Mein Haus, mein Auto, mein Öl – Westliche Werte und deren Sicherung

Von Politropolis @sattler59

Als Frau Merkel während des NSA-Skandals im Bundestag von einer Wertegemeinschaft sprach, wegen der wir doch bitte mal aufhören sollen, diese heroisch lauschenden drei Buchstaben – und deren hochoffiziellen Auftraggeber USA – für so ein paar läppische Angriffe auf unsere Privatsphäre und unsere Bürgerrechte blöd anzumachen, dachte vermutlich jeder, es ginge dabei um die vielbeworbene Freiheit oder wenigstens um Menschenrechte, Völkerrecht oder ähnlich hohe moralische Standards. Immerhin sind wir ja die Guten. Schon immer gewesen – naja, jedenfalls seit 1945. Und in Verbindung mit anderen Guten können wir eigentlich nur besser werden. Gelle?

Werte heute? Foto: © politropolis.de (Schnappschuss aufgenopmmen auf einer Occupy-Demo von 2013-die in einem Polizeikessel endete)

Seit die CIA 2013 allerdings gewisse Akten geöffnet – und damit diverse Verschwörungstheorien vom Status selbiger in den offiziellen Geschichtsmodus befördert hat –, sollten wir vielleicht endlich mal anfangen, uns ein paar Gedanken zu machen. Zu Gut und Böse, Ursache und Wirkung – und ganz allgemein dazu, mit wem wir uns da eigentlich ins Bett gelegt haben.
Und wer wohl immer die Decke an sich reißen wird.

Angesichts all der GIDA’s, die der Meinung sind, um abendländische Werte – da ist es wieder, dieses irreführende Wort – zu bewahren, reiche es aus, hilfsbedürftigen Mitmenschen die Tür zu weisen, denke ich, dass ein kleiner Geschichtsdiskurs angemessen ist. Die Geschichte der westlichen Werte sozusagen.Beginnen wir am besten im Jahr 1953 im Mittleren Osten.

Im Iran ist der Rechtsanwalt Mohammad Mossadegh demokratisch gewählter Premierminister, der übrigens auch für eine Trennung von Staat und Religion eintritt. Als solcher möchte er seinen Landsleuten gern dienen. Und aus irgendwelchen Gründen sieht er überhaupt nicht ein, warum die Menschen in seinem Land hungern sollen, während sich britische Konzerne an iranischem Erdöl dumm und dusselig verdienen. Die aus dieser Haltung resultierende Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company schlägt allerdings sowohl den Briten als auch den Amerikanern schwer auf den Magen. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir den Moslems sowas durchgehen lassen?
Ergo: Die CIA muss ran! Die zettelt nun Unruhen im Land an, besticht Abgeordnete und die Presse, kauft sich ein paar Gangsterbanden, die Armee putscht … Und am Ende sitzt der Schah Mohammad Reza Pahlavi fest genug im Regierungs-Sattel, um die westlichen Werte im Iran zu schützen. Ihr wisst schon, Werte wie Schürf… äh, sorry, Menschenrechte. Jedenfalls so lange, bis der gute Mann es mit der Unterdrückung seines eigenen Volkes dermaßen übertreibt, dass er 1979 von radikalen Islamisten unter Ayatollah Khomeini abgesägt wird. Womit auch die Trennung von Staat und Religion sich nun endgültig erledigt hat.

Das finden die Amerikaner jetzt allerdings auch nicht so toll. Wie gut, dass es in der Nachbarschaft einen netten jungen Diktator gibt, der bereit ist, in ihrem Auftrag (und für ein paar Ölquellen, die er auf diesem Weg erobern kann) für die westlichen Werte zu kämpfen. Das Waffenembargo wird also geschickt durch die Lieferung von Einzelkomponenten umgangen, sodass Saddam Hussein ordentlich ausgerüstet Krieg gegen den Iran führen kann. Dass die Giftgas-Angriffe mit Billigung der USA erfolgten, geht übrigens auch aus den 2013 geöffneten Akten hervor, womit sich eine weitere sogenannte Verschwörungstheorie als wahr erweist.
Und so bekämpft Saddam Hussein von 1980 bis 1988 im Auftrag der USA den islamischen Radikalismus. Todesopfer? Siebenhundertfünfzigtausend.

Abstrus wird die ganze Sache an dem Punkt, an dem die USA anfangen, andere radikale Islamisten für den Kampf gegen die sowjetischen Invasoren in Afghanistan aufzurüsten. Zeitgleich, wohlgemerkt. Denn gegen die besonders bösen Sowjets sind die bösen radikalen Islamisten nur noch halb-böse. Logisch … oder wohl eher nicht. Aber westliche Werte verteidigt man ja auch nicht mit Logik, sondern mit Waffen, finanziellen Mitteln und Söldnern. Und davon wurde so einiges in die Mudschaheddin investiert. Ganz abgesehen von den etwa einhunderttausend radikalen Islamisten, die man für den Kampf gegen den großen sowjetischen Satan in anderen Ländern des mittleren Ostens anwarb und nach Afghanistan schaffte. Todesopfer? Über eine Million.
Frieden nach Abzug der Sowjets? Fehlanzeige, denn die radikalen Islamisten haben sich aus irgendwelchen Gründen nach Erledigung ihrer Aufgabe nicht einfach in Luft aufgelöst. Bürgerkrieg, Al Kaida – und die dank großzügiger und zum überwiegenden Teil US-amerikanischer Finanzierung bestens ausgerüsteten nun wieder ganz bösen Bösewichte sind noch immer auf dem Kriegspfad.
Naja. Konnte ja keiner ahnen…

Okay, kommen wir nochmal zu dem netten Diktator von nebenan zurück. Der hat endlich – nach acht Jahren Massenmord – realisiert, dass die Iraner sich auch weiterhin zur Wehr setzen werden, diese Spielverderber. Nix mit eroberten Ölquellen. Also tut er das, was ein Diktator mit Selbstachtung und US-finanzierter Ausrüstung nun einmal tut. Er geht nach Hause, leckt seine Wunden und schlägt, weil ihn der Gedanke an die eroberten Ölquellen nun einmal nicht loslässt, gegen einen anderen Nachbarn zu. Kuweit. Und obwohl sein neuer Gegner eine absolutistische Monarchie ist, verteidigt er diesmal offenbar nicht die westlichen Werte.
Die USA finden diesen Angriffs-Richtungswechsel jedenfalls gar nicht gut. Im Gegenteil. Und deshalb müssen in diesem Fall zunächst eine PR-Agentur und dann das eigene Militär ran. Die Brutkastenlüge, überzeugend vorgetragen von der als Hebamme kostümierten Tochter des kuweitischen Botschafters, sorgt für die nötige internationale Empörung, um das Eingreifen zu rechtfertigen. Todesopfer? Über eine Million. Die Opfer des Wirtschaftsembargos zählt ohnehin niemand.
Das Primärziel, die Stationierung amerikanischer Soldaten in Kuweit, ist jedenfalls erreicht, der Schutz der westlichen Werte gesichert. Und die Tatsache, dass radikale Islamisten dies als Entweihung ihrer heiligen Erde empfinden, geht den Herren im Edelzwirn am Hinterteil vorbei. Anders wäre es sicher, wenn die Taliban ihre Zelte im Vatikan aufschlagen würden. Aber wenn zwei das Gleiche tun, ist es ja noch lange nicht dasselbe…

Okay, über 9/11 sind wir alle im Bilde. WTC. Dreitausend Todesopfer. Zwei Flugzeuge, drei Gebäude … aber damit drifte ich jetzt offiziell in den Bereich der Verschwörungstheorie ab. Also lassen wir das und warten einfach ab, bis die CIA vielleicht irgendwann ihre Akten öffnet. Zurück auf den sicheren Boden bewiesener Tatsachen.

Selbstverständlich kann nur ein ehemals netter junger Diktator von nebenan schuld sein an diesem Verbrechen, weshalb er jetzt plötzlich auch über Massenvernichtungswaffen verfügt. Ob Tony Blairs Geheimdienst diese Info von der Hebamme hatte, ist übrigens noch nicht geklärt. Jedenfalls steht Saddam Hussein plötzlich auf einer PR-Stufe mit Adolf Hitler, das US-Militär macht den Irak zum zweiten Mal platt und befreit die Welt heldenhaft von dieser Bedrohung.
Todesopfer? Hunderttausend. Aber was muss, das muss eben, nicht wahr?
Und dann kommt plötzlich die ISIS aus dem Nichts, nutzt das hinterlassene Chaos und natürlich auch die hinterlassenen Waffen und etabliert einen neuen totalitären Gottesstaat – was so neu eigentlich gar nicht mehr ist, denn die Idee von der Trennung von Staat und Kirche hat die CIA ja bereits mit dem von ihr initiierten Militärputsch gegen Mohammad Mossadegh im Jahr 1953 erfolgreich weggeputzt.

Okay, was lernen wir daraus?

Zum einen sollten wir vielleicht langsam mal anfangen, uns zu fragen, wie bekloppt wir eigentlich sein müssen, um unser Land mittlerweile tatsächlich am Hindukusch zu verteidigen. So lernresistent kann man doch eigentlich gar nicht sein, oder?

Zweitens der Hinweis an all die GIDA’s auf Deutschlands Straßen, inzwischen zurückgetretene Bachmänner inbegriffen: Euer Feindbild braucht dringend ein Update, meine Lieben, denn Ihr schießt Euch hier auf Menschen ein, die aufgrund UNSERER Lebensweise, UNSERER Werte und UNSERER Bündnispolitik zu Opfern geworden sind. Jemanden zu treten, der schon am Boden liegt, zeugt nicht gerade von Größe. Und damit entwertet Ihr automatisch auch die abendländische Kultur, für die Ihr so vehement einzutreten vorgebt.

Und drittens stellt sich mir persönlich immer wieder die Frage nach der Logik hinter dem Ganzen. Zum Beispiel hinter den Kollateralschäden. Dem Masterplan sozusagen.

Mal im Ernst, Leute. In den USA könnt Ihr nicht mal ein Einwegfeuerzeug kaufen, ohne einen Beipackzettel zu bekommen, der unter anderem darauf hinweist, dass das Ding nicht zum Verzehr bestimmt ist. Oder einen Kleinwagen ohne den gleichen Warnhinweis. Die Amis weisen sogar erwachsene Menschen im fortpflanzungsfähigen Alter schriftlich darauf hin, dass man ein Baby erst aus der Kinderkarre nehmen muss, bevor man diese zusammenklappen darf. Im US-Bundesstaat Nevada (geologisch geprägt von Wüsten bzw. Wüstensteppe im trockenheißen Süden und Westen sowie von breiten nordsüdlich ausgerichteten Längstälern in der Mitte und im Norden, was sie nicht haben ist eine Meeresküste) ist es gesetzlich verboten, auf Wale zu schießen. So, wie es übrigens in Alaska verboten ist, Elche aus Flugzeugen zu werfen. Aber niemand kommt auf die glorreiche Idee, mal ein paar Beipackzettel für militärische Ausrüstung zu drucken. Nee, woher denn, das Abfeuern von Plutoniummunition auf Zivilisten oder der Abwurf von Splitterbomben über zivilem Wohnraum sind völlig okay…

Offenbar ist Massenmord zum Schutz westlicher Werte absolut in Ordnung. Und überhaupt, für Ölkonzerne gelten sowieso ganz andere Regeln, als für normale Menschen. Das hat ja schon in den Achtzigern der minderbemitteltste Fernsehzuschauer begriffen, als nach gefühlten 34 Staffeln „Dallas“ Bobby Ewing plötzlich wieder am Leben und die seit seinem Filmtod gedrehten zigtausend Meilen Filmmaterial nur noch ein Albtraum waren.

Aber andererseits … Ihr erinnert Euch doch noch an „Dallas“, oder? Das war diese Big-Brother-Publicity-Show über geplagte Multimilliardäre, die dreiundzwanzig Stunden am Tag damit ausgelastet waren, ihren Nachbarn und Konkurrenten einen reinzuwürgen, sich mit ihren Ehefrauen zu überwerfen, Unmengen Scotch in sich reinzukippen, alles zu vögeln, was nicht bei drei auf dem Bohrturm war, und dabei jederzeit perfekt gestylt zu sein. Föhnwelle inklusive. Wer hätte nach dieser Darbietung jemals erwartet, dass ein J.R. Ewing den Telefonhörer in die Hand nimmt und seinem jeweiligen Handlanger im Weißen Haus die Anweisung gibt, sich verdammt noch mal um die westlichen Werte im mittleren Osten zu kümmern, wenn er nicht abgesägt werden will?
Das war dann wohl nix mit Reality-TV.

Was wir uns endlich einmal klarmachen sollten, ist, dass es diese Art von Geschäftsleuten ist, die uns liebend gern parallel zu ihren militärischen Interventionen überall auf der Welt solche Geschenke wie TTIP, die Hintertürvariante CETA und TISA überreichen wollen. Wobei das „I“ für Investitionsschutz eigentlich im Fettdruck hervorgehoben gehört. Und unsere Politiker klatschen brav Beifall und sagen „danke“.

Merke, Deutschland: Wenn ich einen Haufen Kohle ausgebe, um mir ein Geschäft einzurichten, in dem ich dann Dinge wie gelbe Säcke und die Werbeprospekte der regionalen Einzelhandelsunternehmen teuer verkaufen will, oder eben Genfleisch und Chlorhühner, gehe ich pleite. Und kein Herr Schäuble kommt mal fix vorbeigerollt, um mir mit einem fetten Scheck den Hintern zu retten.

Trotzdem ist man von Seiten der EU – und natürlich der Bundesregierung – fest entschlossen, den „Freihandel“ durchzusetzen. Frau Merkel meint dazu, wir müssten mehr Verständnis für die amerikanische Position zeigen. Liebe Frau Merkel, ich verstehe die amerikanische Position durchaus. Das ist ja der Grund, warum ich sie so rigoros ablehne!

Kriege im Mittleren Osten, Bürgerkrieg in der Ukraine, Wirtschaftskrieg in Europa und, und, und … Westliche Werte. Was sind wir mit solchen Werten noch wert?

ein Kommentar von Heidi Langer

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