Mein persönlicher und politischer Jahresrückblick


"Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch doch an, wohin uns die Normalen gebracht haben." George Bernhard Shaw
Dies ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Jahr 2011. Dadurch unterscheidet sich der Jahresrückblick sicher deutlich davon, was man sonst gewöhnt ist. Doch bereits in einem meiner ersten Posts stellte ich die Frage „Wie persönlich darf Journalismus sein?“. Meine Antwort heute wie damals: Er muss es in meinen Augen sein. Es gibt keine vollständige Objektivität. Ich denke sogar es ist fairer die eigene Person in die Auseinandersetzung mit politischen Themen miteinzubeziehen. Das funktioniert natürlich nur, wenn man dabei die eigene Person reflektiert und die eigene Meinung auch als solche benennt. Darum bemühe ich mich redlich. Im Übrigen habe ich keine Mittel, um investigativ tätig zu sein.
Gerade in der heutigen Medienwelt voller Manipulation und dem starken Einfluss von Wirtschaft und Politik auf die Medien, einem Prozess, bei dem immer mehr Medienhäuser ihre Unabhängigkeit verloren haben, ist eine Bewertung der angeblich objektiven Ticker-Meldungen notwendig. Gerade die vielen Blogs zielen zumeist auf eine neue Art der Öffentlichkeit und Transparenz ab. Für mich zeigt der Film „good night and good luck“ sehr deutlich wie wichtig unabhängiger Journalismus ist, der dennoch persönliche Meinung vertritt. Gleichzeitig kann die Argumentation dennoch ausgewogen sein. Ziel für mich ist also immer nicht nur Pro oder Contra zu sein, sondern beide Haltungen zu überdenken. Eine Lösung, die konsensfähig ist, ist ohnehin niemals schwarz oder weiß, auch wenn eine immer oberflächlichere Medienwelt das suggeriert.
Doch selbstverständlich gibt es noch erfreuliche Beispiele fundierten und kritischen Journalismus und ich bemühe mich durch die Verlinkungen auf diese hinzuweisen. Gleichzeitig dienen Netzwerke wie Facebook und Twitter auch immer stärker der politischen Vernetzung. Viele Individuen setzen sich mit Artikel und Videos auseinander, bewertet und diskutiert diese, bevor sie anderen zugänglich gemacht wird. Das führt zu einer ganz anderem Umgang mit Medien. Schön auch das Zitat von Albert Einstein: "Wir können Probleme nicht mit den Denkmustern lösen, die zu ihnen geführt haben. Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will."
So ergibt sich ein eine Art Schneeballsystem. Ist man erst mal gut vernetzt, merkt man irgendwann, dass man dieselben Artikel von verschiedenen Ecken gleichzeitig zur Verfügung gestellt bekommt. Das spricht für mich für eine enorme Vernetzungsdichte. Zusätzlich gibt es immer mehr Multiplikatoren; Netzwerke wie "„Echte Demokratie Jetzt“, „Onlineaktivisten“, „Anonymus“, die verschiedenen „Occupy“-Camps oder –Bewegungen. Die Netze reichen inzwischen auch über Länder- und Kontinent-Grenzen. Dabei ist ein ganz neues Gefühl der Solidarität und Zusammengehörigkeit entstanden. Das lässt hoffen! Selbst wenn die besonders Engagierten eine im Bevölkerungsvergleich kleine Gruppe darstellen mögen, so werden die Systeme immer relevanter und mächtiger, Was wiederum eine große Sensibilität und Reflexion des Einzelnen voraussetzt. Doch ich bin guter Hoffnung, dass wir weiter Populismen und Verschwörungstheorien widerstehen können. Und so zählt jeder Einzelner – wie auch Margarte Mead schön darlegt: "Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann - tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde."
Aus dem Zusammenschluss Vieler können sich wiederum neue Gesellschaftssysteme entwickeln, die wir so dringend brauchen! Es gilt um eine neue Ethik zu kämpfen, die Gerechtigkeit ermöglicht.  Ein Fundstück aus der Website des „Tahiti-Projekts“: „Aus der Erkenntnis heraus, dass wir auf den heute beschrittenen Wegen in immer verheerendere Katastrophen sowohl ökonomischer als auch sozialer, vor allem aber ökologischer Art geraten, wollen wir den offenbar handlungsunfähigen Politikern, die tagtäglich Alternativlosigkeit propagieren, zeigen, wie ein Ausweg aussehen kann. In erster Linie geht es uns aber darum, den Bürgern eine andere, eine bessere Welt plastisch erlebbar zu machen. Wir beobachten ja täglich das Paradox, dass die Leute zwar sehen, dass das derzeitige System nicht funktioniert, sie aber trotzdem jedem neuen Vorschlag äußerst skeptisch gegenübertreten. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sie sich jede Veränderung auf einem Gebiet im bestehenden System vorstellen, und da kann vieles nicht funktionieren, weil Altes und Neues nicht zusammenpassen.“
 
Nach diesem Vorgriff auf das für mich zentrale Thema 2011, dem friedlichen Widerstand gegen das herrschende System nun also zurück zum Beginn des Jahres und einigen Anekdoten:
Das letzte Neujahr verbrachte ich in Goa – umgeben von vielen Freunden, die ich während meiner drei Aufenthalte dort zwischen 2009 und 2010/11 kennen lernen durfte. Es war ein phantastisches Erlebnis. Ich verpasste sogar das Feuerwerk; so sehr war das kleine Paradies, das ich dort gefunden hatte in diesem  Moment geprägt von Verbundenheit und Liebe. Die Musik war international: Eine liebe Freundin sang auf Hindi, Englisch und Französisch; ein Engländer organisierte eine Spontanperformance, an der neben ihm auch einige indische Künstler und ein afrikanischer Rastafari teilnahmen. Was für eine Einstimmung auf das Jahr 2012. Wir müssen so viel Wärme ausgestrahlt haben, dass man uns sicher auch vom Weltall hatte sehen können…
Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass ich nicht nur auf meinen Reisen weiter internationale Kontakte haben würde, sondern dass das Jahr 2011 von sich solidarisierenden Protesten in großen Teilen der arabischen Welt und später in Europa, Nord- und Südamerika oder Australien geprägt sein würde. Nachdem die iranische Revolution im Sommer 2010 leider nicht zu dauernden Veränderungen hatte führen können, waren es zum Jahreswechsel 2010/2011 die Tunesier, die den Aufstand gegen ihr Regime probten. Später sollten auch Ägypten, Lybien, Bahrain und Syrien folgen. Noch immer sind Proteste in Ägypten und in Syrien aktuell. In Ägypten hat noch immer das Militär die Macht und die schrecklichen Bilder aus Syrien dürften jedem bekannt sein. Die Diktatoren bzw. Oberschichten klammern sich an ihre Macht. Vielfach herrscht Angst unter ihnen, dass sie nach Jahren der Unterdrückung nun selbst um ihr Leben fürchten müssen.
In diesem Januar hatte ich erneut meine indische Freundin besucht und als ich nun weiterzog endete alles im Desaster. Während sie sich immer mehr dem Westen zuwendet, strebe ich immer stärker nach Weisheit aus den östlichen Kulturen. Ein Kontrast, der immer wieder meine Reisen durch Asien geprägt hat. Der Kapitalismus erscheint dort sehr erstrebenswert; verspricht er doch Wohlstand und Fortschritt. Die Schattenseiten von Umweltzerstörung und Verlust der lokalen Kulturen, wird erst in den nächsten Jahren sichtbar bzw. unübersehbar werden. Die Entwicklung zum Kapitalismus schreitet dort in unglaublicher Geschwindigkeit voran. Was hier in Europa und in Nordamerika seit der Industrialisierung über zweihundert Jahre hinweg entwickelt hat, geschieht dort rasend. Wenn man betrachtet, welche Probleme die schnelllebige, industrialisierte und technologisierte Gesellschaft für viele Menschen hierzulande bedeutet (psychische Erkrankungen, Arbeitsplatzverlust, Abstumpfung, Unfähigkeit zur Anpassung und eine zunehmende Reizüberflutung), der kann in etwa erahnen, was die Veränderungen dort bedeuten werden.
Nach einem zugleich faszinierenden aber auch verstörenden Aufenthalt in Bombay reiste ich Mitte Januar nach Thailand. Die indischen Städte sind unglaublich. Die Hälfte der Einwohner von Bombay lebt in Slums, während Bombay inzwischen als 10. Größter Börsenplatz der Welt gilt - Das führte zu einer Elite, die für indische Verhältnisse astronomische Vermögen besitzen. Die Stadt wächst rasant. Die ökologischen und sozialen Probleme sind dabei deutlich sichtbar. Doch eines hat mich in Indien immer fasziniert. Der Zusammenhalt innerhalb der sozialen Schichten. Diese Wärme vermisse ich so sehr hier in Deutschland und das war ein wesentlicher Grund, Deutschland den Rücken zu kehren. Doch natürlich gibt es auch hierzulande tolle Menschen, alternative Lebensformen und vielleicht finde auch ich irgendwann eine Nische.
Thailand fand ich trotz mancher schönen Begegnung mit den Einheimischen und tollen Landschaften abstoßend. Nachdem Indien das große Abenteuer bedeutet hatte, war Reisen innerhalb Thailands kinderleicht. So zog es viele Urlauber an, um die ich am liebsten einen großen Bogen machte. Selbstherrlichkeit ist mir selten in so einer Konzentration begegnet. Von der allgegenwärtigen Prostitution ganz zu schweigen. Ich kam mir genauso vor wie in der westlichen Welt –  alles erschien mir sogar noch oberflächlicher und noch reizintensiver. Offenbar hatte ich mich auch viel weiter als ohnehin von der westlichen Kultur entfernt. Natürlich traf ich noch immer spannende Individualreisende, mit denen ich mich verbunden fühlte. Doch nach einem Besuch auf der total kommerzialisierten „Full Moon Party“, auf der ich der Eimer-Unkultur begegnete, der ich durch ein Fernbleiben von Mallorca bisher glücklicherweise entkommen war. So war ich froh Thailand zu verlassen und Anfang Februar nach Laos vorzustoßen.
Immer wieder las ich über die Proteste in der arabischen Welt – voller Bewunderung und Verwunderung nahm ich das zur Kenntnis. Doch bald würde auch mich die Politik einholen. Zuerst einmal jedoch verbrachte ich zwei Wochen im Norden Laos – in Luang Prabang – dem spirituellen Zentrum des Buddhismus in Laos. Ich fühlte mich pudelwohl – frei wie ein Vogel. Ähnlich wie die Hippies war ich auf meiner Reise immer wieder für längere Phasen dem westlichen Zeitgefühl entkommen. Ich reiste und lebte bewusst und nichts konnte mich hetzen. Ich lebte mit kurzen Unterbrechungen in diesen Monaten bis zum Ende meiner mit zwei kurzen Unterbrechungen insgesamt 20-monatigen Reise völlig im Moment. Ich machte mir keine Gedanken über die Vergangenheit oder Sorgen über die Zukunft. Wie frei Menschen sein können. Ich hoffe eines Tages tritt ein Grundeinkommen an die Stelle eines Systems, das zur Arbeit zwingt, obwohl es gar nicht genug Arbeit zum Verteilen gibt. Wie viel Kreativität und Ehrenamt würde möglich, wie viel Angst und Diskriminierungen verschwände. Es gäbe nur zu gewinnen!
Was ich dann im Nordosten von Laos erfuhr, erzürnte mich extrem: Ich erfuhr über die CIA-Geheimoperation der Amerikaner. Während des Vietnamkriegs hatte man ohne jemals den Krieg zu erklären, fliehende Verbände der Vietcong nach Laos hinein verfolgt. Man zerbombte ganze Regionen, in denen die Laoten in Dörfern noch so lebten wie bereits seit Jahrhunderten. Sie wussten gar nicht wie ihnen geschah. Sogar nach Ende des Vietnam-Feldzuges ging der Beschuss weiter  – heftiger denn je zuvor. So fielen auf einen Einwohner von Laos 2 Tonnen Bomben und es wurden mehr Bomben abgeworfen als auf Deutschland in beiden Weltkriegen. Unvorstellbar! Und noch immer setzt das US-Militär die eigentlich geächteten Clusterbomben ein. Erst ein Exsoldat, der an seiner Schuld zu zerbrechen drohte, machte das Thema in den USA öffentlich und führte zum Ende des wahnsinnigen Bombardements. Doch bis heute gab es keine Entschuldigung und der Beitrag zur Beseitigung der noch heute Millionen Mienen ist beschämend. Noch heute kommt es in Laos zu Hungersnöten durch die geringe Anbaufläche und viele Menschen sterben durch Mienen.
Mein nächstes Ziel war Kambodscha; ein Land das gezeichnet ist vom Terror der „roten Khmer“, die ein ähnlich perfides System wie die Nazis installiert hatten. Diesem Wahnsinn war fast die ganze heutige Großelterngeneration zum Opfer gefallen. Ich hatte noch zu knabbern an meinen Erfahrungen in Laos. Doch manchmal dachte ich daran, was wir im Westen vielfach mit unseren Großeltern machen: Entmündigen und abschieben in häufig menschenunwürdige Altersheime. Anstatt von dem großen Erfahrungsschatz zu profitieren, der uns lehren könnte, nicht immer und immer wieder die gleichen Fehler zu begehen. So wird Rassismus immer zu bekämpfen sein! Die aktuellen Ereignisse bezüglich des Naziterrors haben mich wenig überrascht. Ich hoffe, es kommt in Zukunft nicht mehr zu solch einer Unterschätzung rechten Terrors. Man könnte ja mal damit aufhören, Politiker der Linken zu verfolgen und sich auf relevante Gefahren konzentrieren. Das Lied von den harmlosen Rechten und den ach so gefährlichen Linken ist zumindest erst mal ad Absurdum geführt.
Noch ein anderes Ereignis erschütterte mich. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Ich fürchtete das Allerschlimmste. Und wohl nicht zu Unrecht, wie die wenigen Bilder aus den bis heute völlig zerstörten Reaktoren belegen. Manchmal schäme ich mich ein Teil dieser Welt zu sein, die so unverantwortlich handelt und sich so wenig um die Zukunft der Menschheit und der Natur kümmert. Und auch wenn ich froh bin, dass Deutschland zumindest mittelfristig (lieber wäre mir sofort) aus der Atomenergie aussteigen wird so ist in vielen anderen Ländern kein Umdenken zu erkennen. Von der ungelösten Strahlenlast mal ganz zu schweigen.
Trotz all dieser Ereignisse war für mich der Besuch von Angkor Wat das Highlight meiner Reise. Zwar waren sicher auch für den Bau dieser Anlagen viele Menschen gestorben bzw. hatten gelitten, dennoch war ich fasziniert von der Größe der Anlagen und die gleichzeitige Anmut. Wie sehr mussten die Bauherren die Schöpfung bewundert haben, um solche Verehrung zum Ausdruck zu bringen. Ich war ergriffen von der Güte und Barmherzigkeit die die - vor allem im Hauptheiligtum - unglaublich lebendigen, riesigen, zugewandten und lächelnden Darstellungen Buddhas ausstrahlten. Gleichzeitig hörte ich den Soundtrack von „into the wild“, während ich mit meinem sympathischen Scooterfahrer durch die verträumten Dschungellandschaften fuhr. Nach und nach schienen sich auch die Texte zu bewahrheiten. Erst fingen sie mich in meinem Gefühl auf, alles hinter mir gelassen zu haben und glücklich aber dennoch furchtbar einsam zu sein:
“it's a mystery to me.
We have a greed, with which we have agreed...
and you think you have to want more than you need...
until you have it all, you won't be free.
Society, you're a crazy breed.
I hope you're not lonely, without me.
When you want more than you have, you think you need...
and when you think more then you want, your thoughts begin to bleed.
I think I need to find a bigger place...
cause when you have more than you think, you need more space.
Society, you're a crazy breed.
I hope you're not lonely, without me.
There's those thinkin' more or less, less is more,
but if less is more, how you keep in' score?
It means for every point you make, your level drops.
Kinda like you're startin' from the top...
and you can't do that.”

Die Zeilen berührten mich extrem. Ich hätte weinen können vor Glück und gleichzeitigem Schmerz. Melancholie. Doch kurz darauf begegnete ich einer Frau, von der ich glaubte, sie sei die EINE für mich. Und so schienen sich auch zwei weitere Auszüge aus dem Album zu bewahrheiten:
“Now the good things gone with the wind
It's back today, I've moved away
Things are going wrong, boy
I used to wake up in the morning
To the sound of the birds singing at my window
Please wait for me
I'll be there at the end of the road”

Prägen werden mich für immer diese Zeilen:
„Have no fear for when I'm alone
I'll be better off than I was before
I've got this light i'll be around to grow
Who I was before I cannot recall
(Chorus)

Let me feel I'm falling, I am falling safely to the ground
I'll take this soul that's inside me now
Like a brand new friend i'll forever know
I've got this light and the will to show
I will always be better than before”

Auch wenn uns nur 10 Tage blieben, bevor sie zurück nach Argentinien flog, so waren das die beste Zeit meines Lebens. Ich dachte ich hätte gefunden, was ich solange gesucht hatte. Ich war wunschlos glücklich. Doch zurück in Deutschland stellte sich heraus, dass es für diese Liebe keine Zukunft gab. Ich war bereit mit ihr in die Ungewissheit zu springen. Doch sie konnte es nicht, obwohl sie es versuchte. Ich war extrem ernüchtert und verlor meine ganze Euphorie. Ich lebte schon lange in Extremen. Als ich ziemlich am Boden war, kam ein Freund auf die Idee, wir könnten doch nun unseren politischen Blog beginnen. Das war am 14. Mai; wir wussten nicht, dass am Tag darauf die spanische Revolution beginnen würde. So kam es zum Scheinwerfer und wir gewannen sieben Autoren, von denen am Anfang einige aktiv waren, was zu interessanten Beiträgen und Diskussionen über die Gesellschaft, Gewalt als legitimes Mittel, die Zukunft des Internets, Stuttgart 21 und verschiedenen Wertedebatten führten. Es entstand eine richtige Diskussionskultur, die ich mir wieder wünschen würde. Auch um das Gewicht der behandelten Themen auf mehrere Köpfe zu verteilen. Denn immer wieder machte ich die Erfahrung, dass ich mich übernahm, ausbrannte und dann längere Pausen machen musste.
Die Eingliederung nach Deutschland gelang mir nicht. Ich wollte am liebsten gleich wieder weg. Doch ich unternahm einen Versuch, wie vor meiner Reise wieder im sozialen Bereich mit behinderten Menschen zu arbeiten. Doch ich konnte die Zustände, die im sozialen Bereich in Deutschland herrschten, einfach nicht mehr ertragen. Außerdem konnte ich mich insgesamt nicht mehr einfügen. Es spitzte sich immer mehr zu. Ich verschlang tausende Artikel über das was ich in den letzten zwei Jahren in Deutschland ereignet hatte – nichts hatte sich gebessert. Hartz IV war noch immer eine Demütigung für die Betroffenen, im sozialen Bereich zeichnete sich keine Veränderung ab und die soziale Kälte schien mir noch weiter gestiegen. 
Ich war am Ende, kündigte meinen Job und begab mich in eine Klinik. Ich machte die Erfahrungen, dass die Menschen in solch einer Klinik oftmals mehr wissen über das, was sich wirklich abspielt in unserem Land und es weder akzeptieren, noch sich anpassen können.  Es erschien mir alles Wahnwitz und eine Nische hatte ich noch immer nicht gefunden. Doch ich fing mich wieder. Und nachdem ich wieder stabil war, ereignete sich das, worauf ich schon so lange gewartet hatte: Die Proteste hatten endgültig Fuß gefasst in der westlichen Welt. In Spanien hatten die Menschen campiert; nun breiteten sich die Proteste aus. "Occupy Wall Street“ war entstanden. Und auch in Europa wurden die Proteste größer: in Griechenland. Irland. Israel. Italien, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ich schöpfte neuen Mut. Nun wurden endlich die Themen breiter diskutiert, die ich seit meinem 16. Lebensjahr in mir trug und mich immer wieder in den Wahnsinn trieben. Es war eine neue Erfahrung, Teil einer solchen Bewegung zu sein, auf die ich immer gehofft hatte. Ich fand neue Vorbilder: Jean Ziegler oder Stephane Hessel. Es war eine neue, aber auch sehr bereichernde Erfahrung mit völlig Unbekannten über wichtige politische und soziale Themen zu sprechen. Man versorgte sich gegenseitig mit Informationen. Das Ego wurde hinten angestellt und es ging um Konstruktivität. Toll, zu spüren, dass man mit seinem Zorn aber auch seiner Hoffnung nicht alleine war. 
Wir als Bewegung wollen uns einen Platz erkämpfen. Es geht um unsere Zukunft und die Verteilung des Vermögens muss dringend verändert werden. Es gibt so viele dringende Probleme auf der Welt, dass nur eine breite Bürgerbewegung Veränderungen anschieben kann. Doch wir ließen uns nicht auf einzelne Themen und Ideen reduzieren. Das System in seiner jetzigen Form erscheint den Meisten von uns irreparabel und wir wollen uns nicht abspeisen lassen mit faulen Kompromissen. Es geht darum, nach und nach Ideen für eine Welt entwickeln, die sich grundlegend von der bisherigen unterscheidet. In der wir nebeneinander leben, ohne uns gegenseitig den Raum zum Atmen zu nehmen. In dem keine Menschen durch Hunger leiden und sterben müssen. In der es keine Zinswirtschaft gibt, die einzelne immer reicher und viele immer ärmer macht. 
In der wir zusammenarbeiten, um eine Abkehr vom Fortschritt um jeden Preis zu erreichen, hin zu einer nachhaltigen Welt. In der wir dem Klimawandel begegnen, bevor er aus schwelenden Konflikte Kriege macht, die die Welt zu vernichten drohen. In der Nuklearwaffen nicht die Spitze der Evolution darstellen, sondern Städte, die allen Bürgern gehören und die autark sind in ihrer Energieversorgung. In der es keine Kriege gibt um schwindende Ressourcen, sondern ein Miteinander im Ringen um zukunftsfähige Alternativen. Das mag zum Teil sehr utopisch klingen, doch ich bin überzeugt, dass wir vieles davon erreichen können, wenn wir mit der Konkurrenz Aller gegen Alle brechen und zu dem finden, was einst die Forderungen der französischen Revolution ausmachte: Solidarität, Brüderlichkeit und Gleichheit.
Aktivisten überall leiden unter Polizeigewalt. Doch nichts kann uns dauerhaft stoppen. Das zeigen auch die Proteste in Russland und China. Ich bin überzeugt, dass wir auch in Deutschland am 15. Januar wieder sehr viele Menschen auf die Straßen bringen werden. Der 15. 10. Und die Aktion „Banken in die Schranken“ waren nur ein Vorgeschmack. Und noch immer harren sie aus in den Camps von Düsseldorf, Berlin und Frankfurt.
Natürlich verteidigen die Privilegierten dieser Welt ihre Pfründe. Doch irgendwann werden auch sie begreifen, dass weniger Reichtum bei gleichzeitig höherer sozialer Gerechtigkeit auch ihnen nützt. Denn eine gerechtere Welt macht sie für uns alle lebenswerter! Es kann ein System geben jenseits von Kommunismus und Kapitalismus. Lasst uns dafür kämpfen! Auch wenn die Medien noch immer viel zu wenig berichten, so kommen die Anliegen der Occupy-Bewegung immer mehr in der breiten Bevölkerung an. Immer mehr Menschen begreifen, dass es so nicht weiter gehen kann.
Im Moment schreibe ich an meinen Reiseerinnerungen und meiner Auseinandersetzung mit der Welt. Wie ihr an diesem Jahresrückblick erkennen könnt, gibt es manches zu erzählen über meine radikale Suche nach mehr Mitmenschlichkeit. Wahrscheinlich werde ich bald wieder losziehen, denn es gilt noch viel in meinem Inneren zu verändern, um mehr in meiner Umgebung verändern zu können. Denn die R(evolution) beginnt in uns allen!
Ich wünsch Euch allen einen schönen Übergang in ein sicher spannendes Jahr 2012! Mögen Euch viele heitere und glücksbringende Momente erwarten! Passt auf Euch auf!

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