Foto: Peer Kugler - „Ruf mich bitte nicht mehr an. Nie mehr. Denn ich liebe dich wirklich.“
An dieser Stelle schreibt unsere Autorin Briefe an „ihren Mann“, den es zwar hoffentlich schon gibt, der aber noch nicht bei ihr geklingelt hat. Die Bilder zu der Serie sind von dem Fotografen Peer Kugler. Die beiden waren vor 30 Jahren ein Paar und haben die meiste Zeit ihrer verliebten 24 Monate im Kino verbracht. Beide wundern sich darüber, dass ihre Freundschaft schon so alt ist wie der Fall der Berliner Mauer. Auf einer gemeinsamen Reise nach Bukarest vor 24 Jahren schlug Stefanie Peer vor, eine Leica mitzunehmen, seither legt er die Kamera nur selten vom Körper ab.
Teil 1
Was möchtest Du?
Heute auf meinem täglichen Spaziergang am Elbufer sind wieder die Samstags-Paare unterwegs gewesen. Einige halten Händchen, manche joggen gemeinsam und ich höre beim Vorbeilaufen Satzfetzen über ihre Einkaufsliste. Andere führen ihren Hund spazieren.
Ich kehre im „Ahoi“ ein und belausche ein zweites Paar. „Was möchtest Du?“, fragt der Mann seine Begleitung beim Betreten des Lokals. Hier wird der Kaffee über den Tresen gereicht. „Wie immer einen Latte mit Sojamilch?“ „Ja“, antwortet sie, und während sie mich reflexartig in Augenschein nimmt, fragt sie ihn: „Willst Du einen Platz an der Sonne oder lieber im Schatten?“
Mein lieber Mann. Vergangenen Samstag war ich mit dir hier. Wir hatten uns ein ganzes Jahr lang nicht gesehen. Auf dem Weg runter zum Strand hattest du deinen Arm auf meine Schultern gelegt. Ich sog deinen Geruch ein wie ein Lebewesen, das lange davon zehren muss. Du lebst mit einer anderen Frau. Wir haben uns in einer freundschaftlichen Beziehung eingerichtet. Das war schmerzhaft für mich. Denn ich finde, Du wärst der ideale Mann für mich. Mit dir bin ich unbefangen und unbekümmert. Wenn Du mich das nächste Mal anrufst, weil Du dich mit deiner Frau nicht so angeregt unterhalten kannst wie mit mir, werde ich dir sagen: „Ruf mich bitte nicht mehr an. Nie mehr. Denn ich liebe dich wirklich.“
Diesen Satz habe ich geklaut. Den sagt Monika in der Serie „Kudamm 59“ und ich finde mich in der Konsequenz dieser Filmszene wieder. Diese Zustandsbeschreibung hat natürlich eine Vorgeschichte, eine Gegenwart und einen Nachhall. Dieser Zustand erfüllt mich mit Freude und Traurigkeit zugleich. Freude darüber, einen ganz bestimmten Menschen lieben zu können. Mich nach ihm sehnte, für ihn schwärmte, für ihn und für mich das Beste aus mir machen wollte. Traurigkeit, weil er nicht an meiner Seite ist. Das Warum ist seine Geschichte. Daran kann ich nichts ändern. Ich kann es nur akzeptieren. Ruf mich nie wieder an.
Ich werde jetzt eine Weile allein sein. Das kann ich mittlerweile ganz gut. Es ist sogar streckenweise schön, weil niemand mitbestimmt, niemand seine Launen in mein Leben trägt und damit meine Energie für seine Befindlichkeiten oder Aufmerksamkeitsspielchen abgräbt. Niemand ein Stück meiner Bettdecke beansprucht oder Wert auf glatt gewachste Körperzonen legt.
Es ist traurig, weil ich mich und meine Welt gern mit jemandem teilen würde. Jemand, der mir sehr nah sein darf und der mich unverwandt anschauen kann und mit einem Blick fünf Sätze über mich, über uns sagen kann. Sätze, über die wir lachen, streiten und philosophieren. Über die Flüchtigkeit des Lebens oder die Verbundenheit am Morgen. „Was möchtest Du?“
Ich möchte einen Cappuccino mit einem Schubs mehr Milch als normal und ein Croissant mit Nutella aus einer überflüssigen Buffet-Verpackung und ein Wiener Würstchen für meinen Hund. Wenn ich es an Eddie verfüttert habe, riechen meine Finger immer nach Kindergeburtstagen, eklig aber vertraut. Mein lieber Mann, ich möchte am Klang deiner Stimme erkennen wie es dir heute geht. Vielleicht schweigen wir auch oder diskutieren mit den anderen Stammgästen über den Ausgang der Europawahl. Eventuell gräbt sich mein nackter Fuß zu deinem durch den Sand durch und wir verabreden für später etwas vollkommen Unpolitisches.
Mein lieber Mann. Du bist irgendwo da draußen. Darauf werde ich mich jetzt einfach mal verlassen. Bis wir uns begegnen, werde ich dir schreiben, das verkürzt die Wartezeit. Ich werde die Zeit für mich nutzen, denn meistens bin ich guter Dinge. Wusstest Du, dass es in England seit Januar 2018 ein Ministerium für Einsamkeit gibt? Das Ressort mit einer Ministerin hat nichts mit dem Brexit zu tun. Es wurde geschaffen, weil die Auswirkungen von Einsamkeit einer Gesellschaft großen Schaden zufügen, volkswirtschaftlich und kulturell.
Ich bin nicht einsam. Aber allein.