Mein lieber Mann ... Teil 3: Schatzsuche

Von Sosue

Foto: Peer Kugler - “Ich suche einen Komplizen. Einen, mit dem ich in der Fuge des Alltags verschwinde”

An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.

Teil 3

Schatzsuche

Seit fünf Tagen hüte ich das Bett. Oder hütet mich das Bett? Eine Sommergrippe hat mich erwischt und ich liege im Sterben. Es wird ja immer viel darüber berichtet, wie sehr Männer bei Infekten jammern. Ich hingegen überspringe den Abschnitt des Leidens und bereite mich gleich auf die letzte Reise vor: Begrabt mich an der Biegung des Flusses!

Es braucht schon kräftige Argumente, mich ins Krankenbett zu zwingen. Wenn ich mich so gar nicht mehr wehren kann gegen die Viren oder was es auch immer ist, was mich da schüttelt, und ich mich trotzig geschlagen gebe, weil ich es hasse untätig im Bett zu liegen, dann bereite ich mich immer auf das Ende vor. Ruhe sanft. Meine Gedanken drehen sich fiebrig wie kleine bunte Windräder, frrr frrr frrr, sogar der Schlaf schickt mir aufschlussreiche Träume und ich weiß immer, dass ich träume. Klarträume. Vergangene Nacht hat mir der Geschäftsführer der Agentur für die ich arbeite, hübsch designte Flyer vorgelegt, sie sollten veranschaulichen, wie groß die Erfolge, wie hoch die Gewinne der vergangenen Quartale sind. Mit Abscheu betrachtete ich die Entwürfe und mein Traum verriet einmal mehr, wes Geistes Kind ich bin.

Meine 16-jährige Tochter empfahl der siechenden Mutter – vermutlich aus Notwehr – ein Hörbuch mit Zauberwirkung. Sie und ihre Schwester waren mehrfach abgetaucht in „Reckless“ von Cornelia Funke, einfach tagelang verschwunden. Nahezu 50 Stunden Abenteuer, großartig gelesen von Rainer Strecker. Mein lieber Mann, jetzt folgt ein Schwur: Solltest Du jemals in meinem Leben auftauchen, freue ich mich darauf, mit Dir auf diese Reise zu gehen! Ich war immer skeptisch, wenn ich von Frauen hörte, die mit Hörspielen von „Die Drei ???“ einschliefen. Oder von Männern, die verschiedene Hörspielversionen von „Moby Dick“ feierten. Aber ich lasse mich gern belehren. Wenn es überzeugende Argumente gibt oder weil es mich vom Sterben ablenkt.

Also „Reckless“, die Fantasy-Geschichte des Schatzjägers Jacob Reckless und seiner Gefährtin Fuchs, die als Gestalt-Wandlerin lebt. Ich überspringe jetzt die Zusammenfassung von mehreren tausend gelesenen Seiten, ich bin ja auch noch nicht am Ende und die gleichermaßen emsige wie geniale Cornelia Funke schreibt in ihrem hübschen Anwesen in Malibu an Teil vier. Aber ich werde an dieser Stelle etwas über mich verraten, etwas, dass mich diese Geschichte gelehrt hat. Ich suche keinen Prinzen, keinen Vater, auch keinen Helden, gar einen Blaubart: diese Archetypen überlasse ich meinen Freundinnen.

Ich suche einen Komplizen. Einen, mit dem ich in der Fuge des Alltags verschwinde und die Unerschöpflichkeit von Neugier und Wissensdurst ausleben darf. Damit meine ich nicht unbedingt Sexspielchen oder das gemeinsame Aussuchen von Wohnaccessoires. Ich sehe uns vielmehr beim intensiven Betrachten von Gemälden in den großen und kleinen Museen der Welt. Beim Bestaunen von Wellen. Bei Unterhaltungen mit anderen Forschern jedweder Couleur.

Ich sehe uns mit kleinem Gepäck auf Schatzsuche. Schätze, die wir nicht besitzen wollen, weil das ohnehin nicht möglich und auch nicht nötig ist. Einer der Schätze wird unsere Komplizenschaft sein und das Gewahrsein von Momenten. So wie Jacob Reckless, der beim Anblick der schlafenden Fuchs seine wachsende Liebe, seine Verbundenheit spürt. Und sich ein Stundenglas wünscht, mit dem er diesen kostbaren Augenblick konservieren kann. Er weiß, dass dies nicht möglich sein würde. Weil dann der Zauber erlischt.

 Dir hat es gefallen? Die anderen Teile aus der Serie “Mein Lieber Mann” findest du hier:

Teil 1, Teil 2,