Mehr Nebel!

Der in den großen Häusern in Wien gefragte Regisseur Miloš Lolić bearbeitete Elfriede Jelineks Text, der über die kaltblütige Ermordung von 180 ungarischen Kriegshäftlingen in Rechnitz im Burgenland Auskunft gibt. Und fügte dem ohnehin schon nebelumhangenen Skriptum in seiner Dramatisierung eine weitere Verschleierungstaktik hinzu. Jenem Text, der nach seiner Uraufführung im Jahr 2008 nicht nur in Österreichs Adelsgesellschaft hohe Wellen schlug und schließlich Sacha Batthyány dazu bewog, in seinem Buch „Und was hat das mit mir zu tun“, seine eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten.

Das verschwiegene Massaker

Mehr Nebel!Rechnitz (Der Würgeengel) (c) www.lupispuma.com

Mit einem lauten Krach, dass man von seinem Sessel hochfährt, beginnt die dramatisierte Berichterstattung jener Geschehnisse, in welchen Gräfin Margit Batthyány, geborene Thyssen, verstrickt gewesen war. Oder gewesen sein soll. So genau weiß man es nicht, so genau ist es nicht mehr zu eruieren. Was jedoch mehreren Überprüfungen und übereinstimmenden Aussagen Stand hielt, ist die Tatsache, dass sie in der Nacht zum Palmsonntag im Jahr 1945 in ihrem burgenländischen Schloss ein Fest gab. Ein Fest, bei dem auch wichtige NS- und SS-Funktionäre eingeladen waren. Nachdem das Schloss nachts ein Anruf ereilte, verschwand die Hälfte der Gäste, um in einer nahe gelegenen Scheune die dort untergebrachten Kriegsgefangenen zu erschießen. Jene Gefangene, die am nächsten Tag die Leichen in einer Grube beseitigen mussten, wurden danach ebenfalls ermordet. Bis heute ist das Massengrab nicht gefunden. Bis heute gibt es diesbezüglich keine einzige hilfreiche Aussage. Weder von den Batthyánys, die sich danach sofort in die Schweiz abgesetzt hatten, noch von der Rechnitzer Bevölkerung, die das Massaker mitbekommen haben muss.

Verbale Nebelbomben, wohin man hört

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Jelinek verwendet in ihrem Text „Boten“ – Menschen, die Kunde über das Geschehen bringen sollen, aber den Abend über tatsächlich nicht mehr tun, als diesbezüglich verbale Nebelbomben schmeißen. Lolić übernimmt diese Taktik in seiner Regie, und lässt das Ensemble zu projizierten Videoclips tanzen. Oft, während einer oder eine davor den Jelinek-Text weiter rezitiert. Zwangsläufig schwer verständlich, obwohl hin und wieder auch ein Mikrofon zum Einsatz kommt.

Es sind Videos von Beyoncé bis Tina Turner, zu welchen ausgelassen in den jeweils passenden Outfits getanzt wird. Meist wird auf der Bühne direkt umgezogen, vor den Augen des Publikums, was eine zusätzliche Textablenkung bedeutet. Mit der ausschließlichen Frauenpower, die in den Clips präsent ist, schafft der Regisseur eine subtile Verschränkung hin zu Gräfin Batthyány, dank ihrer familiären Herkunft eine der reichsten Frauen ihrer Zeit. Er präsentiert dabei das Weibliche als anziehendes Faszinosum, dem man ungefragt verfallen muss.

In einer einzigen Szene gestaltet sich Jelineks Text auf der Bühne des Volkstheaters höchst eindringlich, unter die Haut gehend. Ohne Videobegleitung, mit einem schwarzen Vorhang im Hintergrund. In ihr wird ein wenig eingehender über die Umstände der Erschießung der Männer berichtet. Wenngleich auch wieder nur im spiraligen Textgefüge, das keine Publikumssensationsgelüste befriedigt, das sich nicht dingfest machen lässt. Zwar fallen die Boten und Botinnen ab und zu auf den Boden, ohnmächtig, wie vom Unaussprechlichen getroffen. Zwar kann man sich bei dem Terminus „Hohlmenschen“ die ausgemergelten Leiber der ausgehungerten Gefangenen gut vorstellen. Visualisiert werden die Gräueltaten aber nicht. Können sie auch nicht werden, denn niemand gibt direkt Kunde vom Geschehen.

Die verteilte Schuld

Jelinek greift in vielen Passagen auf das Schärfste Gräfin Batthyány an, aber sie lässt auch die Menschen, die in jener Nacht in Rechnitz waren, nicht ungeschoren. Ihr Wegschauen, ihr Stillhalten, ihr Schweigen wiegt beinahe gleich schwer wie der Massenmord, der in betrunkener Feierlaune zum dionysischen Schlachtfest ausartete.

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Die Tänzerin, Schauspielerin und Choreografin Jasmin Avissar (auch für die Choreografien des Ensembles verantwortlich) tritt als geheimnisvolle Frau auf. In beiger Unterwäsche, ohne Text, steht sie in der zweiten Halbzeit geisterhaft, mahnmalhaft auf der Bühne und blickt ins Publikum. Langsam, wie in Zeitlupe, arbeitet sie sich bis an den Bühnenrand vor und legt die kleine Wegstrecke bis zum Ausgang im Parkett zurück, nimmt noch einmal Blickkontakt mit den Zusehenden auf und verschwindet. Als sie in der letzten Szene wiederkommt und eine Kamera in der Hand hält, mit welcher sie das Ensemble aufnimmt, dauert es nicht lange, bis dieses, wie es aufgetreten ist, die Bühne durch das nun wieder geöffnete Bodentürchen nacheinander wieder verlässt. Schließlich will man ja nicht gefilmt werden bei Berichten, die einem aufgetragen wurden zu erzählen. Nichts soll bleiben, nichts wird bleiben von diesem einmaligen Vorfall, um den man sich, wie Jelinek es öfter beschreibt, nicht weiter kümmern muss, da er ja einmalig war.

Schnell da, schnell wieder weg

Der Regisseur schafft mit seinen Videoeinspielungen aber nicht nur ein abwechslungsreiches Surrounding für eine ausgelassene Feier. Er zieht damit zugleich auch eine zeitliche Komponente ein, die verdeutlicht, dass unsere mediale Gesellschaft Tragödien kommen und gehen sieht, niemand aber die Notwendigkeit erkennt, in die Tiefe der Ereignisse zu recherchieren. Schnell da, schnell wieder weg, selbst im Fall von 180 Menschenleben wird die Aufmerksamkeit nicht größer, die Aktionen gegen Unrecht nicht schärfer, die Erinnerungen nicht dauerhafter.

Mehr Nebel!Rechnitz (Der Würgeengel) (c) www.lupispuma.com

Die in er Mitte der Bühne aufgestapelten, barocken Türen (Bühne Paul Lerchbaumer) künden von der späteren Brandschatzung des Schlosses durch die russische Besatzung. Die sphärische Hauptkomponente erhält der Abend jedoch durch die Lichtgestaltung von Paul Grilj. Er taucht den Bühnenraum in helles Blau und Grün und leitet mit einem dunklen Orange den grausamen Erzählhöhepunkt ein.

Ein hoch präsentes Ensemble

Die Textaufteilung auf das gesamte Ensemble lässt dieses einerseits wie einen antiken Chor auftreten. Andererseits erhalten alle Monologe, in welchen die unterschiedlichen Standpunkte zu diesem Geschehen ein Gesicht bekommen. Thomas Frank, Katharina Klar, Sebastian Klein, Steffi Krautz, Kaspar Locher, Claudia Sabitzer und Birgit Stöger präsentieren die Mitwissenden von hoch emotional bis verzagt, von abweisend bis rechtfertigend – immer jedoch intensiv und hoch präsent.

Sacha Batthyány, Neffe von Gräfin Batthyány, durfte durch seine Familienaufarbeitung am eigenen Leib erleben, dass das Bohren in historischen Wunden für den, der Aufklärung möchte, schmerzhaft ausfallen kann. Er zog mit seiner Familie kurz nach der Veröffentlichung seines Buches nach Amerika.

Miloš Lolić hat sich Jelineks Aufforderung „das Stück fertigzuschreiben“ zu Herzen genommen und ihm seinen eigenen, künstlerischen Stempel aufgedrückt. Der Applaus des Premierenpublikums fiel lange aus.

Weitere Termine auf der Website des Volkstheaters.


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