Mein dir eine Bildung

"Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand."
- Arthur Schopenhauer -

Ich war mal wieder unterwegs und hörte Radio. SWR 1 Rheinland-Pfalz. Den ganzen Rest kann man nicht hören. Lauter ecstasyberauschte Moderatoren, die zwischendrin ihre Tralala-Laune ins Mikro tuscheln. Jedenfalls hatte der Sender meiner Wahl mal wieder einen Thementag angesetzt. Diesmal: Sie leben mitten unter uns. Sind sie integriert oder isoliert? Moslems in Deutschland.
Mein dir eine Bildung

Ein muslimischer Experte stellte sich dem Moderator, der teils scharfe Fragen stellte und zum Dank nur schwammige Antworten erhielt. Experte wie Moderator waren sich am Ende aber einig: Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Auf diese Formel einigte man sich von Kultur zu Kultur. Damit konnten beide leben. Der Moderator, weil damit bestätigt war, dass Moslems in Deutschland größtenteils ungebildet sind - und der Experte, weil er so eine Entschuldigung hatte für seine Glaubensgeschwister, die der Leitkultur nicht folgen. Das Stereotyp des Moslems in Deutschland ist also nicht bösartig, sondern einfach nur nicht gescheit genug. Immerhin: Dass ein Miteinander von beiden Seiten gewollt sein muss, das leugnete auch der Moderator nicht.


Ich aber fragte mich ratlos: Ist das so? Ist Bildung ein Schlüssel? Ich konnte und kann das nicht glauben. Sarrazin gehört zu jener Gruppe von Menschen in diesem Lande, die sich als Bildungsschicht ansieht. Buschkowsky auch. Und der eine oder andere Journalist von Springer soll sogar Journalismus studiert haben, munkelt man. Was hat der Bildungsbürger mit seiner Hetze gegen Araber und Muslime eigentlich zur Integration beigetragen? Hat er das Zusammenleben entspannt?


Gebildete Menschen sind kein Gradmesser für ein friedliches Miteinander. Es waren gebildete Leute, die Menschen in Konzentrationslager steckten und an ihnen "wissenschaftliche" Versuche vollzogen. Es waren gebildete Menschen, die die Atombombe entwickelten. Gebildete Schichten verhinderten lange die Gleichstellung von Schwarzen und Frauen. Es waren gebildete Ökonomen, die den Neoliberalismus als Lehre entwickelten und gebildete Philosophen predigen im libertärem Geiste die Freiheit des Marktes. Breivik war kein ungebildeter Mensch. Broder wird es auch nicht sein. Müller-Vogg und Hahne haben eine höhere Bildung absolviert. Lucke ist Professor und Mahler Rechtsanwalt. Jurist, wie fast alle Politiker der letzten Jahre, die viel für die Desintegration von Armen in der Gesellschaft getan haben. Ich denke dabei an Schröder oder Westerwelle.


Kurz gesagt: Es waren immer auch gebildete Leute, die die Welt zu einem schlechteren Ort machten. Leute mit hohen Abschlüssen und beruflicher Reputation. Wenn Bildung ein Schlüssel sein soll, das Leben der Menschen hienieden zu entspannen, dann muss ihr irgendwie der Schlüsselbart abgebrochen sein. Die Türe scheint mir doch meist zu zu bleiben.


Ich weiß natürlich schon, was gemeint war. Bin ja nicht blöd. Wenn Menschen ohne Bildung bleiben, dann sagt man ihnen nach, sie hätten einen begrenzten Horizont. Sie kariolten lediglich im trüben Raum ihres Mikrokosmos umher und müssten gezwungenermaßen engstirnig bleiben. Das ist auch irgendwie auch richtig. Aber richtig ist es hingegen weniger, dass gebildete Menschen irgendwann mal verantwortungsvoller in der Gesellschaft aufgetreten wären. Der Mob mag ja, salopp gesprochen, blöd sein - aber es gab im Mob und an dessen Spitze immer gebildete Blödiane. Gstudierte Deppen, wie man in Bayern schön verächtlich sagt. Leute, die in irgendeinem Fach gut ausgebildet sind, aber eben nicht gebildet. Hier bestätigt sich traurigerweise, was schon die Studenten 1968 postulierten: Wir brauchen Bildung und nicht nur Ausbildung.


Kann sein, dass Bildung den Zugang zum besseren Miteinander ausmacht. Einerlei ob damit nun das Miteinander von Christen und Moslems, Deutschen und Türken oder eben ein ganz generelles Miteinander von Mensch zu Mensch gemeint ist. Wenn die These stimmte, dann müssten wir feststellen, dass es sowas wie Bildungsbürger oder Bildungsschichten gar nicht gibt. Es gibt bestenfalls ausgebildete Bürger und Ausbildungsschichten, die keinesfalls einer "höheren Intelligenz" zugehören.


Bildung ist keine Garantie. Eher Glückssache. Gebildet zu sein im Sinne dessen, was wir heute unter Bildung verstehen, muss gar nichts bedeuten. Was nicht heißt, dass Bildung grundsätzlich abkömmlich wäre. Dem Menschen, der eine höhere Bildung erfahren durfte, einen besseren Stand im Bezug auf soziale Kompetenz anzudichten, ist so ein Fetisch, den sich das bürgerliche Spektrum in dieser bildungsfernen Bildungsrepublik angeeignet hat. Das schmeichelt irgendwie und macht Hoffnung. Irgendwie merkt keiner, dass die größte Scheiße meistens Leute anstellen, die zu den bildungsnahen Schichten gehören. Also ein Patentrezept zur besseren Welt, zu mehr Glück und so weiter, ist der gebildete Mensch nicht.


Ich staune sowieso sehr oft über irgendwelche Prominente, die aus PR-Gründen ihren progressiven Geist zur Show machen, davon salbadern, dass Bildung das beste Mittel gegen Armut und Not sei. Das mag stimmen, wenn man den Analphabeten zum Leser bildet. Aber in einem Land, in dem der Alphabetisierungsgrad gegen 100 Prozent strebt, ist das eine leere Parole. Die Sudanesin, die lesen gelernt hat, werden neue Horizonte eröffnet. Sie wird beispielsweise Geburtenkontrolle betreiben, weil Lesefähigkeit und Fertilität korrelieren. Aber der Arbeitslose in Deutschland, der ist ja nicht arbeitslos, weil er nicht lesen kann. Auch nicht, weil er nicht weiß, wie die Schlacht von Trafalgar endete oder wie der Bassist von Queen hieß. Und aus der Unterschicht befreit man sich nicht, weil man seine Lesefähigkeit verbessert hat.


Durch bessere Zensuren im Leistungskurs Mathematik wird man ohnehin kein besserer, kein weltoffenerer Mensch. Manchmal eher das Gegenteil, wenn man zum Beispiel seine Mitmenschen wie Zahlen behandelt. Herzensbildung ist kein schulischer Leistungskurs, sondern charakterliche Angelegenheit. Weder werden aus Türken plötzlich türkischstämmige Deutsche, wenn sie einen höheren Bildungsstand erreicht haben, noch wird der Rassismus und die Ausländerfeindlichkeit von Deutschen plötzlich verschwinden, wenn der allgemeine Bildungsstand steigt.


Und in einem Netz aus föderalistisch bedingt verschiedenen Schulsystemen, die sich strikt an Wirtschaftsvorgaben orientieren, ist mit einem gesteigerten Bildungsniveau ohnehin keine charakterliche Schulung vorprogrammiert. Ja, nicht mal eine erhöhte Vermittlung von Wissen ist damit zu machen. Das Niveau wird intellektuell angepasst. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, die hier und heute nicht hergehört.


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