Mein Journalismus und ich – eine Neubewertung

Seit 6 Jahren arbeite ich nun für den Internetsender www.ohrfunk.de – eine lange Zeit schon. Immer habe ich versucht, interessante und aussagekräftige Interviews zu führen. Manchmal hat mich das zur Verzweiflung getrieben. Jetzt ist es Zeit für eine Neubewertung meiner journalistischen Arbeit, für eine Neuberechnung des Wertes meiner Tätigkeit, und für Konsequenzen, die mir das Leben hoffentlich erleichtern.

Wie oft habe ich mich in den letzten Jahren geärgert: Ich rief bei einem Verband, einer Partei oder einer Behörde an, bat um ein Interview zu einem aktuellen Thema. Im besten Fall freuten sich die potentiellen Interviewpartner über mein Interesse und boten mir so schnell wie möglich einen Interviewtermin an. Ziemlich oft aber meinte man, man habe keine Zeit, es könne erst in der nächsten Woche einen Interviewtermin geben, oder, noch häufiger, man melde sich wieder, was dann oft nicht geschah. Oft hieß es auch, man versuche, einen Interviewpartner für mich zu finden, ich solle Geduld haben, man werde sich bis 14 oder 15 Uhr melden. Oft wurde dann der nächste Tag daraus. Für mich war das fatal. Ich nämlich musste das Interview des Tages bis 15 Uhr im Kasten haben, damit es in der Sendung vom Folgetag gesendet werden konnte. Wir sind ein kleiner Sender, Alternativen gab es oft nicht, ich habe den Informationsbereich oft allein verantwortet, unterstützt durch 2 Kollegen, die aber viel stärker als ich in andere Arbeitsverhältnisse eingebunden sind und nicht auf die Schnelle etwas liefern können.

Dass wir ein kleiner Sender sind, haben auch meine Interviewpartner schnell erkannt. Deshalb war es ihnen ein Leichtes, mich zu vertrösten und hin und wieder auch ganz zu vergessen. Wären wir der WDR, der DLF oder RTL gewesen, man hätte uns nicht warten lassen. Wir hätten sofort einen Interviewtermin bekommen, denn wir hätten potentiell millionen von Zuhörern erreicht. Einfach gesagt heißt das, dass das Leben im Bezug auf Interviews für die Redaktionen am leichtesten ist, die ohnehin schon über mehrere Alternativen verfügen, die es sich leisten könnten, ein Interview nicht zu bekommen. Wenn mich aber ein Interviewpartner vergisst, steht und fällt damit die Qualität der morgigen Sendung.

Über den Ärger und den Frust, den ich bei der genauen Betrachtung dieses Missstandes empfinde, habe ich mir in den letzten Tagen mal ausführlich Gedanken gemacht. Mir ist eins klar geworden: Der Fehler liegt bei mir. Wenn ich deutlich zeige, dass ich auf das Interview angewiesen bin, wenn man mir die Verzweiflung anhört beim Anbahnungsgespräch, wenn ich mich bereit finde, bis über den Ultimo-Termin zu warten, bis ich eine Antwort bekomme, dann mache ich es meinen Gesprächspartnern auch leicht, die Priorität unserer Interviewanfrage als niedrig einzustufen, der Herr Bertrams ist ja besonders flexibel. Bloß kann ich mir diese Flexibilität eigentlich auch nicht leisten.

Darum habe ich beschlossen, dass ich künftig anders mit dem Thema umgehen werde. Im Gegensatz zu den kommerziellen Sendern ist uns die Berichterstattung über soziale Themen, auch über die kleinen Gruppen, die keine global Player sind, ein echtes Anliegen. Wir sind Journalisten aus Idealismus. Das bedeutet aber nicht, dass das Anliegen unserer Gesprächspartner im gleichen Maße unser Anliegen ist. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, ihr Anliegen zu verbreiten, und zwar live übers Radio, dann aber auch über einen Podcast, der durchaus häufig abgerufen wird. Wir mögen nicht der WDR, der DLF oder RTL sein, aber wir arbeiten kontinuierlich, zuverlässig und professionell. Auch wir mit unserem wenigen, ehrenamtlich arbeitenden Personal müssen unsere Zeitpläne einhalten. Darum werde ich künftig bei Anbahnungen von Interviews deutlich sagen, bis wann ich ein Interview brauche, und zwar so, dass wir noch in aller Ruhe die Sendung produzieren können. Dabei werde ich nach dem Prinzip verfahren: “Wer nicht will, der hat.” Ich werde den Leuten nicht mehr hinterher laufen. Wer mich auf den Abend zu vertrösten sucht, kann das nur in begründeten Ausnahmefällen tun, eben aus aktuellem Anlass. Und zumindest möchte ich in der angegebenen Zeit eine Rückmeldung haben. Den Pressestellen von Parteien, Abgeordneten und Verbänden sollte daran gelegen sein, ihre aktuellen Veröffentlichungen verbreiten zu können. Wenn sie nur den großen Medien Interviews geben wollen, sollen sie es offen sagen, dann wissen wir, woran wir sind. Angesichts meiner fast 10jährigen Arbeit als Radiojournalist kann ich es mir leisten, mit klaren Vorgaben und Zeitfenstern aufzutreten. Auch wir müssen unsere Arbeit tun.

Ein Kollege hat mal berichtet, eine bekannte Popgruppe habe einen Interviewwunsch von 15 Minuten Dauer binnen der nächsten 10 Monate aus Zeitgründen abgelehnt, natürlich mit dem größten Bedauern. Der Kollege hatte den Mut, zu sagen: “Verarschen kann ich mich selbst, sagen Sie doch, dass Sie nicht wollen, für große Sender wäre sogar ein Interview binnen 3 Tagen möglich.” Damit hat er recht. Als er mir das erzählte, habe ich ihn noch dafür bewundert, inzwischen denke ich, dass er nur folgerichtig gehandelt hat. Er verkaufte sich nicht unter Wert, er erwartete Ehrlichkeit und Klarheit. Ich will es ihm gleich tun. Nicht so schroff vielleicht, das liegt nicht in meinem Wesen, aber in der Sache.

Dies sei mein journalistischer Vorsatz für 2012.


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