Ich möchte dir heute meine Geschichte erzählen. Die Geschichte meiner CML Erkrankung. Warum?
Einerseits fragen mich immer wieder Menschen: Was ist denn das überhaupt CML?
Und andererseits: Wenn man mit einer langfristigen Erkrankung diagnostiziert wird, dann kann uns das verwirren und Angst machen. Ich möchte Menschen mit der gleichen oder ähnlichen Erkrankungen Mut machen.
Meine Geschichte begann im Januar 2012. Anfang des Monats war ich zu einem Gesundheits-Check-up, bei dem natürlich auch Blut abgenommen wurde. Am nächsten Tag rief mich jemand von der Praxis an, dass mit meinen Blutwerten etwas nicht stimmt, es müsste noch mal Blut abgenommen werden und ich sollte dringend noch mal in die Praxis kommen. Ich sagte zunächst, ich hätte keine Zeit. Als man mir sagte, es sei dringend und mir einen Termin in der Praxis-Mittagspause gab, fingen die Alarmglocken in meinem Kopf an zu läuten.
Die Ärztin erklärte mir, dass die Anzahl der Leukozyten stark erhöht sei. Man müsse zunächst auf Pfeiffersches Drüsenfieber testen, sie würde mich aber gleichzeitig direkt zu einem Hämatologen überweisen, da der Verdacht auf eine Leukämie besteht.
Ich war erstmal geschockt. Die Ärztin sagte mir, dass weitere Untersuchungen nötig seien, bevor eine endgültige Diagnose feststeht. Ich wusste sofort, dass das hier etwas Ernsthaftes war.
Es folgten weitere Blutuntersuchungen. Begriffe wie „Linksverschiebung“, „fragliche Blasten“ und „Granulierung der neutrophilen Granulozyten“ standen auf den Untersuchungsergebnissen. Am 19. Januar wurde eine Knochenmarkpunktion durchgeführt. Eine Woche später erhielt ich dann die Diagnose: CML (Chronische Myeloische Leukämie).
Mit der Abkürzung CML konnte ich zunächst nicht viel anfangen, aber Leukämie – das kannte ich. Das ist Blutkrebs und Blutkrebs ist lebensgefährlich.
Was ist CML eigentlich?
Die CML ist eine Form von Blutkrebs. Es kommt dabei zu einer unkontrollierten Vermehrung von speziellen Leukozyten (weiße Blutkörperchen), den sogenannten Granulozyten, im Blut und im Knochenmark.
Bei den Ursachen der CML tappt man auch heute noch im Dunkeln. Irgendwann entsteht plötzlich eine genetische Abnormität in den Stammzellen des Knochenmarks. Durch ein fehlerhaftes Gen entsteht ein abnormes Eiweiß, welches zu einem massiven Anstieg der Zahl weißer Blutkörperchen führt.
Wissenschaftlich ausgedrückt…
Bei der CML bewegt sich ein Teil des Chromosom 9 (das Abl-Gen) bei der Zellteilung fälschlicherweise weg und verbindet sich mit dem Chromosom 22 an einer bestimmten Stelle, dem Bcr-Gen. Das entstehende abnorme Chromosom nennt man Philadelphiachromosom. Es enthält ein neues Gen (Bcr-Abl). Das Bcr-Abl produziert neues Protein, welches ein Enzym ist und als Tyrosinkinase bezeichnet wird. Dieses Enzym regt die Produktion von abnormen weißen Blutkörperchen durch das Knochenmark an.
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Anzeichen gab es schon vor der Diagnose, nur konnte ich diese nicht einordnen. Bei körperlichen Anstrengungen fühlte ich mich sehr schnell erschöpft. Das Fahrradfahren fiel mir unglaublich schwer, ich dachte sogar, dass mein Fahrrad kaputt sei.
Ich schwitzte nachts derartig, dass ich mehrfach in der Nacht das Shirt wechseln musste. Auch hatte ich häufig ein Klopfen im Ohr, so als würde ich meinen eigenen Puls hören. Aber kurz vor 50 denkt man, das ist das Alter, da verändert sich der Körper nun mal.
Die Behandlung der CML
Unbehandelt führt die CML sehr schnell zum Tode. Vor dem Jahr 2000 verlief die Krankheit dann meist auch noch tödlich. Heute können die meisten Patienten durch den Fortschritt in der Forschung mit der Krankheit lange leben.
Durch eine Transplantation von Stammzellen (oder Knochenmark) ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass die Leukämie heilt. Allerdings muss ein passender Spender gefunden werden und die Behandlung birgt Risiken.
Die Mehrheit der Patienten erhält daher eine medikamentöse Therapie.
So ist es auch bei mir.
Heute werden dazu sogenannte Tyrosinkinase-Hemmer eingesetzt. Diese stehen noch gar nicht so lange zur Verfügung. Das erste Medikament mit dem Wirkstoff Imatinib (Handelsname Glivec) wurde erst im November 2001 zugelassen.
Bei mir wurde ein Medikament der zweiten Generation mit dem Wirkstoff Nilotinib (Handelsname Tasigna, Zulassung November 2007) eingesetzt.
So, das war erstmal die Theorie. Als Basis sozusagen.
Warum ich?
Das habe ich mich eigentlich nie gefragt. Natürlich war ich zunächst ungläubig und geschockt. Diese Diagnose zu verarbeiten war nicht leicht. Viele Gedanken gehen einem durch den Kopf. Schlagartig verändert sich alles. Unsicherheit und Ängste tauchen auf.
Ich fing an nach Ursachen zu suchen. Habe ich mit meiner Lebensweise etwas falsch gemacht? Wann ist da was schief gelaufen?
Zu Beginn war das alles noch unwirklich, manchmal hatte ich das Gefühl ich träume das bloß.
Die Krankheit zu akzeptieren ist wichtig. Dann kann man auch nach vorne schauen, statt mit vergangenem zu hadern, was denn wohl der Auslöser gewesen sein könnte.
Viele Menschen verstummen ja, wenn sie ein Schicksalsschlag trifft. Bei mir war das nicht so. Ich wollte mich nicht verstecken oder etwas verschweigen.
Ist das Umfeld erstmal informiert, wissen die Menschen plötzlich nicht mehr, wie sie mit einem umgehen sollen. Was mich am meisten getroffen hat, war, wenn Menschen gar nicht mehr mit mir gesprochen haben. Ich wollte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, dazu bestand kein Anlass. Nur mal ab und zu ein ernst gemeintes „Wie geht’s?“ wäre nett gewesen. Ich denke, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Dabei bin ICH doch immer noch ICH, der gleiche Mensch.
Was mich von Anfang an beunruhigte war die Einnahme des Medikaments. Ich wusste, dass das Medikament die Leukämie nicht heilen, sondern nur zurückdrängen würde. Die Aussicht auf eine vielleicht lebenslange Einnahme war nicht sehr angenehm. Ich komme mir manchmal ein wenig wie ein Versuchskaninchen vor, da die Medikamente ja noch nicht lange auf dem Markt sind und es noch keine Langzeiterfahrungen gibt. Ich bin ein Mensch, der grundsätzlich nicht gerne Medikamente nimmt, aber hier sah ich keine Option.
Die Tyrosinkinasehemmer haben alle Nebenwirkungen, die von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein können. Es ist nicht so leicht damit klarzukommen, selbst wenn die Nebenwirkungen einen nicht zu sehr beeinträchtigen, denn man weiß ja, dass kein Ende in Sicht ist. Wenn man ein Medikament über eine lange Zeit nehmen muss, können auch wenig schwere Nebenwirkungen, die zunächst tolerierbar sind, zu einem Problem werden.
Zu Beginn meiner Behandlung erfuhr ich bereits, dass sogenannte STOPP Studien anliefen. In diesen Studien sollen CML-Patienten unter engmaschiger ärztlicher Kontrolle die Medikation absetzen. Die Aussicht vielleicht bei gutem Verlauf der Therapie das Medikament in einigen Jahren absetzen zu können war mein Hoffnungsanker. Meine Ärzte unterstützten mich darin. Der zweite Arzt, den ich hatte, legte mir sogar nahe, Tasigna abzusetzen, da sich herausgestellt hat, dass schwerwiegende Nebenwirkungen, wie arterielle Gefäßverschlüsse möglich sind.
Die Therapie verlief bei mir vorbildlich. Ich hatte schnell eine tiefe molekulare Remission erreicht. Und wir planten auch aufgrund der Nebenwirkungen einen Absetzversuch.
Im April 2014 war es dann soweit, ich setzte das Medikament ab. Für mich war das eine große Erleichterung. Ich fühlte mich frei.
Leider hat das Absetzen nicht funktioniert. Schon 3 Monate später zeigte sich, dass ich nicht mehr in der molekularen Remission war. Die Entscheidung, das Medikament wieder einzunehmen, war schnell gefallen.
Ich war natürlich enttäuscht. Als Versagen habe ich es dennoch nicht empfunden. Mir war schon klar, dass die Patienten die innerhalb oder (vereinzelt) auch außerhalb von Studien die Medikamente absetzen, bereits über viele Jahre – und nicht wie ich nur 2 Jahre – mit Medikamenten therapiert wurden. Die Option des Absetzens besteht ja weiterhin.
Was mir allerdings durch den Prozess erst richtig bewusst wurde ist, dass da tatsächlich etwas in meinem Körper ist. Mir war vorher noch nicht wirklich bewusst, dass ich es mit einer lebensbedrohenden Erkrankung zu tun habe. Ich war in meinem Leben noch nie ernsthaft körperlich krank. Irgendwie hatte ich innerlich den Glauben, dass das wie ein Schnupfen ist, der irgendwann einfach verschwindet. Dass das nicht so ist, ist mit erst durch die Medikamentenpause klar geworden.
Menschen mit CML können mit dieser Erkrankung lange leben. Auch wenn das natürlich sehr beruhigend ist, hat eine chronische Erkrankung doch ihre ganz eigenen emotionalen Herausforderungen.
Hier sind ein paar Ideen, wie man die Herausforderungen meistern kann, wenn man mit CML oder einer anderen bösartigen oder chronischen Erkrankung konfrontiert ist.
Entwickle eine gute Kommunikation mit deinem Arzt und dem medizinischen Team
Entspannt und offen mit deinem Arzt und anderen medizinischen Mitarbeitern, Therapeuten oder Sozialarbeitern sprechen zu können, ist sehr hilfreich, damit du selbst die Kontrolle über das hast, was passiert. Vergiss nicht, dass auch DU ein wichtiger Teil dieses Teams bist. Eine aktive Rolle während deiner Behandlung zu übernehmen, gibt dir Zugang zu mehr Informationen und das Gefühl, dass du beteiligt bist und nicht nur passiv etwas über dich ergehen lässt.
Bereite dir eine Liste von Fragen vor, die du stellen willst. So kannst du sicher gehen, dass alle deine Sorgen und Bedenken angesprochen werden. Frag eine vertraute Person, ob sie dich zu den Terminen begleitet, dann kannst du anschließend die Informationen mit ihr besprechen.
Bleib in Kontakt mit Menschen, die dir gut tun
Familie und Freunde, ob sie nun nebenan leben oder weit weg, sind immer ein wichtiger Teil deines Teams. Die praktische Hilfe und der Trost, die sie dir an Tagen geben können, wo du dich schwach und energielos fühlst, sind unbezahlbar. Liebe und Verständnis sind auch eine Form von „Behandlung“. Manchmal ist es nicht leicht, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen. Aber Menschen, denen du wirklich wichtig bist, die helfen gerne. Besuche, Telefonate, Briefe und E-Mails sind prima Möglichkeiten um in Kontakt zu bleiben und Unterstützung von den Menschen zu bekommen, denen du wichtig bist.
Nimm die Gefühle an
Eine chronische Erkrankung macht es eventuell nötig, dass du Pläne, die du hattest, anpassen musst. Das kann emotional belastend sein. Zum Beispiel fühlen Menschen sich oft traurig oder machen sich Sorgen, wenn sie an die Zukunft mit einer Langzeiterkrankung denken. Eine Selbsthilfegruppe z.B. oder Kontakt mit anderen Betroffenen in einer ähnlichen Situation, kann hilfreich sein. Wenn andere erzählen, wie sie mit ihrer Situation zurechtkommen, entdeckst du vielleicht Möglichkeiten für dich selbst.
Tanke Kraft durch deine spirituelle Seite
Stärke kommt aus den unterschiedlichsten Quellen. Viele Menschen entdecken ihre Spiritualität, wenn sie sich mit einer ernsthaften Erkrankung auseinandersetzen müssen. Das kann eine Religion sein, der Glaube an eine höhere Macht, das Universum oder eine bestimmte Lebensphilosophie. Spiritualität bedeutet für mich den Sinn und Zweck des Lebens zu finden. Und es bedeutet auch, sich mit dem eigenen Verständnis vom Sinn des Lebens wohlzufühlen. Beispiele für spirituellen Praktiken sind: Gebete, Meditation, Tagebuch schreiben, lebenbejahende Bücher lesen.
Investiere in deine eigene Belastbarkeit
Belastbarkeit und Widerstandskraft, sind die Fähigkeiten mit allem, was kommen mag, fertigzuwerden. Ein Unterstützerteam zu haben, ist etwas, dass deine eigene Belastbarkeit stärkt, aber genauso wichtig ist, dass du gut zu dir selbst bist. Selbst kleine Dinge jeden Tag können uns gut tun. Lese ein gutes Buch, gehe in der Natur spazieren, schau einen guten Film oder hör dir deine Lieblingsmusik an.
Dich selbst gut zu behandeln und neue Wege zu entdecken dein Leben zu genießen, kann dir helfen dich an die Veränderungen zu gewöhnen, die eine Erkrankung, wie bei mir eine CML, mit sich bringt.
Ich lege dir außerdem ein wunderbares Buch ans Herz: Radical Remission von Dr. Kelly Turner. Über das Buch habe ich bereits einen Artikel geschrieben. Das Buch ist bisher nur in englisch erhältlich, eine Übersetzung ins Deutsche ist aber bereits in Arbeit.
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