Seit Tagen schiebe ich den Ausspruch „Dein Alltag ist ihre Kindheit“ gedanklich hin und her. Und denke über die entsetzen Gedanken nach, die sich zu diesem Satz durch das Netz ziehen. Mein erster Gedanken „Oh ja stimmt! Ich muß sofort meinen Alltag ändern!“. Dann kam das ABER.
Weshalb löst der Satz Selbstzweifel aus?
Alle Eltern wollen das Beste für ihre Familie. Deshalb ist der Alltag oft sehr stark strukturiert und jedes Familienmitglied muß so gut es geht funktionieren: Arbeit, Kita, Schule, Haushalt: das alles läuft in immer wiederkehrender Reihenfolge tagtäglich in tausenden Familien ab. Viel Zeit für das Besondere bleibt dabei nicht übrig.
Die Kinder erleben, daß Mama und Papa manchmal in Eile sind, hier und da noch eben schnell etwas erledigen müssen und eben auch mal keine Zeit haben und ab und an auch mal müde und genervt reagieren.
Man hat Gewissenbisse, weil nicht jeden Tag Kinderparty ist.
Mein täglicher Ballast prägt ihre Kindheit nicht
Denn ich teile ihn nicht mit den Kindern. Sie bekommen von Geldproblemen, Zukunftsängsten und anderen Erwachsenenthemen nichts mit. Denn ich möchte sie damit nicht belasten. Um solche Themen zu diskutieren habe ich einen Partner und erwachsene Freunde.
Auch negative Dinge von außen, wie die täglichen Nachrichten aus aller Welt, in denen es viel zu oft um Naturkatastrophen und ihre Folgen, Unfälle und politische Desaster geht behalte ich für mich. Nicht ohne auf Nachfragen der Kinder angemessen zu reagieren. Je älter sie werden, desto mehr bekommen sie außerhalb des Zuhauses mit und fragen nach. So ist es mir wichtig, zum Beispiel die Flüchtlingspolitik für Kinder zu erklären, aber meine Ängste, was Pegida und ähnlich gerichtete Strömungen angeht außen vor zu lassen.
Alltag ist eben alltäglich
Hin und wieder muß ich auch arbeiten, wenn die Kinder zu Hause sind. Und das muß auch drin sein. Denn sie sollen lernen, daß Arbeit für einen persönlich wichtig ist und auch dazu da ist, um Geld zum Leben zu haben. Genauso habe ich aufgehört, ausschließlich die Wäsche zu machen, zu Putzen oder Einzukaufen, wenn die Kinder schlafen oder in Schule und Kita sind. Das ist doch das wahre Leben. Auch bei uns kommt leider keine gute Fee des Nachts hereinspaziert und erledigt diese täglichen Aufgaben.
Ich glaube der Schock wäre viel größer, wenn sie plötzlich feststellen müßten, daß solche Dinge selbst erledigt werden müssen. Sind sie von klein auf daran gewöhnt, ist es Routine und keine große Belastung.
Einbeziehung in die alltäglichen Arbeiten können dabei helfen. Warum nicht bei der Zubereitung des Abendessens mithelfen lassen? Schnippeln, Tischdeckden und -abräumen oder kleine Wäscheteile zusammenlegen können auch schon kleine Kinder. Und durch die übertragene Verantwortung fühlen sie sich gleich viel erwachsener.
Und ja, ich streite mich mit meinem Partner auch wenn die Kinder anwesend sind. Auch das ist das Leben. Natürlich muß ich darauf achten, daß es bei der Klärung des Konflikts nicht nur um ein gegenseitiges Anschreien und mit Vorwürfen überhäufen geht. Vielmehr können die Kinder hierbei lernen, wie wichtig es ist, von sich selbst und über seine Gefühle zu sprechen, statt verbal auf den gegenüber einzuschlagen.
Wichtige Regel bei uns: vor dem Schlafengehen wieder versöhnen.
Achtsamkeit ist der Schlüssel
Um nicht mit dem Alltagschaos als Familie zu verschwimmen ist es wichtig achtsam miteinander umzugehen. Darauf achten, was die anderen Familienmitglieder gerade brauchen: eine Tasse Kaffee ans Bett? Eine Runde Vorlesen bevor es an die Hausaufgaben geht? Oder durch den Blätterhaufen am Wegesrand rascheln? Dann kann der Rest der Arbeit auch mal kurz warten.
Und nicht zu unterschätzen ist dabei die Laune der Eltern. Wie Uta Allgaier in ihrem Buch Doch! Erziehen kann leicht sein so treffend bemerkt: Die Stimmung in der Familie ist zu 100% abhängig von den Eltern. Wenn ich also meinen Alltag als O.K. empfinde, dann tun das meine Kinder ebenso.
Kleine Alltagsfluchten
Wäre jeder Tag ein einziger Ausflug auf den Rummelplatz, würden sich die Kinder spätestens nach einer Woche langweilen. Deswegen kommt es darauf an, im Alltag hin und wieder ein Highlight zu setzen. Und sei es auch noch so klein: Mal außer der Reihe zusammen einen Kuchen backen- ohne Geburtstag, einen Tag im Bett/Schwimmbad/Wald/in der Stadt verbringen. Oder ganz verrückt: mal einen Tag die Rollen tauschen: Die Kinder dürfen Eltern spielen und die Eltern müssen den Kindern gehorchen.
Ich erinnere mich nicht an viele Einzelheiten aus der Kindheit. Klar gab es ab und zu besondere Aktivitäten. Meine Eltern haben als Selbständige zu Hause gearbeitet und das oft bis spät in die Nacht hinein. Das war manchmal unangenehm und anstrengend.
Die Erinnerung an meine Kindheit ist jedoch eine ganz andere: Ich hatte einen Platz in einer Familie, in der geliebt, gelacht und auch gestritten wurde. Ich hatte meinen Platz, den mir niemand nehmen konnte und es bleibt ein warmes Gefühl.