sehen – Natur, vernichtet vom Menschen – doch wird sie in dieser Aufführung nicht durch das Publikum geschlagen. So warte ich bis zum Schlussapplaus auf die geniale Idee der Inszenierung, denn ohne sie funktioniert die Zusammenführung von antiker Tragik und Tiroler Familienkrise ebenso wenig wie der Kontrast zwischen artifiziell aufscheinender Bühnenwelt und der besungen-umspielten Kraft der Natur. Das Provokations-Potential des Textes wird verschenkt und das liegt nicht an mangelnder Leidenschaft der Schauspieler oder fehlender musikalischer Rafinesse.
Informationen zur Produktion und weitere Vorstellungen unter:
http://www.salzburgerfestspiele.at/schauspiel/meine-bienen-eine-schneise-2012