Mein Fahrrad und ich – Part 5: Umzugshelfer

Es ist Februar, es ist kalt und wir sind ziemlich durchgefroren und ein bisschen schmutzig, weil Straßen im Winter nun mal schmutzig sind. Wir fahren schmutzig Bahn und ernten dafür hasserfüllte Blicke. Dabei opfere ich extra meinen Samstag, um dir beim Umzug zu helfen. Was wahre Freunde eben tun. 

Du ziehst heute nach Köln.  

Weil du da jetzt mehr gebraucht wirst und weil in Bonn einfach kein Platz für dich und den Diamanten ist. Sei so gut und pass auf dich auf. Ich hab jetzt einen Job, ich kann es mir nicht leisten, wegen platzender Reifen und hüpfender Ketten zu spät zu kommen. 

Und du schlägst dich wacker. Bis Ostern. Als wir uns nach den Feiertagen wiedersehen, siehst du ziemlich mitgenommen aus. Du gestehst mir, dich geprügelt zu haben, weil jemand dich mit zu sich nach Hause nehmen wollte, mit dem du nicht mitgehen wolltest. Und dass du nur deine Ehre verteidigen wolltest. Ich bin ein bisschen gerührt und ein bisschen stolz und ein bisschen sauer – letzteres aber vor allem auf denjenigen, der dir das angetan hat. Dein Hinterreifen ist platt, deine Schutzbleche verbogen, die Schutzkappe vom Schloss abgesprungen, deine Lampen eingetreten und gesplittert, der Lenker erinnert sich an die alte Glatteisverletzung und steht in ähnlich pathologischem Winkel ab. Die Anzeige gegen Unbekannt sparen wir uns, Hauptsache, du wirst schnell wieder gesund.  

Also heißt es wieder Bahn fahren, Pendler ärgern und dich in die Werkstatt schieben. Die kennen dich da ja mittlerweile und reparieren dich zum Sonderpreis, der immerhin noch zwei Drittel deines ursprünglichen Kaufpreises beträgt. Wüsste ich, was ich heute weiß, hätte ich vielleicht nicht mehr so viel Geld investiert. 

Aber okay, gut, ich verstehe das, du bist eingeschnappt. Ich hab dich weggeschickt wie ein ungeliebtes Kind. Bist nur noch zweite Wahl, weil ein bordeaux-metallic glänzender Diamant mit Narbenschaltung, sieben Gängen und Stoßdämpfern deinen Platz eingenommen hat. Ich gebe es zu, ich war ein bisschen egoistisch und ein bisschen geblendet von den äußeren Reizen dieses Neuen. 

Seitdem machst du mir Vorwürfe, laut ratternd und klappernd, jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit. Abends, bilde ich mir ein, sind deine Vorwürfe sogar noch lauter. Scheppernd schmeißt du sie mir an den Kopf bis ich nur noch das klapprige Meckern wahrnehme, das meine Schuldgefühle übertönt.  

Die Menschen in dem reichen Viertel voller Villen, durch das wir dabei fahren, gucken dann immer so komisch. Dann schäme ich mich für dich und deine lautstarken Schimpftiraden. Und dann schäme ich mich für mich, weil du zurecht das Gefühl hast, dir werde Unrecht getan. Ach, wie verliebt wir waren! Heute ist unsere Beziehung nicht mal mehr platonisch, zweckbestimmt, wenn überhaupt. 

Und du machst mir ein schlechtes Gewissen, nicht zuletzt auch wegen der miserablen Übernachtungssituation, da so zusammengepfercht mit zwei oder drei anderen vereinsamten Rädern direkt am Bahnsteig, wo es laut und zugig ist und du betrunkenen und diebischen Idioten ausgesetzt bist. Dazu noch angekettet und im Regen stehen gelassen und ich verstehe mehr und mehr, warum du unzufrieden bist. Warum du nicht zweckmäßig sein willst, wenn ich dich nicht mal artgerecht behandle. Ich denke an mein Karmakonto, das wahrscheinlich trotz abgeschlossener Kellertüre im Minus ist, denn dein Leben ist meinetwegen wirklich trostlos. Keine Abenteuerfahrten mehr am Rhein, kein Studentenleben, keine Ausflüge zu den überfüllten Uni-Fahrradständern, keine Wochenendunternehmungen mehr, weil Köln gleich Arbeit ist und Arbeit am Wochenende nichts zu suchen hat. Du bist das Arbeitsrad, das ungeliebte Stiefkind und nur Nummer 2, weit abgeschlagen hinter dem Diamanten, der mein großes Glück ist und den ich mehr liebe als ich dich jemals geliebt habe. 

An diesem Tag lerne ich zwei Dinge: Freundschaften sind nicht zweckmäßig. Und Köln ist ein ganz schön hartes Pflaster. 

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Dieser Beitrag ist Teil meiner Fahrradgeschichten, die im Rahmen der Blogparade I want to ride my bicycle erscheinen.Mein Fahrrad und ich – Part 5: UmzugshelferHier geht es zurück zu Intermezzo: Diamant
und hier geht es weiter zu Part 6: Trennungsschmerz


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