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Mein Vater war eine zentrale Figur in meinem Leben. Nach der Trennung von Italo war er derjenige, der immer für mich und die Kinder da war, wenn wir ihn brauchten.Er half mir beim Renovieren der Wohnung, strich mit mir die Möbel der Kinderzimmer, holte die Kinder mit dem Auto ab, wenn ich mich mal sehr verspätete. Er liebte meine beiden Kinder sehr. Meine Eltern wollten auch oft die Kinder am Wochenende um sich haben und luden uns oft zu sich ein.
Mit ihm konnte ich meine Probleme besprechen, besser als wie mit meiner Mutter. Er war immer geduldig, ruhig und auf seine Art liebevoll. Er war ein fröhlicher und lustiger Mensch und die Kinder liebten ihn sehr. Für Marco war er die einzige männliche Bezugsperson und auch Bianca sagte mir erst vor Kurzem, dass mein Vater auch für sie wie ein Ersatzpapa war. Er war hilfsbereit und freizügig, intelligent und fleißig - er war einfach ein toller Mensch.
Niemand rechnete mit seinem Tod. Er war immer gesund gewesen. Nur einmal, 10 Jahre zuvor, war er sehr krank gewesen. Er hatte Wasseransammlungen in der Lunge bekommen und musste ins Krankenhaus. Danach wollte er mit dem Rauchen aufhören, schaffte es aber nicht. Er entschied sich, keinen Tropfen Alkohol mehr nach dieser Geschichte zu trinken, aber die Zigaretten begleiteten ihn weiterhin...30-40 Stück am Tag.
In letzter Zeit war er etwas kurzatmig geworden. Jeder riet ihm daher, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Und ab und zu konnte er auch von einer Sekunde auf die andere ganz weiß im Gesicht werden. Wenn man ihn dann darauf ansprach, tat er es als Bagatelle ab. Er werde schließlich auch älter, meinte er manchmal, das sei nichts als ein ganz normales Zipperlein.
Niemand machte sich ernsthaft Sorgen um ihn, nur meine Mutter drängte ihn immer wieder, doch seine Lunge mal untersuchen zu lassen, da es in seiner Brust nachts, wenn er schlief,. ganz schön pfiff und rasselte, kein Wunder bei dem jahrzehntelangen, starken Zigarettenkonsum. Er ging nie zu solch einer Untersuchung. Er ging eigentlich sowieso so gut wie nie zum Arzt.
An seinem Todestag, es war ein Samstag, saß er wie üblich in seiner Wohnung und montierte seine Schieferuhren. Meine Mutter sagte, es ging ihm gut. Dann bat sie ihn, sich um die kaputte Glühlampe in der Küche zu kümmern. Bei dieser Über-Kopf-Arbeit ging es ihm schon schlecht. Er sagte, er habe etwas Kreislaufschwierigkeiten und wolle sich nach dem Mittagessen etwas auf die Wohnzimmercouch zum Ausruhen legen. Das tat mein Vater dann auch und schlief ein. Meine Mutter war auch müde, sie legte sich ins Schlafzimmer ins Bett, um ebenfalls ein kleines Nickerchen zu machen.
Sie wachte auf, weil sie meinen Vater laut stöhnen hörte. Erschrocken stand sie auf, um nach ihm zu schauen. Doch da war es schon zu spät. In ihrer Panik rief meine Mutter die Nachbarn und den Notarztwagen. Der Notarzt versuchte meinen Vater mit Elektroschocks wieder zu beleben und hatte auch kurzzeitig Erfolg, doch dann verlor er ihn wieder.
Mein Vater war tot, gestorben an seinem ersten und einzigen Herzinfarkt.
Weinend und total aufgelöst rief meine Mutter meinen Bruder und mich an. Ich konnte es nicht glauben. Das war so unverhofft und unerwartet geschehen. Mein Vater, mein Fels in der Brandung, war gegangen und würde niemals wieder kommen. Ich sagte meiner Mutter, dass ich gleich losfahren würde und bald bei ihr sein würde. Doch sie wollte das nicht, ihre Schwester war bereits bei ihr und sie sagte, ich solle an die Kinder denken und bei ihnen zuhause bleiben. Hier würde bereits alles geregelt und in dieWege geleitet werden und sie würde mit ihrer Schwester nach Schwäbisch Hall gehen, dort wohnte sie. Erst am nächsten Tag wollte meine Mutter uns Kinder sehen. So verabredeten wir uns am späten Nachmittag bei meiner Tante, ich hatte keine Wahl,. ich konnte die Kinder nicht alleine lassen und wollte sie dieser Situation auch nicht aussetzen.
So blieb meine Mutter selbstgewählt alleine mit ihrem Schmerz, den geliebten Partner nach 36 Jahren für immer verloren zu haben.
Auch ich war alleine mit dieser Situation und musste meinen Kindern nun schonend beibringen, dass ihr geliebter Opa gestorben war. Bianca war damals knapp 12 Jahre alt, Marco war 9 Jahre alt. Ich rief beide zu mir und versuchte ihnen mit Tränen in den Augen die traurige Wahrheit zu sagen. Beide fingen sofort an zu weinen und schmiegten sich an mich, damit ich sie trösten konnte. Sie konnten es nicht verstehen und wichen nicht mehr von meiner Seite. Ich selbst war hilflos und mit der Situation überfordert. So viel ging mir durch den Kopf, die Trauer zerriss mich fast, doch ich musste für meine Kinder stark sein und riss mich zusammen, so gut ich konnte.
Ich telefonierte mit Italo und bat ihn, am nächsten Tag auf die Kinder aufzupassen. Er sagte sofort zu, mehr noch, eine halbe Stunde nach unserem Telefonat stand er bei uns vor der Türe und bot uns seine Hilfe an. Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Doch es gab nichts zu helfen. Mit unserem Schmerz mussten wir selbst fertig werden.
Erst am Abend, als die Kinder im Bett waren, hatte ich Zeit, mich mit der Situation auseinander zu setzen.
Dieser plötzliche Abschied von meinem Vater fiel mir besonders schwer, denn ich hatte ihn mehrere Monate nicht mehr gesehen, meine Mutter auch nicht. Wir hatten uns gestritten, das war der Grund, dass wir die letzten Monate kaum Kontakt hatten.
Meine Kinder waren ja öfters bei meinen Eltern in ihrem Laden, wenn ich länger arbeiten war. Das war sicher eine doppelte Belastung für sie und manchmal lagen auch die Nerven etwas blank. Eines Abends betrat ich den Laden, um die Kinder abzuholen, da sah ich, wie meine Mutter Marco auf die Finger schlug und mit ihm schimpfte. Ich war sehr erschrocken und fragte sie, was denn passiert wäre, da erzählte sie mir, Marco hätte sich ungefragt eine Süßigkeit geholt, obwohl sie ihm gesagt habe, dass er erst immer fragen müsse, bevor er sich etwas holen dürfe. Ich nahm meine Mutter zur Seite und sagte ihr, dass ich nicht dulden würde, dass meine Kinder geschlagen werden, auch nicht von ihr. Aber sie verschloss sich meiner Argumentation und wollte sich von mir nicht vorschreiben lassen, wie sie mit ihren Enkeln umzugehen habe. Mein Vater hielt zu meiner Mutter und ein Wort gab das andere. Zum Schluss sagte ich meinen Eltern, dass ich meine Kinder solange nicht mehr zu ihnen lassen würde, bis sie mir versprechen würden, dass keines meiner Kinder jemals wieder geschlagen werden würde.
Ich hielt mich an meine Worte und so kam es, dass meine Kinder und ich keinen Kontakt zu meinen Eltern hatten.
Und jetzt war mein Vater tot. Ich konnte keinen Frieden mehr mit ihm schließen, konnte ihm nicht mehr sagen, wie lieb ich ihn hatte. Er war gegangen und wir hatten uns nicht mehr ausgesprochen. Das lastete schwer auf mir.
Die Beerdigung ein paar Tage später durchlebte ich wie in Trance. Der Schmerz wollte einfach nicht aufhören. Der Gedanke, dass ich meinen Vater gehen lassen musste, ohne nochmals mit ihm sprechen zu können, war unerträglich. Warum nur war ich so dickköpfig gewesen und hatte nicht als erste die Hand zur Versöhnung gereicht?
Diesen Vorwurf mache ich mir heute manchmal noch. Ich habe heute noch nicht richtig mit dem Tod meines Vaters abgeschlossen. Er hat eine große Lücke hinterlassen und wir alle vermissen ihn sehr, allen voran meine Mutter.
Sie gab das Geschäft auf, alleine konnte sie es nicht weiterführen. Sie verkaufte die Wohnung, in der meine Eltern so glücklich waren und fing nochmals ganz von vorne an. An dieser Stelle möchte ich meiner Mutter meinen Respekt aussprechen. Mein Vater und sie waren immer eine Einheit. Ich hatte starke Zweifel, dass sie ein Leben ohne ihn und auf sich alleine gestellt in den Griff bekommen würde. Aber sie hat sich durchgekämpft und lebt heute zufrieden und selbständig in ihrer Wohnung in Schwäbisch Hall. Mein Vater wäre stolz auf sie.
Seit dem Tod meines Vaters war auch ich noch mehr auf mich selbst gestellt. Er fehlte mir, überall. Doch das Leben ging weiter und ich musste unser Leben ohne ihn in den Griff kriegen. Auch wir schafften es.
Ich erinnere mich noch, dass ich nach der Beerdigung nach Hause fuhr und dabei die Wolken am Himmel, die weiter zogen, beobachtete. "Die Erde dreht sich einfach weiter, der Wind weht die Wolken einfach weiter, als ob nichts geschehen wäre!" dachte ich. Für mich stand an diesen Tagen die Erde still, doch um mich rum drehte sich alles weiter.
Das war ein Moment, in dem ich mir die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte, mich fragte, was nach dem Tod kommen würde. "Das kann doch nicht alles gewesen sein!" dachte ich. "Jahrzehntelang hat mein Vater geschuftet und sich kaum was gegönnt. Und nun soll plötzlich alles vorbei sein?"
Ich suchte nach Trost, nach Erklärungen, nach Beweisen für ein Leben nach dem Tod.
Ich entschloss mich, mich wieder mehr mit Gott zu beschäftigen.