In diesem Jahr nahmen rund 14.000 Radsportler beim jährlichen Radrennmarathon für Jedermann, dem fünften Skoda Velothon Berlin, teil. Beim Garmin ProRace, das letztes Jahr seine Premiere feierte, entschied die 180km André Greipel für sich, während die Jedermänner und -frauen die Wahl zwischen 60 und 120km hatten.
Wie bei so vielen anderen Sportveranstaltungen war der Start und das Ziel am letzten Wochenende auf der Straße des 17. Juni und gegen 10Uhr hieß es dann auch für den letzten Startblock Pedalen schwingen lassen. Da waren die Fahrer der 60km Runde schon wieder im Ziel.
Nachdem ich Zuversicht und Selbstvertrauen bei meiner ersten olympischen Triathlon Distanz eine Woche zuvor tanken konnte, war ich relativ sicher, dass ich unbeschadet durch das Rennen kommen könnte. Ich war absolut unaufgeregt, freute mich einfach nur, aber irgendwie war mir dennoch nichts ganz Wohl, was das Fahren in großen Gruppen angeht. Hinter den breiten Schultern der Männer sieht man einfach nichts, schon gar nicht, wenn man ein Rennrad so groß oder klein wie ein Klapprad fährt. Beim Training weiß ich, dass ich mich auf meine Fahrradbegleitung verlassen kann und trotzdem ziehe ich es vor, das Rennen von vorn heraus zu bezwingen.
Noch schnell halb im Fahren twitternd machten wir uns (meine Radbegleitung und ich – deshalb auch dieses Mal nur ein paar Schnappschüsse statt einer umfangreichen Bildergalerie) fast als Bummelletzte auf, das Feld von hinten zu erobern. Häufig nicht die schlechteste Idee, aber für uns hieß es kräftig lostreten, denn es wollte oder musste ja eine Gruppen gefunden werden. Das erste Zischen neben mir gab es schon nach nicht einmal zehn Kilometern, zum Glück nicht einer von uns, sondern ein weiterer Schlussstarter, der mich mit seinem Platten aus Mitleid fast zum Weinen brachte.
Bis zu den ersten Anstiegen den Grunewaldturm hoch waren es nicht einmal 20km und auch da war ich mir noch ganz sicher, dass ich meinen Spaß habe und dass trotz der Anstrengung (ja, so ein kleiner Berg kann mich durchaus der Fassung bringen) die letzten 100km ebenfalls gut werden. Dank umsichtiger Begleitung, die mich dazu motivierte, nur an mich zu denken, aufzupassen und Anschluss zu finden, war auch die passende Windschattengelegenheit schnell gefunden. Für mich hieß es immer nur, am Hinterrad des Vordermanns zu bleiben, der ebenfalls eine tattooähnliche Wunde an der Wade hatte. Angriffe des Kettenblattes kommen also häufiger vor, bei mir sogar doppelt, aber wahre Krieger haben eben Narben.
Nur immer schön die Konzentration beibehalten! Gar nicht so einfach, wenn man noch nie länger als 90km im Leben gefahren ist und schon gar nicht einen 36er Schnitt über so eine Distanz. Der rasselnde und Geduld zehrende Freilauf mancher Fahrer trug zwischenzeitlich nicht positiv zur unterzuckerten Stimmung bei. Ich nahm deshalb brav nach jeder Stunde ein Gel und trank regelmäßig mein selbst gemischtes Energiegetränk, was mich gut über Wasser hielt. Ich wusste, wie sich mehr als drei Stunden auf dem Rad anfühlen, aber bei dem Tempo war das schon etwas anderes.
Um so mehr es Richtung Stadtrand ging, desto mehr Tempo wurde gemacht, aber für mich hieß es dennoch, in den Kurven bremse ich wie ein Mädchen ab, aber ich habe eine Entschuldigung, bin ja schließlich eins. Was mich aber nicht davon abhält, mich mit ‘Kette rechts’ an die Herren zurück zu kämpfen. Jedes einzige Mal, immer wieder nur ein Gedanke, komme was wolle, nicht abreißen lassen. Macht einer in der Gruppe schlapp, muss ich ihn leider zurück lassen und schließe zum nächsten auf, bis ich letztlich hinter den beiden Führenden lande. Die waren leider etwas unkommunikativ und wollten die gesamte Strecke allein das Tempo machen. Für den Rest von uns kein Problem, wir hängen also dran und konnten schon nach halber Strecke so einige Fahrer aus den vorherigen Startblöcken aufsammeln.
Hin und wieder vergeude ich Kraft, weil ich mich in den Wind begebe, ich muss einfach sehen, was ganz vorn los ist! Trotzdem reichen die Energiereserven noch für die besten 15km meiner kurzen Rennradkarriere. Kurz vor Berlin ist die Schnellstraße/Autobahn für uns gesperrt und wir donnern mit mehr als 40km/h im Schnitt der Hauptstadt entgegen. Zum allersten Mal spüre ich mein Rad sich komplett in sich verwackeln, weil der Wind von allen Seiten zu kommen scheint. Ich habe mit Sicherheit den Lenker noch nie so heftig umklammert. Vielleicht nur in den Moment, wenn ich mit knapp 50 die Brücken oder Hügel hinabsause. Zurückblickend total verrückt – ich fahre gern schnell, aber Kurven und Hügel runter sind nicht so meins.
Mit gleicher Geschwindigkeit schießen wir über die ersten Schlaglöcher in der Stadt hinweg und plötzlich kann ich nicht mehr. Es ist nicht die Kondition, nicht die Kraft die fehlt, sondern schlichtweg die schlechte Straße, die meinen gesamten Körper zusammenzustauchen scheint. Ab und an kommen ein paar einfache Passagen, Orte, die man genießen muss (wie das Flughafenfeld Tempelhof), gerade Strecken, auf denen man noch einmal zügig rollen kann. Die Gruppe haben wir aber immer wieder aus den Augen verloren, es gibt zu viel, auf das man in der Stadt achten muss.
Und weil es so ganz ohne Drama auch bei mir nicht gehen will, hieß es nach der Ziellinie erst einmal Abschied vom Kreislauf nehmen. Denn wer mehr als drei Stunden strampelt wie gejagt, kann nicht erwarten, dass der Blutfluss nach dem Absteigen und Stehenbleiben einfach so weiter rotiert. Aber Beine hoch und etwas Wasser von einem Zuschauer, brachten mich schnell wieder auf Vordermann und so konnte ich auch endlich meine ersehnte Medaille entgegen nehmen.
Ob ich nächstes Jahr wieder mitfahren werde? Zurückblickend mit den Geschichten von vielen im Ohr, die bei noch höherer Geschwindigkeit üble Sachen gesehen haben, vielleicht nicht, aber wenn es nach dem Gefühl geht, das man direkt nach dem Rennen oder während einiger Passagen hat, dann schon!