Ich empfand den Vorschlag als prima Idee und kluge Entscheidung, denn manche Serien sind so tief in den Urschlamm des DC-Kosmos eingeschrieben, dass ich niemals auch nur ein Minimum der Anspielungen, Zitate und Persiflagen bemerkt hätte - andere schon, also arbeitsteilige Recherche, feine Sache fand ich ...
...daher kümmerte ich mich um 3 Serien des The New 52-Kontinuums, die durchaus auch ihren Platz im Lande Vertigo hätten finden könnten. Gemeint sind Animal Man, Swamp Thing & Frankenstein, Agent of S.H.A.D.E..
Animal Man (Text: Jeff Lemire + Bild: Dan Green + Travel Foreman)
Es ist beinahe folgerichtig, dass sich der feinsinnigste Skripter/Storyboarder der aktuellen Vertigo-Schreibergilde, an der dezidiert sozialkritischen und der nicht selten in einem ergeblichen Maße moralphilosophisch aufgeladenen Animal Man-Serie versuchen darf.
Ob er an die comicgeschichtlichen Höheflüge eines Grant Morrison anknüpfen kann, der insbesondere hier den Boden für eine "erwachsenere" Form des Comics bereitete, muss abgewartet werden. Die Wahl jedoch, ihn mit dem Relaunch zu betreuen kann ich nur begrüßen.
Denn seine brillant inszenierten, phantastischen Charakterstudien haben bislang jeden seiner Comics zu etwas Außergewöhnlichem gemacht. Nun nimmt sich also der Psyche des Buddy Baker an, der qua Superkraft mit Tieren kommunizieren kann und natürlich noch vieles mehr, von dem der arrogante menschliche Geist nichts mehr ahnt.
Im Mittelpunkt der Serie stehen Fragen nach Tierrechten, Vegetarismus, dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier, aber auch die Konflikte zwischen Über- und Standardmensch, denn Baker hat die Superheldenzunft verlassen und versucht ein ganz normales Leben als nichtflugbegabter Familienvater zu führen.
Wie bei jeder gelungenen Heldengeschichte reibt sich auch hier der Mensch im Mittelpunkt auf zwischen dem Familienalltag und dem Leben als umherfliegender, gestaltenwandelnder Supermensch. Lemire beobachtet und kartographiert diese Spannungen gewohnt aufmerksam, addiert ein wenig subtiles Grauen, einen Schuss Neuzeitromantik (denn Ellen liebt ihren Animal Man wirklich) und schafft so das Fundament für eine hochspannende, intelligente Serie, auf deren Verlauf ich sehr gespannt bin.
Swamp Thing (Text: Scott Snyder + Bild: Yanick Paquette)
Ähnlich ökologisch bewusst argumentiert auch Swamp Thing, die neue Serie um das (neben Frankensteins Kreatur) bekannteste missverstandene Geschöpf, dass nicht Monster genannt werden will. Snyder betritt hier natürlich äußerst dünnes Eis, muss er doch mit den genreprägenden Geschichten Moores konkurrieren, Schuhe, die manch einem deutlich zu weit wären.
Alec Holland, eine ikonisch gewordene Figur, mit einem unglaublich reichhaltigen und raffinierten Hintergrundskosmos als junger, aufstrebender Storyboarder zu erben, so etwas kann durchaus als Glücksfall bezeichnet werden, aber auch als riskantes Unterfangen - die Fallhöhe hier ist immens und der Neid der ausgestochenden Kollegen sicherlich nicht gering.
Mein erster Eindruck ist folgender: Snyder weiss' sehr genau was er tut, verfolgt eine klare, eigenständige Idee, bettet die Figur in neue, stimmige Zusammenhängen ein und mir scheint er könnte die ohnehin schon vielstimmige Geschichte um das Ding aus dem Sumpf weiterbereichern.
Mir gefällt besonders die schonungslose Inszenierung der massiven Zerissenheit des Charakters, welcher sich losgesagt hat vom Leben als Superheld. Der nur noch er sein will, ein Mensch sein will, ohne Gabe und Verantwortung.
Holland hält sich versteckt, stört jeden Kanal, der eine Signatur seiner Kräfte preisgeben könnte und weigert sich - aller demütigen Bitten des Schützers von Metropolis zum Trotz - dem Heldenteam zu assistieren. Das Etwas aus dem Sumpf ist seines Lebens als lebendiger Lackmustest überdrüssig geworden, will nicht mehr der sensible Chronist des Kollaps der Ökosysteme sein und ist doch nicht frei zu entscheiden, seine Gabe und Bürde holt ihn in seinen Träumen immer wieder ein,
Snyder präsentiert ein eindrucksvolles Debüt als Skripter, dass sich vor den brillanten Narrativen seiner zahlreichen prominenten Vorgänger definitiv nicht verstecken muss.
Frankenstein, Agent of S.H.A.D.E. (Text: Jeff Lemire + Bild: Alberto Porticelli)
Dass Lemire nicht nur nachdenkliche, schwermütige, psychologisch vertrackte Kost beherrscht, beweist er eindrucksvoll mit dem verflucht unterhaltsame ersten Teil der offensichtlichen Shield-Persiflage - Frankenstein, Agent of S.H.A.D.E.
Wie es sich für jeden seriösen Comic-Kosmos gehört besitzt auch das aktuelle Kontinuum eine supergemeine, supergeheime, per Akronym bezeichnete Spezialeinheit, die die schaurigsten, hochbegabten Mutanten der Achse des Guten unter ihrem Banner vereint.
In diesem Fall lautet die vollständige Bezeichnung dieser (niemals offiziell bestätigten) Kostenstelle: Super Human Advanced Defense Executive - auch als "the latest pet project of S.H.A.D.E. science division" (Zitat Frankensteins Daddy, gegenwärtig in einem Umbrella-Academy-lässt-grüssen-Mädchenleib heimisch) bekannt.
Hier finden wir auf der Habenseite Frankensteins Geschöpf (hier fälschlicherweise unter dem Doktorennamen auftretend), eine Mumie unbestimmtes Alters, begabt in zahlreichen antiken Nahkampfkniffen, ein geflügelter, blutschlürfender, hybrider Laborkarpate, ein hochgewachsener, bepelzter, eher mürrisch dreinschauender Lupiner, sicherlich der (Wolfs-)Mann fürs Grobe und eine wohl proportionierte Amphibiendame, für deren Telefonnummer Abe Sapien sicherlich drei seiner blauschimmernden Kiemen bieten würde, wäre er in diesem Kontinuum heimisch.
Kurz um, mal versammelt im Team einmal die komplette Reige der allzukreatürlichen Kreaturen und lässt sie intelligenten Spass haben. Klingt zwar erstmal eher bescheiden - aber Lemire würde nicht von so vielen verschiedenen Seiten mit Lob & wohlwollender Kritik bedacht werden, wenn er nicht aus dieser Standardsituation eine hinreissende Geschichte mit Dialogwitz, irrsinnigen Einfällen (ich sag nur Doktorenkörper) und schicken Genre-Reformulierungen zusammenfabulieren könnte. Mann, wo will dieses Wunderkind eigentlich noch hinwuchern?
Über die restlichen Serien des Relaunchs kann ich nichts sagen, da muss ich mich auf das hinreissend vielstimmige Echo der Besprechungen der Magnificent Six stützen, aber anhand dieses kleinen Ausschnitts aus dem neuen DC-Kosmos kann ich nur sagen - es sind fähige Skripter, begnadete Zeichner, gekonnt gebrochene Figuren, spannende Erzählungen und wunderbar durchgeknallte Ideen am Werk - ein ziemlich positives Resümee für den (Neu-)Start dieses Kosmos - chapeau, ich hoffe auf gleichbleibende Qualität!