"Mein Vernehmungsbeamter hat dann das Geständnis unterschrieben" - Interview mit Matin Yar und Saghi Gharaman

09.09.2010 Interviews Hintergrund Created by mehriran.de

Die Islamische Republik Iran duldet keine Abweichungen von ihrer Staatsideologie. Es gibt Kreise innerhalb der Machtelite, die gerne ihre Vorstellungen von Lebensführung, Sexualität, Bekleidung, Verhalten oder Glaubensinhalten der gesamten Bevölkerung im Iran überstülpen wollen. Neben Bahai, Sunnis, Yogis oder Sufis, die eine brutale Kampagne gegen ihren Lebensstil und ihre Glaubensrichtung durchleben, gibt es auch weitere Gruppierungen, die verfolgt werden oder per Gesetz vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Schwulen und Lesben droht laut Artikel 110 des Iranischen Strafgesetzbuchs die Todesstrafe. Viele von ihnen haben den Iran verlassen, um in Ländern Asyl zu suchen die mehr Toleranz anzubieten haben. Einer von ihnen ist Matin Yar, der in der Türkei auf die Gewährung seiner Asylbitte in einem westlichen Land zu leben, wartet. Das Interview soll einen kleinen Einblick in seine Situation gewähren. Die Verständigung mit Matin Yar war mit Hilfe von Saghi Ghahraman von der Iranian Queer Organisation in Kanada möglich, der wir auch gleich einige Fragen zu ihrer Arbeit gestellt haben.

mehriran.de: "Aus welcher Region Irans stammen Sie?"

Matin Yar: "Ich komme aus einem kleinen Dorf aus einer zentralen Provinz Irans. Dort habe ich meine Schule abgeschlossen."

mehriran.de: "Was liegt im Iran gegen Sie vor?"

Matin Yar: "Ich war zu einem Verwandtenbesuch in einer nahen Kleinstadt, als ich verhaftet wurde. Man warf mir eine gleichgeschlechtliche Vergewaltigung vor, die ich nicht begangen habe und die ich gestanden habe, weil man mich so stark gefoltert hat, dass ich es nicht mehr aushalten konnte. Ich konnte nicht einmal das "Geständnis" unterschreiben, weil meine Hände so blutig und geschwollen vom Aufhängen und den Schlägen waren. Mein Vernehmungsbeamter hat dann das Geständnis unterschrieben."

mehriran.de: "Gibt es irgend etwas, was sie am Iran lieben?"

Matin Yar: "Gar nichts. Dieser Staat ist mir zuwider. "

mehriran.de: "Warum haben Sie den Iran verlassen?"

Matin Yar: "Als ich den Iran verließ, erwartete ich einen Prozess wegen Sodomie. Man hatte mich auf Kaution freigelassen. Nach etwas weniger als einem Jahr wurde ich zur Polizei bestellt, um Fragen zu beantworten. Daraus schloss ich, dass der Prozess bald stattfinden würde. Ich bekam es mit der Angst zu tun, was der Prozess bringen würde und dass man mich nochmals foltern würde, und weil ich Sorge hatte, man wolle mich hinrichten, habe ich den Iran verlassen, um mich in einem Transitland um Asyl zu bemühen."

mehriran.de: "In welcher Situation befinden Sie sich jetzt?"

Matin Yar: "Im Moment warte ich auf meinen Status als Flüchtling. Die UNHCR hat mich schon zweimal befragt, aber ich weiß noch nicht was dabei herausgekommen ist. Ich bin sehr angespannt und fühle mich niedergeschlagen. Am meisten habe ich Angst vor einer Deportation in den Iran. Ich leide an den Erinnerungsbildern von der Folter, die man mir während der zwei Monate im Gefängnis bei den Befragungen angetan hat."

mehriran.de: "Wer hilft Ihnen?"

Matin Yar: "Iranian Queer Organization – IRQO unterstützt mich mit meinem Papierkram und den Behördenkontakten und hat in meinem Namen Kontakt zur UNHCR aufgenommen. Aber ich habe kein Geld und auch keine finanzielle Unterstützung, da ich ja für Essen und Wohnen bezahlen muss."

mehriran.de: "Was bedeutet es für Sie schwul zu sein?"

Matin Yar: "Alles was ich weiß ist, dass ich schwul bin. Mehr weiß ich nicht. Ich bin mit Schamgefühlen groß geworden und hatte immer ein schlechtes Gewissen wegen dieser Neigung.  Es heißt nichts bestimmtes schwul zu sein, aber die Verachtung mir gegenüber und die ganzen Beleidigungen wegen meiner Liebe zu meinem besten Freund, einem Jungen im gleichen Alter, beschimpft zu werden und verhöhnt zu werden, kränkt mich. Ich bin gefoltert worden, vergewaltigt worden und stand kurz vor einem Todesurteil und das alles nur, weil ich schwul bin. Das hat mich für mein Leben gezeichnet. Das bedeutet es für mich schwul zu sein. Doch abgesehen von meinen Alpträumen, mag ich es wie ich bin. Ich bin glücklich mit meiner Neigung." 

mehriran.de: "Wie reagieren Leute, wenn sie von Ihrer Situation erfahren?"

Matin Yar: "Leute, die ich um Hilfe bitte oder nur über das Internet mit ihnen kommuniziere, meistens Leute aus dem Westen, sind sehr nett und zuvorkommend. Sie verstehen meine Situation und dass ich Hilfe brauche. Wenn ich meine Erfahrungen mitteile, bieten sie mir immer an zu helfen. Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten hören sich meine Geschichte an und halten den Kontakt, um zu sehen wie sie mir helfen können." 

mehriran.de: "Was wünschen Sie sich für ihre eigene Zukunft?"

Matin Yar: "Ich würde gerne studieren, eine interessante Arbeit haben und meinen Landsleuten, die von den gleichen Ängsten geplagt sind wie ich, helfen aus dem Land zu kommen."

mehriran.de: "Was wünschen Sie sich für den Iran?"

Matin Yar: "Ich wünsche mir, dass der Iran frei wird von dem Regime, das seine eigene Bevölkerung brutal behandelt und unterdrückt."

Interview mit Saghi Ghahraman, Präsidentin der Iranischen Homosexuellen Organisation (IRQO), die in Kanada lebt und Matin Yar unterstützt.

mehriran.de: "Könnten Sie bitte die Ziele Ihrer Organisation beschreiben?"

Saghi Ghahraman: "IRQO ist eine Vereinigung von gleichgesinnten Menschenrechtsaktivisten - Schwule, Lesben und Heterosexuelle- die sich dem Erhalt und der Erwirkung der Zivil- und der Menschenrechte für die Iranische LGBT Gemeinschaft im Iran und außerhalb widmet. Wir arbeiten stark daran, dass Homosexualität nicht mehr als Verbrechen betrachtet wird. Unser Ziel ist es Toleranz und Verständnis für Homosexualität und Transsexualität in der iranischen Kultur im Iran und außerhalb zu erreichen. Unsere Arbeit mit IRQO ist sehr breitgefächert, weil wir die Iranischen LGBT(Lesbian, gay, bisexual, transsexual) community (sprich die Gemeinschaft der Lesben, Schwule, Bisexuellen und Transsexuellen) in Transit- und Gastländern in unterschiedlicher Weise betreuen."

mehriran.de: "Wann und zu welchem Zweck wurde die IRQO gegründet?"

Saghi Ghahramn: "IRQO wurde 2007 gegründet. Wir sind zusammen gekommen, weil wir bemerkten, dass eine beträchtliche Anzahl unserer iranischen LGBT Mitglieder gezwungen waren aus dem Iran zu flüchten. Diese Tendenz verstärkte sich immer weiter, auf Grund von Folterungen und Angst vor Hinrichtungen und dem Mangel an sozialer Gerechtigkeit, was ihnen nicht ermöglicht die grundlegendsten Menschen- und Zivilrechte zu erfahren. Inzwischen sind diejenigen, die sich zum Verbleib im Iran entschlossen haben, hingerichtet worden, gefoltert worden, zu Geschlechtsumwandlungen gezwungen worden und von ihren Familien und der Gesellschaft zutiefst gekränkt worden. Die Islamische Republik Iran betrachtet Homosexualität als illegal und ihre Gesetze stehen im völligen Widerspruch zu den Artikeln 1,2,3,5, 7,9,10, 11,12,13,19, 20, 26, 28, 29, und 30  der universellen Menschenrechtserklärungen. Die Aufgabe von IRQO ist es, die iranische LGBT Flüchtlinggruppe, die im letzten Jahr um 25% größer geworden ist, zu unterstützen."
mehriran.de: "Welche Aktionen führen die Mitglieder Ihrer Organisation durch?"

Saghi Ghahramn: "Wir haben mit ALLEN Aspekten der iranischen LGBT Gruppe in und außerhalb Irans zu tun. Wir stehen unseren Asyl suchenden Klienten in Europa, Kanada und den USA zur Seite, wir sind daran beteiligt die Geschichte unserer LGBT sowohl zu archivieren als auch bekannt zu machen, durch: 1. Unsere eigenen Blogs und andere Medienblogs wie Radio Zamaneh, Koocheh, usw. 2. das IRQO Magazin Cherag und 3. den Aufbau eines Online LGBT Buchhandels und einer Bibliothek. Wir arbeiten eng zusammen mit anderen Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Reporters of Iran, Iran Human Rights Documentation Center, Human Rights Watch, usw. um unsere Stimme und unsere Botschaft breiter vernehmlich werden zu lassen. Wir sind behilflich bei der Aufklärung über die iranische LGBT community, die es im Iran gibt."

mehriran.de: "Wie viele Personen schätzen Sie, betrachten sich im Iran als schwul?"

Saghi Ghahramn: "Dazu haben gibt es keine Statistiken. Es sind nur einige transsexuelle Mitglieder der LGBT Gemeinschaft von staatlich anerkannten Instituten offiziell registriert. Es ist nicht möglich die Zahl der Schwulen und Lesben in Iran zu bestimmen, da sie häufig unerkannt oder im Untergrund leben. Was ganz und gar unmöglich scheint, ist die Zahl der Bisexuellen zu bestimmen, da dieser Begriff auf Farsi eine ganz andere Bedeutung hat. Was aber im allgemeinen bekannt ist, dass es in jeder Bevölkerung 7% Homosexuelle gibt. Darüber hinaus wissen wir, dass sich im letzten Jahrzehnt die LGBT Gemeinschaft in Iran via Internet und nur in größeren Städten lautstark zu Wort gemeldet hat, wenn auch unter vielfachen Pseudonymen und das zeigt uns, dass wir viele sind."

mehriran.de: "Wie viele sind geflüchtet?"
Saghi Ghahramn: "Laut den Statistiken von IRQO hatten wir jedes Jahr um die 100 Asylsuchende in der Türkei oder in Ländern wie Malaysia, Indien, Pakistan, Europa oder Nord-Amerika. Zusätzlich zu den Asylsuchenden gibt es eine große Anzahl von jungen Leuten, die den Iran verlassen, um im Westen zu studieren und normalerweise planen sie in den Iran zurückzugehen." 

mehriran.de: "Wie viele befinden sich in einer ähnlichen Situation wie Matin Yar?"

Saghi Ghahramn: "Beinahe jeder LGBT Asylsucher in der Türkei befindet sich in einer ähnlichen Lage wie Matin. Aber nicht jeder, der den Iran verlassen hat, war im Gefängnis oder war von der Todesstrafe bedroht wie er."

mehriran.de: "Warum sind diese Personen im Iran in Gefahr?"

Saghi Ghahramn: "Artikel 110 des Iranischen Strafgesetzbuches legt die Todesstrafe für Homosexualität oder sexuellen Kontakt zwischen zwei willigen Männern oder Frauen fest. Der Richter darf die Hinrichtungsart bestimmen. Der einzige Unterschied zwischen gleichgeschlechtlichen Männern und Frauen in der Bestrafung liegt darin, dass Frauen nach der vierten Verhaftung auf Grund der gleichen Vorwürfe hingerichtet werden. Doch das ist nicht alles, womit Homosexuelle im Iran konfrontiert werden. Die Tragödie beginnt schon in den Familien, die den Gedanken nicht ertragen ein homosexuelles Kind zu haben. Homosexuelle Jugendliche lernen schon früh im Leben, dass sie ihre Neigungen verbergen müssen, um elterlicher Strafe und Rage zu entgehen. Häufig töten die Eltern ihre eigenen Kinder als so eine Art Ehrenmord, oder sie werfen sie auf die Straße oder bei gebildeteren Eltern kommt es häufig vor, dass sie ihre Kinder Therapeuten oder Kliniken übergeben, um sie mit Hilfe von Elektroschocks wieder "normalgeschlechtlich" zu machen. Diese jungen Männer und Frauen werden gezwungen Behandlungen über sich ergehen zu lassen und über Jahre starke Medikamente zu nehmen. Viele sind von den Narben aus der Schock-Therapie und den Nebenwirkungen der Medikamente noch viele Jahre später gezeichnet. Wir sind überzeugt davon, dass die Eltern ihre Kinder auf diese Weise misshandeln und darauf bestehen sie wieder "normal" zu machen, weil sie Angst vor den Verhaftungen und Hinrichtungen von Homosexuellen haben und die Schande für die Familie vermeiden wollen. Wir glauben, dass die feindselige Haltung des Regimes gegenüber Homosexualität und den Rechten Homosexueller, verhindert, die Eltern und die Gesellschaft im allgemeinen über die Rechte der LGBT Individuen aufzuklären genauso zu leben und ihre gleichgeschlechtlichen Partner zu lieben, wie es die Mitglieder der Mainstream Gesellschaft auch im Rahmen ethischer Grenzen tun. Homosexuelle und Transsexuelle unterscheiden sich in Fragen des Respekts vor Moral und Anstand nicht von ihren Brüdern und Schwestern, wenn man ihnen nur eine Chance gewähren würde. Zusätzlich zu den Misshandlungen, die Schwule, Lesben und Transsexuelle durch das System, durch die Verwandten und die Gesellschaft erfahren, stehen ihre Chancen sehr schlecht eine Ausbildung durchzuführen, eine Karriere zu verfolgen und ein Heim mit Familie zu haben. Das bedeutet, dass diese Menschen vom Leben ausgeschlossen werden und gezwungen sind unter harten und hoffnungslosen Bedingungen für ihr Überleben zu sorgen."

mehriran.de: "Was erwarten Sie von Europäern in dieser Angelegenheit?"

Saghi Ghahramn: "Druck ausüben und Gespräche mit den Systemverantwortlichen und der Regierung Irans darüber führen, die Strafen für Homosexualität aus dem Gesetzbuch zu streichen. Iran hat die Menschenrechtserklärungen unterschrieben und muss sich somit an diese Vereinbarungen halten. Gleichermaßen können europäische Länder ihre Türen öffnen für Schwule, Lesben und Transsexuelle, denen nichts anderes übrig bleibt als aus den lebensbedrohenden Umständen zu fliehen. Sie brauchen das Umfeld sicherer und unterstützender Staaten. Obwohl es im Westen und besonders in europäischen Ländern Verständnis für die Bedingungen von Homosexuellen im Iran gibt, haben es die Behörden in Europa für LGBT Asylsucher unmöglich gemacht in ihren Ländern aufgenommen zu werden. Wir sind in ständigem Kontakt mit der Homosexuellen und Transsexuellen Gemeinschaft im Iran und stellen fest, dass keiner von ihnen seine Familie verlassen und flüchten will und sie dies erst tun, wenn man sie massiv bedroht und zwingt. Homosexuelle sind noch stärker als andere Iraner von ihren Eltern und ihrem Freundeskreis emotional abhängig. Kein Schwuler, keine Lesbe, kein Transsexueller hat bislang den Iran verlassen ohne vorher vor die Wahl zwischen Hinrichtung und Selbstmord gestellt worden zu sein. Europäische Staaten können Leben retten, wenn sie anerkennen, dass die Menschenrechte der iranischen LGBT verletzt werden und ihnen daher eine neue Heimat anbieten.

Links:

http://pglo.irqo.org | http://blog.irqo.org | www.irqo.org |

nevisht.wordpress.com/ketab-aval/

webcache.googleusercontent.com/search

www.queer.de/detail.php


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