Mehr Mut zum Scheitern!

Von der Poesie der Alltagsobjekte, Teil 2

Clément Layes gastierte mit seinem neuesten Stück „Title" im Tanzquartier Wien. Als Vorpremiere für Berlin konnte der Choreograf und Künstler in Österreich noch bis zum Schluss an diesem Werk arbeiten, das davon lebt, das Unvollkommene als Lebensprinzip in den Vordergrund zu stellen.

„Title" war seine zweite Arbeit, die gemeinsam mit „Allege" an einem einzigen Abend gezeigt wurde. Performte Vincent Weber den Opener „Allege", so stand Layes in „Title" selbst auf der Bühne. Groß und schlank gewachsen, mit grauen Haaren schreitet er langsam von der Treppe des Zuseherranges herab. Einen kleinen Lautsprecher, aus dem Musik düdelt, hat er bei sich. Die Bühne selbst ist ein einziger Chaoshaufen, jedoch beschränkt auf eine ovale, weiße Grundfläche in der Mitte des Raumes. Allerhand Dinge liegen am Boden herum. Ein Kübel, eine große Plastikwanne, zwei Metallhandschuhe und ein Ritterhelm, ein kleines, rotes Auto, Seile, Bohrmaschinen. An größeren Objekten sind eine weiße übermannsgroße Kiste, ein Blumentischchen und ein langes Vierkantholz zu erkennen. Nach und nach räumt Layes auf. Spuren einer unbekannten Aktion, die zuvor hier stattgefunden haben muss. Was das genau war, lässt sich aber nicht sagen.

Nachdem Ordnung herrscht, zaubert der Tänzer und Choreograf in Personalunion ein kleines Buch hervor, aus dem er zu lesen beginnt. Oder besser gesagt, aus dem er gerne vorlesen möchte. Diese Aktion gestaltet sich jedoch unerwartet schwierig. Denn Layes findet keinen adäquaten Platz, auf dem er sitzen kann. Jede Position, die er einnimmt, scheint unbequem zu sein und wird rasch wieder gewechselt. Das Kantholz, das er mit der großen Kiste zu einer schiefen Ebene aufbaut, bietet ihm genauso wenig Halt wie eine Flasche, die er für wenige Momente als absurde Sitzgelegenheit nutzt. Mit der Positionierung einer Rotweinflasche auf seinem Rücken, die er eine Zeitlang gebückten Ganges mit sich herumschleppt, setzt Layes dem Gefühl der Instabilität noch eins drauf. Spätestens als er mit einem Seil die Flasche auf seinem Rücken einfängt und sie wie mit einem Lasso bis hin zu seinem Steißbein zieht, ist das Publikum erheitert. Hier agiert einer mit Verve und Witz, einer, der sich und seinen Beruf selbst aufs Korn nehmen kann. Das macht einfach Spaß.

„In this world, in this place, in this theatre...", immer und immer wieder versucht Layes das Gedicht, das er nicht imstande ist, in Ruhe vorzutragen, von vorne zu beginnen. Zumindest schafft er es, jedes Mal ein neues Nomen hinzuzufügen. Dann aber kommt ihm wieder seine Rastlosigkeit dazwischen. Zu eingespielten, harten Trommelschlägen beginnt er die schwere Kiste mit einem Seil hochzuziehen. Auch das Vierkantholz darf sich mittels eines Seils in die Luft schwingen und nach und nach werden alle Objekte, die luftige Höhe schnuppern dürfen, in Bewegung gesetzt. Ein Riesen-Perpetuum-Mobile baumelt über der Bühne, ein wahrhaft skulpturales Gebilde, das den Eindruck erweckt, als hätten sich hier ein paar Seilakrobaten einfach verdinglicht.

War bis zu diesem Zeitpunkt Layes Umgebung eine, die es von ihm mit seiner Physis zu beherrschen galt, entwickeln sich nun die kleineren Objekte zu Lebewesen mit einem eigenen Willen. Wunderbar, wie das rote Spielzeugauto den Künstler verfolgt oder versucht, Reißaus zu nehmen. Einfach amüsant, wie mittels der zwei Bohrmaschinen eine Plastikrose und ein Seil in Drehungen versetzt werden, wie sich sein Hut, den er über das renitente Spielzeugauto stülpte, langsam mit diesem fortbewegt. Und ob des Irrwitzes noch nicht genug, zwischendrin, wenn sich der Künstler durch seine Haare fährt oder einfach nur den Kopf schüttelt, bildet sich darum jedes Mal eine kleine Staubwolke. Der stehende Begriff eines rauchenden Kopfes bekommt hier eine Verdinglichung. Als ob das Publikum nicht ohnehin schon genug zu schauen hätte, so als ob Layes nicht ohnehin schon heillos mit dem Chaos, das er nicht bändigen kann, überfordert wäre, beginnt er nun auch wieder zu lesen. Und lässt mit einem Satz aufhorchen, der sich ob seines Potenziales im Netz zu einem Meme entwickeln könnte: „More than machinery we need humanity."

Was sich vielleicht nach einer reinen Slapstick-Nummer anhört, ist es jedoch nicht. Alleine schon die ausgeklügelte Farbregie, sowohl im Licht als auch in den verwendeten Materialien, machen klar, dass sich die Performance auch entlang der Bruchlinie zur bildenden Kunst bewegt. Rot, weiß und schwarz harmonieren und ergeben eine poetische Ästhetik. Wie überhaupt die Poesie, die sich bei Layes in den kleinen Alltagsgegenständen findet, die er völlig zweckentfremdet auf der Bühne verwendet, eine große Rolle spielt. „Die Dinge, die ich auf der Bühne verwende, umgeben mich auch im Alltag. Und oft ist es so, dass sie einem ja auch tatsächlich über den Kopf wachsen." Layes präzisierte in einem Interview einen seiner Gedanken zu diesem Stück.

Die Verwendung von Objekten aus dem Alltag zieht sich wie ein roter Faden durch all seine Arbeiten. Alleine daran kann man schon erkennen, in welch hohem Maße Clément Layes mit Kreativität ausgestattet ist. Wer meint, dass das nichts Besonderes sei, probiere einmal ein beliebiges Ding abseits seines Zweckes kreativ zu benutzen. Sein grenzüberschreitendes Arbeiten ist Zeichen für einen grenzüberschreitenden Geist, der nicht darauf erpicht ist, Perfektion um jeden Preis abzuliefern. Mut zum Scheitern, Mut, dieses Misslungene auch zu zeigen, in die Choreografie bewusst einzubauen, ist ihm wichtig. Am Ende zerreißt er jenes Pamphlet, das ihn ohne Unterlass in eine permanente Überforderung versetzte. Die abschließende Dekonstruierung des Settings zu einem neuen ästhetischen Gebilde erreicht er dadurch, dass er den weißen, ovalen Plastikboden mit Klammern an Seilen befestigt, um ihn dann hochzuziehen. Der Boden, der zuvor noch Halt gegeben hat, auch er ist jetzt nicht mehr zu gebrauchen. So plakativ hat man bislang den Boden, den es einem unter den Füßen wegzieht, auch noch nie gesehen.

Ein zauberhaftes Stück voll Poesie und Humor aber auch voll von Lebensweisheiten für all jene, die diese darin erkennen können und auch annehmen möchten.


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