Nachdem ich nun seit fast 2 Monaten im neuen Projekt arbeite ist mein Arbeitstag endlich strukturiert genug um euch einen klassischen Tagesablauf präsentieren zu können.
Um 10 Uhr beginnt mein Tag im Office, welches im Stadtteil Wadgaonsheri liegt, etwa 3 Kilometer von unserer Wohnung entfernt. Zuerst gehe ich meistens in die Küche, wo meine offizielle Jahresersatzmutter, die ich mal aus Spaß so benannt habe, auch jetzt jeden Tag ihren mütterlichen Pflichten nachgeht, ihren „Sohn“ begrüßt und mich mit Chai versorgt.
Danach beginnt der erste Teil meines täglichen Unterrichts. 5 Kinder stehen täglich von 10 – 11:30 unter meiner Fuchtel. Das sind: Narsima, der als Kind gestohlen und zum Betteln benutzt wurde, Sunny, ebenfalls ehemaliges Bettlerkind, Aashisch, der zusammen mit seiner Mutter nach Maher kam, Nikil, und Wipul, die beide psychisch kranke Eltern haben und deswegen in der Obhut von Maher leben. Alle sind unterschiedlich alt und auf total verschiedenen Leistungsniveaus, weswegen ich meinen Unterricht auch in Blöcke à 30 Minuten aufgeteilt habe, in denen ich Einzelunterricht erteile. Da die Kinder nicht nach Leistungsniveau, sondern nach Alter den einzelnen Klassen zugeordnet werden, viele kommen ja erst sehr spät nach Maher, lässt sich selbst mit Schülern aus derselben Klasse kein gemeinsamer Unterricht halten. Eigentlich sollte ich den Kindern nur Englischunterricht geben, doch da meine Schüler alle so schlecht sind, bin ich eher „Uncle für Alles“ und gebe erstmal nur Hausaufgabenbetreuung, in der Hoffnung, dass die Prüfungen das nächste Mal wenigstens von ein paar Kindern bestanden werden. Dass fast alle durchfallen ist aber keine Überraschung. Staatliche Schule in Indien sieht nämlich so aus: ~ 60 Kinder in einem Raum, autoritärer Kollektivunterricht, bei dem der Lehrstoff plus Lösungswege vorgegeben werden und auswendig gelernt werden müssen. Zur Not wird halt dem Gedächtnis auch mal mit ein paar Schlägen auf die Sprünge geholfen. Kopieren ist hier sowieso sehr beliebt. Es zählt nicht, dass der Schüler das Lösungsprinzip verstanden hat, sondern nur das Ergebnis auf dem Papier, was in 80% aller Fälle abgeschrieben wurde. Diese Angewohnheit setzt sich natürlich auch in meinem Unterricht fort, weswegen ein nettes, auf Edding basierendes System nun eingreift, falls jemand was vorsagt oder abschreibt. Vorsagen gibt einen Kreis, Abschreiben ein X auf die Hand, bzw. mittlerweile Arm. Irgendwo muss man sich ja Platz schaffen.
Um 12 kommen dann die Kleinsten wieder aus der Schule. Das sind: Jyoti, Tuchar, Sankit und Nandini. Tuchars blaues Auge kommt übrigens nicht von Schlägen meinerseits, er ist beim Fangen spielen gegen eine Eisenstange gerannt. Mit ihnen mache ich auch Hausaufgaben, wobei „Hausaufgaben“ aus Früchte-, Tiere-, Pflanzen-malen, sowie Zählspielen etc. bestehen. Ich hab jedenfalls immer jede Menge Spaß dabei. Tuchars blaues Auge stammt übrigens nicht von Schlägen meinerseits, sondern von Steinwürfen seiner Schwester Nandini.
Danach gibt es erst mal Mittagessen um 1. Das besteht eigentlich immer aus den selben Gerichten, also Reis, Dhal, und Chapati, jedoch variieren dann die zusätzlichen Gemüsegerichte. Anfangs wurde für uns extra noch unscharf gekocht, mittlerweile wird darauf verzichtet, sehr zu Janas Leid und meiner Freude. Ich denke deutsches Essen wird in der ersten Zeit ziemlich Fad sein.
Nach dem Mittagessen verbringe ich meine Zeit mit PC-Arbeit. Diese besteht in erster Linie aus Adressen. Ich und Jana wurden nämlich beauftragt, die jahrelang gesammelten Datenbestände in ein digitales Adressbuch zu übertragen. Das kann auf Dauer sehr nervtötend sein, und der Kopf ist nach mindestens einer Stunde totaler Matsch, was theoretischerweise an Namen wie: Korveh P. Radhakrishnamenon, Swami Sachidananda Bharathi, und Sr. Annamma Jeevanjali liegen könnte. Damit ihr eine Vorstellung bekommt wie viele Adressen vorhanden sind: Maher hat Spendenadressen in der ganzen Welt. Von Deutschland, über Österreich, Frankreich, den USA, bis nach Südamerika, Indien, und nach Thailand. Allein für Pune existieren über 100 Seiten Worddokumente.
Von 4-5 habe ich dann noch einmal Unterricht mit den 2 ältesten Kinder im Projekt. Aniket und Akshay sind in der fünften und achten Klasse und Unterrichten mit ihnen ist meistens sehr entspannt. Beide sind wissbegierig, intelligent und spielen meistens hinterher noch mit eine Runde Cricket auf der freiligenden Fläche vor dem Projekt.