Mehr Staat für alle Fälle

Mehr Staat für alle FälleDer Aufschrei als Dauerton, das Lamento über abweichende Meinungen in der Wiederaufführung mit einem neuen FDP-Vorsitzenden. Erst nörgelt die vor dem Untergang stehenden liberale Partei wider alle Anweisungen der ehemaligen Klimakanzlerin am Vollzug der Euro-Rettung herum. Und nun ficht sie auch noch das ergebnis des Mülheimer Drachenboot-Rennens an.
Ja, sind die denn alle irre geworden, fragt Mark Schieritz vom Rettungsfachblatt "Zeit", das noch im August sicher war, selbst nicht zu wissen, wie der Euro nun gerettet werden soll.
Seitdem ist Wissen über die Redaktion gekommen, das Schieritz, der gerade erst eine Lobeshymne auf die beinahe durchweg staatlichedeutsche Bankenlandschaft angestimmt hatte, nun mit dem Leser teilt. "Wer die Pleite Griechenlands heraufbeschwört, übersieht: Sie hätte eine gigantische Wohlstandsvernichtung zur Folge – auch in Deutschland", ruft der Experte, der dem US-Finanzminister Tim Geithner vor zwei Jahren schon ein "So nicht" zu dessen Bankenrettungsplan entgegenschmetterte. Okay, Geithner hat dann nicht gehört und auch in Schieritz´ Kritik wollte irgendwann keiner mehr einstimmen.
Aber zum Glück gibt es ja nun die Euro-Krise und damit eine neue Gelegenheit, mehr Staat für alle Fälle zu fordern. Anderenfalls, daran lässt Schieritz keinen Zweifel, falle erst "der Euro, dann kollabiert die Wirtschaft und irgendwann werden die Europäer wieder aufeinander losgehen" (alle Zitate: Schieritz).
Wer will das schon? Bomben auf Engeland, Bosbach als Hitler, ein ausgezehrter Rößler bei der Suppenausgabe an der Armenküche? Hunger in Hamburg, Kannibalen in Karlsruhe. Gehe es nach der FDP, sei all das absehbar, weil Griechenland dann nicht gerettet werde, mahnt die "Zeit": "Die Banken werden kein Geld mehr flüssig haben und keins erhalten. Die Sparer werden ihr Geld verlieren. Die Wirtschaft wird in eine tiefe Rezession stürzen. Die Arbeitslosigkeit wird steigen."
Hat Schieritz am Schreibtisch ausgerechnet, noch hat er ja Arbeit. Ist amtlich. Muss aber gar nicht so kommen, weil man ja auch einfach mal wieder ein neues "Hilfspaket für Griechenland" schnüren könne, "das uns allenfalls ein paar Milliarden kostet". Die werden doch wohl noch da sein. Man muss ja bedenken: "Selbst wenn Europa die gesamten Staatsschulden des Landes übernehmen müsste", schreibt der Spezialist für weltpolitische Wirtschaftsfälle, "würde es sich nicht überheben – im Gegenteil."
Im Gegenteil also. Im Gegenteil. Schieritz erläutert nämliches Gegenteil nun nicht, warum auch immer. Manchen hätte sicher gern erfahren, welche Gnade darin liegt, wenn die deutsche Putzfrau, der deutsche Taxifahrer oder Lokführer dafür sorgt, dass Griechenland sich weiter eine "Ministerin für Bildung und lebenslanges Lernen" leisten kann, die im Oktober in den Palais d’Egmont in Brussel eilen wird, um dort am "VIP roundtable taking place" ein "Re-thinking the European project" zu versuchen.
Immerhin aber führt er aus, dass Recht und Gesetz flexibel zu sein haben, wenn sie nicht zu geplanten Taten passen. "Natürlich wurde und wird bei der Euro-Rettung gegen ordnungspolitische Prinzipien verstoßen" heißt es souverän. Aber, hey, scheiß drauf! Was sind schon Prinzipien? Was gilt Moral? Was taugen Recht und Gesetz und Verträge, wenn man erst anfängt, sie einzuhalten?
So predigt die "Zeit" im Geist von George W. Bush: Tue was nötig ist und frage nicht, ob es rechtlich möglich ist. Nur so, liebe FDP, gewinnt man Drachenbootrennen!


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