Die Wiener Staatsoper wartet mit einem Ballettabend auf, der sowohl für unterschiedliche Geschmäcker als auch für Ballett-Allroundbegeisterte schöne Momente bereithält. Dafür wurden drei Stücke zu einem Abend mit zwei Pausen kombiniert. „Thoss / Wheeldon / Robbins“ ist der etwas sperrige Titel, der die jeweiligen Choreografen dabei in den Vordergrund stellt.
Blaubarts Geheimnis
Den Beginn macht eine gekürzte Fassung von „Blaubarts Geheimnis“ zu einer Musik von Philip Glass und einer Choreografie von Stephan Thoss. Das Stück war schon 2012 in Originallänge an der Volksoper Wien zu sehen. Im Gegensatz zu Bartoks Vertonung, die erst im Juni bei den Wiener Festwochen in einer Inszenierung von Andrea Breth im Theater an der Wien gezeigt wurde, wartet die Interpretation von Thoss mit einem versöhnlichen Schluss auf. Blaubarts junge Frau, die in den Strudel seiner wilden Vergangenheit gerät, inklusive manipulativer Mutter, gelingt am Ende die Befreiung aus diesem Albtraum. Nicht nur für sich, sondern auch für ihren Mann. Alice Firenze, ätherisch bis kraftvoll, tanzt eine jugendliche Ehefrau in gelb-goldenem Flatterkleid, die im Laufe der Geschichte die Höhen und Tiefen der menschlichen Liebe auskosten muss. In der Rolle ihrer Gegenspielerin, Blaubarts Mutter, ist Rebecca Horner zu sehen. Extrem expressiv hat Thoss ihren Bewegungskanon angelegt, ein schwarzes, kurzes Satinkleid und schwarze Strümpfe machen von Beginn an klar, wo das Böse zuhause ist. Mit vielen Prospektverschiebungen und jeder Menge Alter Egos der Figuren wartet dieses Stück auf, das psychologisch gekonnt ins Heute transferiert wurde. Kirill Kourlaev verkörpert einen Charakter, der zwischen Aggressivität und Zaudern, zwischen Liebeswahn und Unterwerfung pendelt und schließlich von seiner Geliebten gerettet wird. Dafür bemüht Thoss im letzten Bild einen Einblick in seine Jugend. Eine überdominante Mutter und ein schwacher Vater, und das in Mehrfachbesetzung auf der Bühne, kann nur zum psychologischen Kollaps führen. Der dunkle Raum mit drei fahl leuchtenden Kronlustern und seinen sich beständig in Bewegung befindlichen Wänden (auch dafür sowie für die Kostüme zeichnet Thoss selbst verantwortlich) verbreitet durchgehende Gruselstimmung. Rebecca Horners Auftritte, sind häufig durch eine Art schwebenden Querlauf markiert, so als würde sie auf einer Rollbahn quer über die Bühne fahren. Ihre eckigen und kantigen Bewegungen zeichnen der Figur unsympathische, harte Elemente auf den Leib. Auch in der gekürzten Fassung bleibt die psychologische Nachvollziehbarkeit der Charaktere gut erhalten, die sich auch in den Einzelchoreografien schön spiegelt. Ein zerrissener Mann, eine junge Frau, die ihre Lieblichkeit nicht einbüßt, aber Muster und Strukturen des Bösen zumindest selbst am eigenen Körper erfährt, all das und die gelungene Zusammenstellung der Glass-Musik ergeben eine schöne und spannungsreiche Eröffnung des Abends.
Fool`s Paradise
Die zweite Choreografie stammt von Christopher Wheeldon, der auf Joby Talbots Musik von „The Dying Swan“ die Idee einer idealen Liebeswelt entwirft. Nebelschwaden und Goldfllitter machen gleich zu Beginn deutlich, dass die hier gezeigte Szenerie nicht von dieser Welt ist. Und tatsächlich fehlt ihr jegliches Reibemoment, jegliche negative Emotion. Wheeldon, Jahrgang 1973, ist ein derart international gefragter Choreograf, dass er die Einstudierungen seit 2010, wie auch in Wien, Jason Fowler überlässt. Das Ensemble tritt in hellen, fast fleischfärbigen Trikots auf. Schöne Posen und runde Übergänge zwischen den einzelnen Formationen sind die beherrschende Momente der Choreografie. Dreier-Konstellationen kommen wesentlich häufiger zum Zug als Paarbildungen, einzeln wird ganz selten getanzt. Interessant, dass er die Dramaturgie der Musik dabei zum großen Teil außer Acht lässt. Das Klangerlebnis, das an einigen Stellen starken Filmmusikcharakter aufweist, kann noch so dicht, dramatisch oder auch fein lyrisch sein, Wheeldons Tänzerinnen und Tänzer folgen offensichtlich einer ihnen innewohnenden Grundstimmung von Liebe, die nichts als Ausgeglichenheit produziert, egal was um sie herum auch geschieht. Wenn Paare über die Bühne marschieren, dann im Gleichschritt aneinander gelehnt, wenn sie ohne Körperkontakt agieren, dann synchron wie in einem harmonischen Schwebezustand, der an das Gleiten mit Schlittschuhen auf Eis erinnert. In der Nähe zum klassischen Ballett angesiedelt, mit viel Spitzeneinsatz, ergibt dies eine neoklassizistische Komponente, die im Schlussbild in einer geometrisch aufgebauten Menschenpyramide kulminiert. Dass hierzu noch rasch einige Tänzerinnen vom Off hinzulaufen müssen, belustigt eher. Wollte man dies als kleinen dramaturgischen Fehlgriff ansehen, so könnte dies leicht durch eine frühere Einbindung der Tänzerinnen vermieden werden. Dass alle neun Ensemblemitglieder gleichermaßen gefordert sind, stärkt sicherlich das Zusammengehörigkeitsgefühl, unterbindet dafür jedoch solistische Glanzmomente.
Mit: Olga Esina, Joanna Avraam, Kiyoka Hashimoto, Gala Jovanovic, Roman Lazik, Eno Peci, Davide Dato, Greig Matthews, Richard Szabó
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Der letzte Teil des Abends ist klassischem Ballett gewidmet. Zu Klängen von Giuseppe Verdi schuf Jerome Robbins (1918-1998) einen bewegten Bilderreigen der vier Jahreszeiten. Gezeigt wird dieser in einem bombastischen Bühnenbild nach Santo Loquasto, der für seine Filmausstattungen insgesamt dreimal für den Oscar nominiert wurde. Der Bühnenbildner scheute sich dabei nicht, tief in die Kitschkiste zu greifen. Mit Blumengebinden umrankte Säulen, stilisierten Girlanden, die von der Decke hängen und einer überdimensionierten Holz-Lyra mit der Aufschrift „Verdi“, die zu Beginn und am Schluss der Vorstellung einen Holzhammerhinweis auf den Komponisten geben, schuf er eine Art lebendiges Märchenbuch. Die bunten Kostüme reihen sich passgenau in dieses Surrounding ein. Wallende Schleppen und glitzernde Kronen, hauchfeine Kleidchen und ein behörnter Faun gehören wie ganz natürlich zu dieser Ausstattung – und ergeben ein schmackhaftes Augenfutter. Die Musik, aus unterschiedlichen Opern von Verdi zusammengestellt, die für diese Aufführung aber ein wenig adaptiert wurde, gibt alles her, was für diesen Opernkomponisten so charakteristisch ist. Klangmassen mit jeder Menge Holzbläsern, Polkas, Märsche und viele Walzer. Diese bieten den Tänzerinnen und Tänzern jede Menge Gelegenheit, ihre Kunst vorzuführen. Hebefiguren, Sprünge und Pirouetten sonder Zahl, mit heftigem Zwischenapplaus bedacht, Pas de deux und solistische Darbietungen, aber auch Szenen, in denen das Corps de ballet auftritt, wechseln dabei einander ab.
Ioanna Avraam eröffnet solistisch den Reigen als zitternde Wintergestalt, die sich gegen die Ablehnung der Schneeflocken zur Wehr setzt. In weißem Kleidchen mit silbern glitzerndem Haarschmuck interagiert sie mit den beiden Zephiren Dumitru Taran und Géraud Wielick. Maria Yakovleva und Mihail Sosnovschi lassen in pastelligem Grün den Frühling über die Bühne huschen. Ketevan Papava und Robert Gabdullin geben ein majestätisches Sommerpaar ganz in warmem Gelb und Liudmila Konovalova und Denys Cherevychko glänzen vor allem mit ihren vielbeklatschten Soli als herbstliche Gestalten in sattem Weinrot. Davide Dato überzeugt nicht nur tänzerisch, sondern mit einer großen Zusatzportion an schauspielerischer Ausdrucksweise als quirliger Faun. In brauner Kniehose, mit Fruchtranken um die Mitte und kleinen Hörnern auf dem Kopf präsentiert er sich in seinen Auftritten mit Kraft, Eleganz und Spaß gleichermaßen.
Am Pult agiert Alexander Ingram, der das Orchester vor allem bei Verdi zu seinen Höchstleistungen führt, was nicht weiter verwunderlich ist. Bei Glass und Talbot würde man sich an einigen Stellen etwas mehr Dynamik wünschen. Ein bunter Tanzabend mit solistischen Höchstleistungen und dem nicht geringen Anspruch, für jeden Geschmack etwas anzubieten.
Weitere Informationen auf der Website der Staatsoper.