Mein Erfahrungsbericht: Die Mutter-Kind-Kur, Teil 3

Von Lareine

Der letzte Teil meines Erfahrungsberichts umfasst die dritte Woche im Kurhaus sowie unsere (anstrengende) Rückfahrt.

Tag 16, Mittwoch

Heute ist Nummer 4s zweiter Geburtstag.

Wir haben am Vorabend noch Ballons aufgehängt und morgens schnell die Geschenke auf dem Bett drapiert. Heute werde ich lernen, dass es ganz egal ist, wo und wie man mit einem Kleinkind Geburtstag feiert. Er freut sich riesig über seine Stichsäge mit Werkzeugset und sein tolles Werkzeugbuch, das man mir in der wunderbaren Buchhandlung vor Ort empfahl sowie die anderen beiden Geschenke.

Ein simpler Geburtstagstisch tut es auch: Mein Bett und die Geschenke. Als Deko hingen vier Ballons am Türschild. Reichte vollkommen aus.

Vormittags gibt es neben den allmorgendlichen Kneipp’schen Güssen eine Schulung für den Umgang mit Stress.

Diese finde ich sehr lehrreich. Zuerst lernen wir, wie sehr unsere Gedanken und unsere Sprache die Wahrnehmung formen. “Mir geht es gut,” löst eine ganz andere Wirkung in einem aus, als “Boa, mir ist alles zu viel.”

Wir schreiben auf einzelne Karten, was wir zur Stressbewältigung normaler Weise tun. Die Karten legt jede Teilnehmerin nach Kategorien geordnet auf den Boden in die Mitte. Ich schreibe unter Anderem Nähen, Sport/Bewegung, Baden, Sex und Hörbuch hören auf. Unsere Stressbewältigungsstrategien besprechen wir und stellen fest, wie ähnlich sie sich sind. Zugleich inspirieren wir uns auch gegenseitig mit unseren Ideen.

Die Kursleiterin (die formidable Frau K.) erzählt uns abschließend die Geschichte eines Mannes, der jeden Morgen eine Hand voll harter Bohnen in seine rechte Hosentasche steckt. An jedem schönen Moment des Tages nimmt er eine Bohne heraus und lässt sie in die linke Hosentasche wandern. Am Ende des Tages schaut er sich die gesammelten Bohnen an und sagt: “Das war ein guter Tag. Es hat sich gelohnt, ihn zu erleben.” (Soweit die Kurzfassung).

Netter Weise erhalten wir alle ein gefaltetes Täschchen: Ein Blatt, auf dem diese Geschichte aufgedruckt ist und das – eine Hand voll Bohnen enthält. Große und kleine Bohnen in verschiedenen Farben und Musterungen. Ich probiere die “Bohnen-Methode” sofort aus. An einem schönen Tag wie dem Geburtstag unseres Nesthäkchens werden es viele Bohnen in der linken Tasche werden.

Einfache Sache – große Wirkung.

Nach der Kurs-Runde gehe ich zur Fango-Packung mit anschließender Massage. Hierbei unterhalte ich mich wieder mit der Therapeutin, die viel zu viel zu tun hat, weil eine Masseurin durch Krankheit ausfiel. Bei der letzten Massage war ich so mutig, sie zu fragen, inwieweit man den Bauch nach einer Schwangerschaft wieder “zurecht-turnen” kann.

Und sie hatte mir gesagt, dies sei kaum möglich, da die Verbindung der Bauchhaut zu den Bauchmuskeln nicht gegeben sei. Meine Rektusdiastase sei minimal – die Bauchmuskeln also erstaunlich fit für eine Vierfach-Mutter. Das klang gut. Das Nicht-Wegtrainieren-Können klang doof. Allerdings hatte sie gleich angefügt, “das Bisschen”, was sie da bei mir als nicht-straff sähe, sei ja wohl völlig in Ordnung und gut so. Dieses Mal reden wir darüber, wie sehr Mütter sich durch zu hohe moralische Ansprüche selber auslaugen. Ein ebenfalls sehr interessantes Thema.

Die Gespräche tun also gut – und das neben einer ohnehin wohltuenden Massage. Ja, sie ist schmerzhaft, aber das macht mir gar nichts, denn ich fühle mich hinterher sehr gut.

Der Dada kommt mittags vorbei und muss nach rund zwei Stunden nach München weiterreisen, wo er beruflich zu tun hat.

Am Abend nach dem Essen verteilen wir Baumkuchen und Schokotorte an alle, die mit uns zusammen im Wintergarten des Speisesaals essen. Und weil wir so viel Baumkuchen haben, verteilen die Kinder den Rest noch an die Kinder der anderen Räume.

Als Nummer 4 im Bettchen liegt und ich mein Nachthemd anziehen will, fallen mir die Bohnen ein – zum Glück rechtzeitig, sonst wären sie über den Boden verteilt worden beim Hoseausziehen …

Ich habe mehr als die Hälfte meiner Bohnen in die linke Tasche umverteilt – es war ein echt schöner Tag. Und während ich die Bohnen ansehe, bin ich sehr achtsam mit meinen Gefühlen: Ich nehme mir Zeit, sie wahrzunehmen und ihre Tiefe anzunehmen.

In der zauberhaften Buchhandlung habe ich mir “Das kleine Buch der Achtsamkeit” gekauft und folge nun täglich den einfachen Anweisungen, daher bin ich bereits etwas geübt darin.

Da steht es. Es bietet einen raschen, gut umsetzbaren Einstieg in die Materie.

Tag 17, Donnerstag

Inzwischen haben wir alle Heimweh, aber es hält sich in Grenzen, da wir ja in der kommenden Woche nach Hause fahren werden. Leider sorgt dieses Bewusstsein für eine innere Aufbruchsstimmung, was ich nicht verhindern kann und schade finde.

Wir freuen uns jedoch einfach sehr auf Zuhause und die anstehenden Weihnachtstage. Wie es wohl wird, den Adventskalender nach und nach auszupacken, den ich vor der Kur fertiggestellt habe? 24 Päckchen hängen an den Gardinenstangen des Wohnzimmers – für jeden von uns vier Geschenke. Das wird so schön, wenn wir zusammensitzen mit Glühwein und Tee und schon mal 14 davon auspacken werden!

Meine erste Anwendung des Tages ist nach dem Kneippen das Melissebad. Dies hat eine extrem entspannende Wirkung auf mich. Beim ersten Mal hatte ich befürchtet, zappelnd und genervt in der Wanne zu liegen, was aber nicht stattgefunden hatte. Nun kann ich es erneut genießen. Es sind nur 15 Minuten insgesamt, dann ist man schon wieder in’s Handtuch gewickelt. Und der intensive Duft des Badezusatzes entspannt einfach – ob man “will” oder nicht. Melisse-Bäder kann ich insofern recht gut weiterempfehlen.

Ich habe mein letztes Therapiegespräch bei Frau K. Diese Gespräche mit direkter Reflexion und sofort umsetzbaren Hinweisen sind mehr als Gold wert – das werde ich sehr vermissen. Es ist natürlich ganz anders als die tiefenpsychologisch fundierte Therapie, die ich seit Langem – seit Längerem aber nur noch 4 Mal jährlich – mache. Eben weil nicht nur ich rede und weil es schnelle Tipps und Denkanstöße gibt. Das genieße ich sehr.

Am Abend machen wir in der Kreativwerkstatt einen Filzkurs. Auch etwas, das ich nach der Kur zuhause machen werde.  Ich brauche nur noch Luftpolsterfolie und eine Schaumstoffrolle zum abschließenden Walken des Filzstoffes. Wolle, Seife, Sprinkelflasche, Fliegengitter und so weiter habe ich schon. Das Filzen ist – wie ich geahnt hatte – voll mein Ding. Mit dem Wunsch, auf das Windlicht eine Blume zu applizieren bin ichmal wieder aus der Reihe getanzt, aber die Kursleiterin hatte kein Problem damit und unterstützte meinen Wunsch gerne.

Hier ist das Ergebnis:

Inzwischen steht das Windlicht hier zuhause. Und es gefällt mir sehr gut.

Tag 18, Freitag

Bin etwas gestresst heute, vermutlich wegen der Aufregung, die ich auf Grund der baldigen Heimfahrt empfinde. Es geht wie üblich nach dem Frühstück schnell zum Kneippen in den Keller.

Ich überlege, ob wir heute wieder einmal schwimmen gehen sollen, als ich auf die Tür des hauseigenen Schwimmbads sehe. Das haben wir hier im Keller des Kurhauses ab und an gemacht, aber ich fand es irgendwie stressig, weil ich eh nicht in Ruhe schwimmen konnte, sondern es ein reiner Kinder-Spaß und Mama-Stress war. Vier Kinder zu beaufsichtigen war mir irgendwie etwas zu viel.

Immerhin hat Nummer 3 hier Schwimmen gelernt, was ihr eine Kurteilnehmerin beibrachte – ihr Sohn (das Geburtstagskind mit dem Kinobesuch) ist ein herausragender Schwimmer und beherrschte das Wasser bereits im Alter von vier Jahren. Er hat hohe sportliche Auszeichnungen errungen und sie als ihn in diesem Hobby begleitende Mutter ist demnach sehr versiert im Umgang mit kleinen und großen Schwimmern.

Nachdem ich gerührt dabei gewesen war, als eine türkische Mit-Mutter das Schwimmen erlernte, sah ich, wie meine Tochter sich traute. Zuvor hatte ich mit ihr geübt und geübt, aber sie hatte sich nur an mir festgeklammert. Nun hatte ich sie zwei Mal alleine mit den Großen und der Schwimmtrainer-Mutter in’s Becken gelassen und nun wagte sie es. Ein riesiger Erfolg für sie! Nummer 3 kann schwimmen!

Während ich also über ein mögliches Schwimmen nachdenke, gehe ich in das Kinderland zum allmorgendlichen Weihnachtssingen.

Danach räume ich auf und packe schon mal alles, das wir nicht mehr brauchen.

Plötzlich habe ich ein einnehmendes Flimmern vor den Augen. Ich schreibe Mister Essential dies und er antwortet, dies sei Augenmigräne und das hätte ich vor längerer Zeit schon mal gehabt und er auch. Ich solle mich einfach hinlegen und entspannen. Das versuche ich dann. Mit einem Hörbuch lege ich mich auf’s Bett.

Kaum liege ich, kommt die Putzfrau herein und beginnt mit dem Staubsaugen. Ich versuche, mich irgendwie von dem seltsamen Flimmern abzulenken. So gestresst bin ich also? Dass ich Migräne-Zeugs bekomme? Der Gedanke stresst mich. Teufelskreis und so. Ich gucke auf das Handy, um die Uhrzeit zu sehen: 11:50 – ich muss gleich um 12 Nummer 4 abholen!

Langsam stehe ich auf und fühle mich mit einem Mal total groggy. So etwas wiederum kann ich als Angstpatientin (mit dem tollen Schwerpunkt auf Angst vor Krankheiten) gar nicht leiden. Ich taumle aus dem Appartement nach unten und hole Nummer 4 aus dem Kinderland.

Es ist, als hätte ich schon immer um 12 Uhr mittags genau hier gestanden: Die Kinderland-Tür

Dann gehe ich mit ihm wie üblich zum Essen, wo ich meine anderen drei Kinder treffe.

Anschließend geht es zurück nach oben: Wir bringen Nummer 4 in’s Bett und ich lege mich hin. Ich mache leise mein Hörbuch an und schließe die Augen. Ich schlafe ein und wache circa all 10 bis 15 Minuten wieder auf.

Da sind so viele Gedanken in meinem Kopf: Wie wird es sein, wenn die Kur mich verändert – was sie augenscheinlich tut – wird mein Mann darauf adäquat reagieren können? Immerhin löst jede Veränderung innerhalb eines Systems etwas aus. Eine liebe Mit-Mutter hier, die eine Ausbildung in Richtung systemischer Familientherapie absolviert hat, erklärte mir das so:

“Ein System ist wie ein Mobile: Jeder hat seinen Platz und alles ist in einer Art Gleichgewicht. Verlässt jemand seinen Platz oder verändert sich, ist das wie ein Windstoß: Alles muss sich erst wieder neu einfinden und austarieren.”

Ich habe auch Angst, dass ich das Erlernte und die Inspirationen nicht umsetzen können werde. Und es zu schwierig wird, das gegen eventuelle innere und äußere Widerstände umzusetzen.

Da ist aber auch Freude, wieder mehr Privatsphäre zu haben zuhause. Und meine eigenen Räume. Oh, und natürlich auch Mister Essential. Ich musste ihn so aus meinen Gedanken und Gefühlen ausklammern und mich auf das Hier und Jetzt und mich konzentrieren, dass es sich fast etwas fremd anfühlt, an ihn zu denken.

Tag 19, Samstag

Der Tag ist ruhig. Ein paar Besorgungen für die Heimfahrt werden erledigt. Ich packe und wasche noch ein bisschen.

Wir haben gepackt. Morgen beladen wir das Auto.

Nachmittags gehen wir zusammen mit unserem “angestammten Grüppchen” zum Christkindlmarkt. Dort gibt es eine Eisbahn, die mit einem großen Festzelt überdacht ist.

Und wir entdecken einen schönen Kunsthandwerksmarkt, den wir besuchen. Dort schlagen wir uns die Bäuche mit frischen Waffeln voll, die von einem schulischen Förderverein gebacken und für 1 Euro pro Stück verkauft werden. Die Kinder wuseln herum, es ist natürlich etwas stressig – wie immer, wenn man mit einem Haufen (echt süßer) Kleinkinder unterwegs ist. Aber das spüre ich nicht so sehr wie vor der Kur. Wie immer schaut wie selbstverständlich jede Mutter nach jedem Kind, das in ihrer Nähe mampft, turnt und wuselt.

Auf dem Rückweg sehen wir eine Laser-Lichtshow, die von der Stadt veranstaltet wird und sind ganz beeindruckt.

Im Appartement ist Nummer 1 plötzlich irgendwie schlecht gelaunt. Sie will früh in’s Bett. Was wiederum schwierig ist, da ihr Bett unser allabendliches Sofa ist. Dort quetschen wir uns ja immer zusammen, stellen den Laptop auf den Basteltisch und schauen uns etwas an.

Nun aber schmeißt sie uns alle raus aus ihrem Zimmer. Wie an jedem Abend schnappen wir uns die Matratze von Nummer 3s Bett und legen sie neben mein Bett auf den Boden. Nummer 2 holt ihr Laptop hervor (sie durften die Teile wegen ihres Schulprojekts mitnehmen) und legt sich neben mich auf das Bett. Nummer 3 findet auf ihrer Matratze Platz. Den Laptop nehmen Nummer 2 und ich auf den Schoß. Das ist verflucht eng, aber auch gemütlich.

Irgendwann kommt Nummer 1, die zuvor einen ziemlich Aufriss gemacht hat, um uns los zu werden, ziemlich leise auf ihrem Zimmer geschlichen und schiebt sich einen Sessel zurecht, um auch zusehen zu gucken … wir grinsen uns alle an und sagen nichts weiter dazu.

Ich schlafe währen des Guckens immer mal wieder ein, was sich entspannt und urgemütlich anfühlt.

Irgendwann verteilen wir uns in Bett und auf Matratzen. Nummer 3 und ich hören wie an jedem Abend die humorvollen Geschichten Mark Twains. Mit dem Gedanken, wie schade es ist, dass ein lustiges Genie wie Twain nicht mehr lebt, schlafe ich ein.

Tag 20, Sonntag, der letzte ganze Tag

Wir packen nun endgültig und lassen nur draußen, was wir noch brauchen. Dann beladen wir das Auto tetrisartig.

Von der Geburtstagskind-Mama waren unsere drei größeren sowie noch andere Kinder lieber Weise zum Eislaufen eingeladen worden.

Nummer  1 will partout nicht, lässt sich auch nicht von Geburtstagskind-Mama überreden, die ihr Möglichstes versucht.

Bevor wir den Ausflug zum Christkindlmarkt angehen, treffen wir uns erst einmal in der Turnhalle zum “Mutter-Kind-Angebot”.

Es wird von der gleichen Erzieherin organisiert und durchgeführt, wie das schräge Tannebaumbasteln. Ich hörte von den anderen Müttern sofort, dass am vorigen Sonntag – an dem ich wegen des Besuchs von Mister Essential ja nicht teilgenommen hatte – schon etwas dicke Luft geherrscht habe. Irgendjemand hatte sich wohl beschwert, weil das Angebot einfach nur anstrengend und ätzend gewesen war. Nun saß die Leiterin des Kinderbereiches (jene Frau, die mich so wunderbar aus dem Zuviel an Schul-Verantwortung befreit hatte) dabei, um alles zu beobachten.

Es war schräg. Sehr schräg.

Die Aufgabenstellung war natürlich nicht leicht für die Praktikantin, die eine Menge aus rund 20 Müttern mit Kinder zwischen 1 und 13 Jahren beschäftigen sollte. Irgendetwas mit ein bisschen Freiheit und Tanzen wäre vielleicht nett gewesen. Oder die große Turnhalle aufteilen mit einem kleinen Eckchen für die Kleinen und Platz für die Großen oder, oder, oder …

Es war aber so:

Wir kommen etwas zu spät und schlichen uns an einen Platz im großen Kreis. Man sitzt auf dem Boden. Irgendwoher kommt die Stimme der Erzieherin/Praktikantin:

“Seid  leise. Ganz leise.”

Eines der zuckerschnuckeligen Zwillingsmädchen rennt quer durch den Raum und erhält einen ermahnenden Zischlaut sowie einen sehr bösen Blick der Erzieherin als Quittung. Ich runzele die Stirn. Man drückt mir ein zerfetztes und zerknittertes Blatt Papier in die Hand. “Damit sollst du irgendwie ein Geräusch machen,” bekomme ich von der Nebenfrau als Anweisung, die dazu verständnislos die Achseln zuckt, was wohl besagen soll, dass sie sich auch bereits fragt, was sie hier eigentlich mitzuerleben entschieden hat.

Ich zerknitterte den Fetzen und gebe ihn dem Jungen neben mir, der mich fragend ansieht und von mir die gleiche halbseidene Anweisung erhält. Es wehen diese Wüsten-Gestrüpp-Bälle durch den Raum. Es knistert ab und zu, Kinder werden angepflaumt, den Schnabel zu halten.

Irgendwann werden wir erlöst, als die Erzieherin sagt:

“Sooo … und nun haben wir also mit einem Stück Papier ein ganz tolles Konzert gemacht!”

Wir sehen uns alle irritiert an. Ein bisschen Fremdschämen kommt auf.

Dann springt die Erzieherin auf, holt eine Kiste voll bunter Tücher hervor und verteilt diese. Sie erklärt:

“Die mit den grünen Tüchern sind die Bäume, die stehen herum, damit sich die Kängurus verstecken können. Die Kinder mit den blauen Tüchern sind die Kängurus und die werden von den Füchsen gefangen. Die Füchse haben alle ein rotes Tuch bekommen.”

Dann schaltet sie den CD-Spieler an. Edvard Griegs Halle des Bergkönigs wird bemüht. Und zwar mit gefühlten 250 Dezibel.

Als ich sehe, wie die Erzieherin euphorisch der Musik lauscht, begreife ich ihre (hier in diesem Rahmen nicht umsetzbare, wenngleich hochpädagogische) Idee:

Die Kinder sollen sich von der Musik inspirieren und in den Bewegungen führen lassen. Quasi frisch aus der Erzieherinnenschule. Und nun dringend umgesetzt, weil die Möglichkeit irgendwie da. Irgendwie aber eben nur.

In die Bergkönighalle kommt Leben und bekannter Maßen auch noch mehr Dezibel. Die Kinder rennen wie verrückt durch die Sporthalle. Nummer 1 steht neben mir und sieht etwas Hilfe suchend aus.

Ein etwas wilder Junge, den ich mal hier Faruk nennen möchte, saust im Affenzahn zwischen den “Bäumen” herum, immer auf der Flucht vor den “Füchsen”. Die Erzieherin hält ihn am Arm und sagt in einem manisch-begeisterten Ton:

“Faruk, du musst hüpfen!”

Der Elfjährige starrt sie völlig konsterniert an – wohl auch, weil sie rund fünf Oktaven zu hoch für seine Altersstufe mit ihm sprach.

“Faruk, du musst ein Känguru sein! Höre, was die Musik dir sagt …”

Da war es um Nummer 1 und mich geschehen: Wir rollten komplett ab.

Nummer 1 riss sich zusammen und brachte kurz ein atemloses “Giga Facepalm!” heraus und schnappte sich dann Nummer 4, um an dessen Popöchen zu schnuppern – ein kluges Mädchen! Denn das war unsere Ausrede:

“Äh, leider, leider müssen wir jetzt sofort gehen, denn unser Kleiner hat die Windel voll. Sehr schade, wirklich.”

Auf dem Weg in’s Appartement bekamen wir noch mehr Lachkrämpfe. Dann versuchten, wir uns zusammenzureißen und sagten, es sei ja auch nicht leicht, so viele Leute zu beschäftigen und überhaupt … leider mussten wir aber wieder lachen. Es war einfach zu lustig!

Später genossen wir den Weihnachtsmarktbesuch sehr. Es war so schön!

Im Handwerksmarkt, der im Kurpalast stattfand, kauften einige Mütter dieses Mal sehr schöne Strickwaren, wie zum Beispiel zwei Muffs für die Zuckerschnuten-Zwillinge. Dann schenkte die liebe Verkäuferin, eine ältere Dame, jedem Kind etwas. Jedes Kind durfte sich komplett frei etwas vom Stand aussuchen. Nummer 4 brauchte sehr, sehr lange dafür. Es war einfach eine zu große Auswahl. Und so nahm ich am Ende einen schokobraunen Teddy für ihn.

Später auf dem Zimmer überlegten wir uns einen Namen für den Bären. Und weil wir an beinahe jedem Abend die geniale Serie “Mein Name ist Earl” geguckt hatten, war der Teddy schnell getauft – Earl:

“Mein Name ist Earl.”

Wir sind sehr traurig wegen des morgigen Abschieds und schießen ein Gruppenfoto, das ich hier auf Grund der Bildrecht natürlich nicht zeigen darf. Es zeigt einen Haufen sehr zufrieden lächelnder Mütter und Kinder.

Zusammen trinken wir (das angestammte Grüppchen aus rund sechs Müttern)sehr heimlich (wegen des Alkoholverbots im Haus) und nachdem wir uns versichert hatten, dass keine von uns Alkoholprobleme hatte, im Fernsehraum etwas Erheiterndes und unterhalten uns. Ein sehr schöner Abend – wir bereuen, so etwas nicht schon die ganze Zeit vorher mal gemacht zu haben. Wir tauschen Adressen und Telefonnummern aus. Unsere Gespräche sind mal lustig, mal ernst und immer so respektvoll.

Wie ich das vermissen werde: Unter irgendwie Gleichgesinnten und dennoch völlig unterschiedlichen Frauen zu sein. Und wir sind wirklich absolut unterschiedlich! Das ist sehr bereichernd.

Tag 21, Montag, Abreisetag

Inzwischen kennen die Mütter des “Grüppchens” mich als Diejenige, die niemals weint. Ich spüre aber schon beim Aufstehen, wie hart der Abschied werden wird. Ich tröste mich mit der Aussicht, bereits am Nachmittag zuhause zu sein.

Ich habe natürlich auch Bammel vor der Autofahrt – wie erwähnt: Angstpatientin – aber auch hier verscheuche ich erfolgreich die finsteren Gedanken.

Wir machen alle im Foyer noch ganz viele Fotos voneinander. Nur wir werden heute fahren, da wir wegen der “Bethlehem-Wanderung”, einer Veranstaltung im Rahmen der Vorbereitung auf die Erstkommunion Nummer 3s, einen Tag vorher abreisen.

Dieses Vater-Kind-Event wollte ich Mister Essential und Nummer 3 unbedingt ermöglichen und hatte die Abreise im Vorfeld der Kur von Dienstag auf Montag verlegen lassen.

Wir müssen noch zur Abschlussuntersuchung.

Also drängen wir uns zur Ärztin (es ist eine andere als bei der Eingangs- und Zwischenuntersuchung) in das Räumchen. Ich bin sehr nervös wegen der Abreise und meine Gedanken wuseln herum – was sie recht selten tun.

Die Ärztin misst meinen Blutdruck und meint dann:

“Also sie sind ja hier gewesen wegen des Stresses und des Burnouts. Der Stresspuls scheint ja immer noch da zu sein.”

Ich: “Na ja, eigentlich war er die ganze Zeit immer weniger da und in den letzten Tagen weg. Nur jetzt bin ich eben aufgeregt wegen der Heimfahrt.”

Sie: “Ja, aber auf Dauer ist das natürlich nicht gut. Da muss man Organschäden vermeiden. Am besten sprechen sie zuhause ihre Ärztin an, damit sie ihnen etwas Pflanzliches verschreibt. Und Physiotherapie für ihren Rücken schreibe ich ihnen auch auf.” Dazu schenkt sie mir ein ernstes, besorgtes Lächeln.

Ich gehe mit den Kindern im Schlepptau und fühle mich plötzlich mies. Sie hat ganz toll auf meinem Angst-Instrument gespielt. Nun fühle ich mich wie eine halbtote, die nur auf ihren Herzinfarkt zustrebt, wenn sie nicht dringend ein paar Pillen bekommt. Und zwar schnell. Noch 20 Minuten zuvor war ich zwar angespannt, aber guter Dinge gewesen.

Wir machen noch mehr Fotos und “mein Grüppchen” begleitet uns nach draußen. Es fließen Tränen – klar, nicht meine … aber das werde ich schon noch lernen.

Sie stehen alle oben vor dem Kurhaus und wir winken vom Auto aus. Und dann holen sie Taschentücher hervor, um uns zu winken. Da muss ich sehr schlucken und meine Augen werden feucht.

Wir winken, bis wir einander nicht mehr sehen können.

Die Fahrt

Bereits die ersten 30 Minuten Fahrt nerven mich und ich muss schön tief atmen, um entspannt zu bleiben. Die Worte der Ärztin nagen an mir und die Sonne blendet absolut nervtötend zwischen den Bäumen einer nicht enden wollenden Straße, die ständig zwischen ein- und zweispurig wechselt.

Dann geht es in Richtung Autobahn. Über den Zubringer sause ich los und wiederhole im Kopf mich entspannende (?) Mantren, als ich denke:

“Oh Mann, ich hoffe, ich bekomme keinen Platten oder so etwas. Ich bin eh schon so genervt.”

Zwei Augenblicke später denke ich:

“Wieso rumpelt das Auto so? Ist das Flüsterasphalt?”

Ich weiß es eigentlich schon, da ich sehe, wie schräg das Auto in der Spur liegt:

Wir haben tatsächlich einen Platten. Ich blinke, fahre raus und lasse mich sehr vorsichtig bis zur Einmündung einer großen Landstraße rollen. Links neben mir hält ein junger Mann, lässt die Scheibe herunter, verlangt selbiges mit Handzeichen von mir und teilt mir mit:

“Sie haben einen Platten.”

Ich (echt angepisst): “Äh ja. Ich weiß das.”

Darauf lächelt er etwas entschuldigend und zeigt mir einen nahe gelegenen Parkplatz. Wow, ich bin nicht zwanghaft dauerfreundlich, sondern drücke meine Gefühle aus. Eine ganz neue Erfahrung. Danke, liebe Kur.

Dorthin fahre ich mit 5 Km/h und parke. Ich steige aus und sehe mir die Bescherung an, ehe ich meine goldene “Gelbe-Engel-rettet-mich-Karte” zückte und telefoniere.

Großartig.

Nummer 4 inspiziert fachmännisch die Reifenpanne. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch hell. Das wird sich bald ändern …

Wir werden hier fast zwei Stunden warten. Es wird dunkel, es wird kalt. Wir bekommen Hunger und leeren die Provianttüten, die wir aus dem Kurhaus mitbekommen haben. Nummer 4 wird müde und wird weinen.

Die beiden Großen werden mit ihren Plastikschwertern kämpfen, die ich ihnen in einem Billigladen gekauft habe. Und unsere Füße werden einfrieren, weil wir dauernd abwechselnd draußen stehen werden, um den ADAC-Menschen heranzuwinken. Und dann werde ich erleben, wie es ist, sich wieder wie ein Kind zu fühlen. Nein, nicht das Ding ohne Verantwortung und  mit ausgelassenem Spaß: Ich werde in ein Gebüsch kriechen müssen, um zu pinkeln.

Dann kommt er:

Jepp. Stockfinster ist es inzwischen.

Und als ich darüber nachdenke, wie ich Nervenbündel nun noch über 2 Stunden in der Dunkelheit mit vier Kindern über die Autobahn fahren soll, eröffnet mir der gelbe Engel:

“Also mit diesen Reifen lasse ich sie nicht weiterfahren. Das kann ich nicht machen. Die Spur ist total verzogen. Der andere Reifen vorne droht jederzeit zu platzen. Ich kann das nicht zulassen. Wir müssen überlegen. Entweder einen Mietwagen oder … ach, Mann …heute ist die Hölle los. Ich muss erstmal jemanden in der Zentrale erreichen. Dann sehen wir weiter.”

Mietwagen? Wie soll das gehen? Das wird doch ewig dauern. Alle sind hungrig und entnervt. Der Proviant ist weg. Unseren Reboarder von Nummer 4 baut man auch mal nicht eben schnell im Dunkeln ein und aus … das habe ich von einer Fachfrau einbauen lassen, das Ding. das bekomme ich ohne Anleitungsvideo niemals wieder raus. Und schon gar nicht wieder rein.

Der gelbe Mann telefoniert gestresst in seinem Auto.

Ich ahne, dass ich noch viele Stunde vor mir haben werde, die mir nicht gefallen und mir einiges an Energie abverlangen werden. Ich sage derweil per WhatsApp das Papa-Kind-Event ab:

“Einen Platten habt Ihr?” fragt meine Mit-Katechetin* per Smartphone, “Lass Dich bloß nicht allzu sehr stressen, sonst ist die Entspannung der Kur ja gleich wieder dahin!”

Ende Teil 3, weiter geht es im Epilog

*Katechetinnen sind die Mütter, die eine Gruppe Kinder auf die Erstkommunion vorbereiten. Halte das nicht für Allgemeinwissen, daher erkläre ich das.