Mein Schreibplatz

Von Vera Nentwich @veraswelt
Kreativität ist ein sensibles Ding. Es will sich nicht mit Gewalt einstellen, sondern gebeten werden. Es verlangt nach inspirierender Umgebung und sorgfältiger Beachtung. Manche Menschen benötigen völlige Ruhe und Abgeschiedenheit, damit sie die Muse küsst und die Kreativität zum Erblühen bringt. Andere brauchen besondere Rituale, die immer exakt gleich abgespielt werden müssen, damit sie beglückt werden. Ich brauche die belebende Atmosphäre meines Lieblingsbistros. Sobald es meine Zeit zulässt, zumeist wochenends, mache ich mich auf den Weg in die große Stadt, um mit den Gongschlag Neun in diesen Hort des Lebens einzutreten und meinen Stammplatz einzunehmen. Ein freundliches Hallo schallt mir entgegen und es dauert nicht lange, bis ein dampfender Milchkaffee neben mir steht. Ich blättere kurz durch die mitgebrachte Zeitung, bis mein Frühstück mit dem köstlichen Landbrot kommt und darauf drängt, genossen zu werden. In meinem Kopf läuft die Geschichte aus meinem aktuellen Projekt bereits in mehreren Variationen ab. Kaum ist der letzte Bissen vertilgt, kann ich dem unbändigen Drang, nun endlich die Geschichte weiterzutreiben, nicht mehr widerstehen und klappe mein mitgebrachtes Netbook auf. Die Worte und Sätze strömen aus mir heraus und die Stimmen und Geräusche um mich herum werden zu einem fernen Rauschen, wie das Rauschen eines blauen Meeres, das einem zwar nichts sagen möchte, aber durch seine schiere Existenz elementar zum Wohlbefinden beiträgt.
Irgendwann schaue ich über den kleinen Bildschirm meines Netbooks hinweg und stelle fest, dass sich der Tisch um mich herum gefüllt hat. Ich nehme den letzten Schluck Milchkaffee, der in der Zwischenzeit schon kalt geworden ist, und klappe das Netbook zusammen. Einmal noch atme ich die magische Atmosphäre des Lokals ein. Dann zahle ich, wechsele ein paar Worte mit dem netten Personal und gehe zurück in meine Welt.
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