Mehr Radikalität wagen – Der Protest muss sich zuspitzen

Die zweite Phase von „Occupy“ und „Global change“

Mehr Radikalität wagen – Der Protest muss sich zuspitzen

Von Florian Hauschild

Was vor zwei Monaten noch undenkbar erschien ist mittlerweile eine allgemeingültige Banalität: In Deutschland gehen Menschen auf die Straße um gegen das noch bestehende System zu demonstrieren. Allein vergangenen Samstag waren es wieder 18.000. Fast jeder „Experte“, „Nicht-Experte“, „Verschwörungstheoretiker“, „Unterwanderungsparanoiker“ und viele Akteure mehr haben zu diesem Sachverhalt nun ihre Meinung geäußert und versucht „die Bewegung“ einzuordnen. Zeit für ein Zwischen-Resümee, Zeit aber auch für mehr Radikalität!

Die Revolution in der wir uns befinden, schreitet in verschiedenen Phasen voran. Während wir Mitte dieses Jahres noch eine dumpfe Unzufriedenheit gespürt hatten, wurde dieser Unmut nun auf die Straße getragen, der Protest ist allgegenwärtig, die Systemfrage ist gestellt. Klar ist aber auch: Es hat bisher keiner der etablierten Akteure eine Antwort auf eben diese Systemfrage. Man ignoriert also, diffamiert, lenkt ab, versucht zu beruhigen und die Debatte auf Nebenkriegsschauplätze zu verlagern.

Nachdem am Samstag noch harmonisch Seit an Seit mit institutionalisierten Protestträgern demonstriert wurde, muss uns, den kritischen Einzelpersonen aus „dem Schwarm“, allerdings klar sein: Es ist nun an der Zeit weiter zu gehen. Es spielt keine Rolle ob man sich selbst als Teil von „occupy“ sieht oder nicht, wenn man als Mensch verstanden hat, warum das bestehende Gesellschaftssystem nicht mehr funktionieren kann, ist jetzt die Zeit um aktiv zu werden. Die Symbolik „occupy“, wie auch „aCAMPada“ oder auch „Echte Demokratie Jetzt“ sind hierfür eher als Labels der Wiedererkennung zu verstehen, es handelt sich dabei niemals um Organisationen im klassischen Sinne, sondern immer nur um lose verbundene Einzelpersonen – um uns!

Attac und Campact sind als Organisationen mit Sicherheit sehr begabt darin, den Protest nun zu nutzen um etwa eine Transaktionssteuer oder ähnliche Beruhigungspillchen zu fordern. Wenn die führenden Vertreter dieser Organisationen dies tun wollen, hält sie sicherlich keiner auf. Klar muss aber auch sein: Wir sind diejenigen, die angetreten sind um das bestehende System nun endgültig zu zerschmettern und durch soziale Spielregeln zu ersetzen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind.

Es war niemals unser Ziel einzelne Regeln zu verschlimmbessern und das wird es auch niemals sein. Keiner dieser Trippelschritte, die nun als Zugeständnisse gemacht werden, darf uns deshalb davon abhalten das Ziel des gesamtgesellschaftlichen Wandels aus den Augen zu verlieren.

Den Bildungsauftrag ernster nehmen

Wir sind viele und auch wenn wir uns sehr oft nicht persönlich kennen, wissen wir, dass wir zusammenarbeiten. Wir wissen, dass wir als Schwarm in sehr vielen Bereichen über umfassendes Wissen verfügen und jeder von uns muss nun den Bildungsauftrag, der sich daraus ableitet, ernster nehmen. Es geht nun nicht mehr darum, dass wir selbst immer mehr verstehen – es ist vielmehr unsere Pflicht denjenigen beim Verstehen zu helfen, die noch völlig blind durch die Welt laufen.

Wir müssen aber auch argumentativ all jene bekämpfen, die Unwahrheiten streuen und von den wichtigen Kernfragen ablenken. All jene, die nur Schubladendenken kennen, die versuchen eine homogene Bewegung zu stilisieren, um diese dann zu diskreditieren und zu diffamieren. Diese Tendenzen sind immer wieder zu beobachten. Nicht nur von Seiten der Konzernmedien, auch von verquarsteter pseudo-intellektueller Seite ausgehend. Da wird beispielsweise Finanzmarktkritikern Antisemitismus unterstellt und reden bei einer Asamblea mal mehr Männer als Frauen ist die „Bewegung“ direkt sexistisch. Ein sachlicher Dialog ist in solchen Fällen kaum möglich, wir sollten uns aber stets die Mühe machen, derlei Aussagen als Hirngespinste zu entlarven.

Den Unterwanderungsparanoikern und sonstigen Hetzern sei gesagt: Die Gesellschaft besteht nun mal aus den Menschen, aus denen sie besteht. Die Menschen sind so weil diese Gesellschaft so ist, nicht weil die „Bewegung“ so ist. Wenn ihr auf Asambleas und in Camps Menschen kennen lernt deren Sozialisation euch schockiert ist dies erst recht ein Grund sich mit uns für einen gesellschaftlichen Wandel zu engagieren, anstatt jeden Veränderungsversuch schon gleich zu Beginn kaputt zu reden.

Wer „die Bewegung“ begriffen hat nutzt Kommunikation nicht zur Hetze oder Diffamierung einzelner Personen, sondern für die öffentlichkeitswirksame Widerlegung falscher Argumente. Wir können und werden auf diese Weise aktiv verhindern, dass Protest und Unzufriedenheit sich in der Verschreibung systeminterner Placebos kanalisiert.

Als politisch-programmatischer Wegweiser kann wohl die Berliner Rede vom 12.11.2011 verstanden werden.

Diese Rede zeigt klar und deutlich: Die Probleme sind mannigfaltig, die Baustellen zahlreich, ebenso offensichtlicher werden aber auch konkrete Soll-Bruchstellen des „alten“ Systems, das es nun gilt, friedlich aber mit aller Wortgewalt und mit dem Schritt in den zivilen Ungehorsam einzutreten. Wir müssen unsere Kräfte auf diese heiklen Punkte des Systems, auf diese Fäden an denen alles hängt, konzentrieren, in dem Wissen und Vertrauen, dass sich längst genügend unserer Mitstreiter auch um all die anderen wichtigen Fragen einer funktionierenden Gesellschaftsordnung kümmern.

Was sind die entscheidenden Subsysteme die es zu zerschlagen gilt?

Unser Gesellschaftssystem besteht aus zahlreichen Unter- oder auch Subsystemen. Eigentlich sollte jedes Subsystem einer eigenen Logik folgen, dies ist allerdings längst nicht mehr der Fall. Zwei Subsysteme haben sich der anderen Subsysteme bemannt und dominieren diese. In der Sphäre des Ideellen ist dies das bestehende System der Konzernmedien, in der Sphäre des Materiellen ist dies (vor allem) das bestehende Geldsystem.

Alle anderen gesellschaftlichen Teilsysteme – selbst die kapitalistische Wirtschaftslogik – lassen sich in der bestehenden Form nicht aufrechterhalten ohne ein manipulatives Mediennetzwerk und ein Geldsystem, das die große Mehrheit von uns Tag für Tag enteignet und ausbeutet – uns buchstäblich unsere Zeit raubt. Wir wissen also, was wir zerschmettern müssen: Das Vertrauen in eben jene beiden Systeme. Denn es gilt: Beide Systeme können nicht mit Waffengewalt oder mit Gesetzen verteidigt werden. Geld- und Konzernmediensystem funktionieren nur, weil Menschen glauben, dass sie funktionieren und sie diese deshalb nutzen. Es ist unsere Aufgabe aufzuklären, und somit das nicht gerechtfertigte Vertrauen in diese Systeme zu zerstören.

Wie zerschmettern wir die bereits morschen Subsysteme?

Gesellschaftliche Subsysteme – also Komplexe von Regeln, Normen und Verfahren – sind letztendlich nur imaginäre Spiele. Sie werden gespielt, weil der Großteil der Menschen glaubt das sei richtig so. Diese Menschen glauben jedoch lediglich an die Richtigkeit der Regeln, weil man es ihnen gesagt hat. Objektive Argumente spielen dabei oft keine Rolle. Es liegt nun an uns derart manipulierte Menschen vom Gegenteil zu überzeugen. Hierzu ist keine Gewalt nötig, wohl aber Wortgewalt und eine gewisse Radikalität in der Sache. Der Weg zur konsensorientierten Gesellschaft führt zweifellos über den argumentativen Konflikt. Diesen haben wir nun zu führen.

Konflikte mögen anstrengend sein und oft auch die ein oder andere Freundschaft kosten. Dennoch sollten wir es aber als unsere Pflicht verstehen eben diese Konflikte zu initiieren und dann auch möglichst öffentlich auszutragen.

Indem wir also die politische Debatte zurück in den öffentlichen Raum holen – sei es virtuell oder auf der Straße – schleifen wir das, was jetzt noch als normal und unverrückbar gilt. Stück für Stück verüben wir somit ideelle Attentate auf die bestehenden Wirklichkeiten in den Köpfen manipulierter, systemtreuer Mitmenschen. Wir tun dies genau solange, bis diese Menschen ebenfalls bereit sind anzuerkennen, dass es so nicht weitergeht und sich selbst daran beteiligen Fragen zu stellen. Diese Fragen setzen dann einen demokratischen Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in Gang.

Bezüglich des Mediensystems gilt es zudem zu differenzieren: Auch bei den Konzernmedien gibt es sehr wohl Journalisten, die gute Arbeit leisten. Deren Arbeiten gilt es zu loben und zu verbreiten. PR-Texte, Hofberichterstattung und untertäniger Herrschaftslegitimationsschrieb gilt es aber genauso anzuprangern und öffentlich zu widerlegen wie manipulativen Neusprech und bewusste Verallgemeinerungen. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, die Systemfrage in das Konzernmediennetz hineinzutragen. Überall gibt es Lücken und durchlässige Stellen an denen dies möglich ist, auch ein gewisser sanfter Druck auf Journalisten kann hier helfen. Des Weiteren sollten wir dezentrale Netzwerke der politischen Debatte auf- und ausbauen, wie beispielsweise hier geschehen.

Bezüglich des Geldsystems müssen wir in voller Radikalität immer wieder aufzeigen und erklären warum das bestehende System nicht funktionieren kann (Argumentationshilfen in Kurzform, ausführliche Analyse der Systematik) und warum dieses System hochgradig ungerecht ist. Nur so wird es uns gelingen, diese Debatte in den Fokus des gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins zu rücken.

In einer Gesellschaft in der Schweigen Zustimmung bedeutet und in der die Konsequenzen dieses Schweigens alle zu tragen haben, hat niemand ein naturgegebenes Recht auf Ignoranz und Apathie. Wir waren lange genug geduldig. Zerschmettern wir nun die falschen Wirklichkeiten!

Zum Thema:

Slavoj Zizek: Zeit der Monster -Ein Aufruf zur Radikalität

Julian Assange: Verschwörung als Regierungshandeln – Das Wikileaks-Manifest

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