Auf diese Frage bin ich neulich bei einem Aufenthalt im Marriott Hotel in Zürich gestoßen. Dort fand ich nämlich dieses Angebot vor:
Zum Verkauf auf dem Zimmer standen solche 1 Liter Flaschen Wasser für 8,00 CHF (ca. 6,50 EUR) das Stück.
Ein stolzer Preis, oder? Vielleicht auch nicht, denn in der Schweiz ist ja so manches teuer. Vielleicht kostet Mineralwasser einfach so viel?
Ein Besuch im lokalen Migros Supermarkt hat mich dann allerdings informiert, dass eine Flasche vergleichbaren Mineralwassers dort nur 1,60 CHF (ca. 1,30 EUR) kostet.
Da habe ich mir dann eine gekauft und mehr als 5,00 EUR gespart. Davon kann ich mir dann zwei leckere Chai Tees in meinem Lieblingscafé in Hamburg leisten.
Ich will mich hier nicht über Mondpreise in Hotels empören. Das Marriott hat mich zu nichts gezwungen. Die 8,00 CHF für eine Flasche Wasser war wirklich nur ein Angebot - allerdings eines, das ich dankend und ohne nachzudenken ausgeschlagen habe.
Das Marriott hat keine 8,00 CHF Umsatz gemacht. Dem Marriott ist ein Durchsatz=Umsatz - variable Kosten von mindestens 7,50 CHR durch die Lappen gegangen.
Das erinnert mich an den Spruch der Börsianer: Nicht realisierte Gewinne, sind keine Gewinne.
Irgendwo beim Marriott hat jemand auf einen Durchsatz von 7,50 CHF spekuliert. "Lass uns das Wasser für 8,00 CHF pro Flasche verkaufen, dann können wir 7,50 CHF 'Gewinn' damit machen."
Leider ist dieser Fall nun wieder nicht eingetreten. Was hat die Chance auf den hohen Durchsatz also genutzt?
Viel gewinnen kann man auch beim Lottospiel. Aber der Erwartungswert ist sehr, sehr klein. Hat sich beim Marriott also mal irgendjemand Gedanken über den Erwartungswert gemacht? Ich bin im Zweifel.
Meine Vermutung: Das Marriott hat einen Anspruch. Man will Qualität bieten in der gehobenen Hotelklasse. Dafür kann man natürlich einiges an den Zimmer und beim Service tun. Und ich kann berichten, dass man sich da auch durchaus erfolgreich bemüht.
An der Qualität des Mineralwassers kann man jedoch nichts tun. Die ist auf dem Hotelzimmer dieselbe wie im Supermarkt.
Drückt dann aber vielleicht das Vorhandensein von Mineralwasser auf dem Hotelzimmer Qualität aus? Naja... diesen Service bieten auch 2-Sterne Hotels im Rotlichtviertel von Köln. (Ja, ja, da bin ich mal vor vielen Jahren gelandet, als die Hotelwahl über das Internet noch nicht so gut funktionierte.)
Eine Flasche Wasser auf dem Hotelzimmer ist also kein überraschender Service - insbesondere nicht, wenn dann so eine Flasche den fünffachen (!) Preis im Vergleich zum Supermarkt hat.
Dass eine Flasche Wasser oder Bier im Restaurant mehr kostet als im Laden, ist selbstverständlich. Über deren Verkauf muss sich das Restaurant finanzieren. Aber ein Marriott Hotel, das für eine Übernachtung im Einzelzimmer ohne weiteren Verzehr gern mal mehr als 400 EUR verlangt... das finanziert sich doch nicht über Mineralwasserverkauf.
Außergewöhnlicher Servicewille ist also nicht der Grund für Wasser zu 8,00 CHF auf dem Zimmer. Den hätte ich eher vermutet, wenn das Wasser kostenlos oder zum Ladenpreis angeboten würde.
Mir fällt daher leider, leider nur ein Grund für den hohen Preis ein: Gier.
Das klingt nicht schön, aber wie anders ist ein fünffacher Preis zu erklären? Ist die Leistung, das Wasser bereitzustellen und damit den armen Gästen den Weg zum fernen, fernen Supermarkt abzunehmen, 6,40 CHF wert?
Nein, tut mir leid, das ist für mich jenseits aller Angemessenheit. Das ist gierig und womöglich sogar respektlos gegenüber den Gästen. Man nutzt deren Unwissen über die lokalen Preise und ihre mangelnden Orts- und Sprachkenntnisse aus.
Aber wie gesagt, ich will mich gar nicht empören. Mich treibt vielmehr die Frage um: Wird die Gier befriedigt? Nützt es, gierig zu sein? Kann sich das Marriott die Hände reiben ob solch kluger Preisgestaltung?
Meine Antwort: Ich weiß es nicht. Und ich glaube, das Marriott weiß es auch nicht.
Womit ich beim Thema für diesen Artikel bin: Das Marriott weiß nicht, was es mit Wasser verdienen könnte, weil es nicht experimentiert.
Man mag mich eines Besseren belehren, doch bis dahin glaube ich, dass niemand im Marriott den Preis für maximalen Durchsatz "ausbalanciert" hat. Vielmehr hat irgendwer schlicht überlegt, "Welcher Preis passt zu unseren allgemein hohen Preisen? Und wo liegt gerade noch so eine Akzeptanzgrenze, dass man uns die Flasche nicht an der Rezeption um die Ohren haut?" Da klangen Preise über 10,00 CHF wahrscheinlich zu hoch und Preise unter 5,00 CHF zu billig. Und ist 8 nicht eine schöne runde Zahl?
Warum auch nicht den Preis so festsetzen? Irgendwo muss man ja mal anfangen.
Ich glaube nur, dass man da dann nicht stehenbleiben sollte.
So eine Festsetzung sollte nicht auf ewig sein, sondern als Experiment mit begrenzter Laufzeit betrachtet werden. Denn sonst kann man nicht herausfinden, ob ein anderer Preis mehr Erfolg bringt.
Auch wenn das Marriott mit 8,00 CHF pro Flasche im Jahr vielleicht 10.000,00 CHF Durchsatz macht, auch wenn man sich über diesen Durchsatz womöglich freut, heißt das nicht, dass 6,00 CHF oder auch 9,99 CHF pro Flasche pro Flasche nicht mehr Durchsatz produzieren könnten.
Ja, ich behaupte, das weiß dort keiner. Man orientiert sich an einem Anspruch und vergleicht vielleicht noch mit anderen Hotels derselben Klasse. Heraus kommt dann ein Preis, mit dem man sich wohl fühlt - aber keiner, von dem man weiß (!), dass er den Durchsatz maximiert [1].
Mein Vorschlag wäre, den Preis zum Beispiel für jeweils zwei Monate auf zum Beispiel 2,00 CHF, 4,00 CHF, 6,00 CHF und 10,00 CHF zu setzen. Wie oft das 8,00 CHF Angebot in zwei Monaten genutzt wird, weiß man ja heute. Aber wie oft würde Mineralwasser zu einem anderen Preis genutzt? Vielleicht verdoppelt sich der Verkauf für 6,00 CHF? Oder er bricht nur um 5% bei 10,00 CHF ein?
Ich habe da zwar eine Vermutung... doch das ist egal. Wenn das Marriott gierig ist, dann sollte es konsequent schauen, wie es die befriedigen kann. Das geht nur mit Experimenten.
Sie mögen nun denken, dass sich das doch für solch eine Nebensächlichkeit wie Mineralwasser nicht lohne. Da halte ich aber dagegen: Die Abwesenheit von Experimenten beschränkt sich nicht auf das Mineralwasser. Die ist vielmehr Symptom einer Haltung. Es wird nicht im Kleinen experimentiert, es wird nicht im großen experimentiert. Jedenfalls nicht, wenn man nicht muss.
Bei den Zimmerpreisen ist man quasi gezwungen zum Experiment. Da gibt es Wettbewerb, da ist die Auslastung schwankend nach Jahreszeit usw. Also variiert man die Zimmerpreise. Das tun alle und es kommt - so glaube ich - am Ende tatsächlich ein Preis heraus, der die Marge maximiert.
Aber wie ist es in anderen Bereichen? Gibt es Experimente im Restaurant des Marriott? Eher nicht.
Und wie ist es bei Ihnen im Unternehmen? Wer weiß (!), dass mit den aktuellen Preisen das Maximum an Marge erreicht ist?
Ich glaube, das weiß man nicht, sonder hat nur Vermutungen und handelt nach überkommenen Glaubenssätzen. "Das können wir nicht anders machen..." oder "Das war schon immer so..." halten Sie womöglich davon ab, mehr zu verdienen.
Warum also nicht ein paar Experimente wagen. Die müssen ja nicht verrückt sein. Sie müssen nicht alles aufs Spiel setzen. Aber ein bisschen "Mutation" in den "Preisgenen" kann nicht schaden, finde ich. Weniger auf den Wettbewerb schielen, mehr selbst herausfinden. Das wäre doch mal was, oder?
PS: Dass es auch anders geht, zeigt übrigens das schlossgut gross schwansee, welches ich am letzten Wochenende besucht habe. Dort hat man sich entschieden, das Mineralwasser als Service kostenlos anzubieten:
Meine Vermutung: Man hat realisiert, dass der Gewinn an Image größer ist als jeder monetäre Gewinn, den man durch den Verkauf zu welchem Preis auch immer erzielen könnte.
Endnoten
[1] Ich spreche ganz bewusst hier nur vom direkt mit dem Wasser umgesetzten Geld. Inwiefern sich ein Preis auf das Image niederschlägt, lass ich außen vor. Auch darüber könnte sich ja ein Marriott Gedanken machen:Sind 8,00 CHF ein "würdiger" Preis, der das Image verbessert? Oder könnte es sein, dass dieser Preis dem Image schadet? Was würde ein Preis von 1,60 CHF für das Image tun? Was würde mit dem Image passieren, wenn man das Wasser - horribile dictu! - kostenlos anbieten würde?
Das sind alles Fragen, von denen ich glaube, dass sie nicht ernsthaft gestellt werden. Und wenn, dann sucht man nicht nach belastbaren Antworten.