Eine Glosse von Paul Ertel
Sein wir mal ehrlich: Nichts macht mehr Spaß als genüsslich über Fehler herzuziehen. Das ist natürlich schwach, kleingeistig und moralisch verwerflich. Andererseits hat das gemeinsame Lästern einen nicht zu unterschätzenden, gemeinschaftsbildenden Effekt. Echte Verbundenheit entsteht erst mit einem gemeinsamen Feind – das weiß man in jeder guten Religion und auch in jeder Diktatur. Zorn schweißt zusammen und mobilisiert ungeahnte Kräfte.
So hat der Wutbürger in Deutschland immerhin zu einer Revitalisierung des öffentlichen Engagements geführt und Menschen verschiedener Altersgruppen zusammengebracht. Hassen für die Demokratie. Die gravierenden systemischen Fehler unserer Behörden mögen für den Betroffenen anstrengend sein, vergessen sie aber nie wieviele Ehen aus dem gemeinsamen Polit-Bashing in den WG Küchen deutscher Großstädte hervorgegangen sind!
Die vielversprechende Dynamik der geteilten Wut ist prinzipiell auch in unserer Warenwelt vorhanden, wird aber nur selten wertgeschätzt und durch vielfältige Designanstrengungen bereits im Keim wegoptimiert. Eine verpasste Chance, sind es doch gerade die negativen Produkterlebnisse die uns prägen und Material für endlose Anekdoten aller Art liefern.
Über die A-Klasse lachen wir uns heute noch tot, ganz zu schweigen von Windows Vista, Minidsic Playern, Apple Maps, Bluetooth Headsets und durchsichtiger Cola. Und sollten sie nicht mit einem besonderen Talent für interessante Gespräche gesegnet sein, können sie immer noch vom letzten Baumarkt-Einkauf berichten.
So gesehen sollte der soziale Anspruch von Design primär die Verschlechterung von Dingen zum Ziel haben. Die praktischen Vorteile liegen nicht nur auf der Hand, es geht dabei auch um eine elementare Wertschätzung des Benutzers, was ich gerne mit einem Gedanken aus Peter Sloterdijks „Der ästhetische Imperativ“ erläutern möchte.
Die meisten technischen Geräte sind für die Durchschnittsbenutzer nicht zu verstehen oder nur in sehr groben Zügen. Computer sind da ein sehr plakatives Beispiel aber im Prinzip geht es um alle Maschinen. Der Zauberkasten Computer, der für mich genauso unbegreiflich ist wie für jeden anderen Menschen in der Geschichte vor mir, spielt mir vor, dass ich ihn kontrolliere. Nur durch die geglückte Gestaltung des Computers bekomme ich magische Fähigkeiten und kann ohne größere Erniedrigungen nach lustigen Bildern von Katzen suchen oder diesen Text schreiben.
Damit werde ich zu einem „Gaukler“, welcher der Illusion erliegt übermenschliche Fähigkeiten zu besitzen. Sloterdijk nennt es auch „Scharlatan“. Der Designer wird bei ihm zu einem „Scharlatanausstatter“, der die Mogelei erst möglich macht. Denn er muss davon ausgehen, dass der Nutzer das Objekt nicht versteht. Die Beherrschung wird zur Simulation, die so lange glückt, wie die Schnittstelle ein Trugbild parat hält, das in etwa das gewünschte Ergebnis produziert. Design macht dort etwas möglich, wo man eigentlich nichts machen kann. Kann man auch immer noch nicht, aber wenigstens hat man das Gefühl zu können – und das ist ja schon mal eine Menge.
Ein verständliches Interface ist nicht mehr als die adäquate Reaktion auf die Feststellung, dass der Kunde ein Idiot ist, der sich Souveränität erkaufen will.
Was für eine herablassende Haltung! Daher sollte „gutes Design“ komplett neu gedacht werden: Umständlich, ineffizient und unpraktisch sind die Schlagworte einer reifen Disziplin, die den Benutzer endlich als intelligentes Individuum anerkennt und Objekte als Mittel zum sozialen Miteinander versteht.
Langlebig- und Verständlichkeit sind grundsätzlich abzulehnen. Dinge die schnell kaputt gehen oder unvollständig ausgeliefert werden fördern das Improvisationstalent und den freundschaftlichen Handel von Ersatz- und Gebrauchtteilen mit Nachbarn und Verwandten. Die volkswirtschaftlichen Vorteile von wegschmeißen und neukaufen brauche ich gar nicht erst zu erläutern. Auch schadet es nicht wenn Sachen völlig konfus sind. Denn wie erhebend ist das Gefühl etwas nach langem Sinnen endlich verstanden zu haben.
Ich hätte auch schon einen Vorschlag für ein großangelegtes Pilotprojekt im öffentlichen Raum: Die Ampelknöpfe an Fußgängerkreuzungen werden komplett umgestaltet.
Mittlerweile sind die mechanischen Knöpfe bereits wärmeempfindlichen Touchpads ohne Feedback gewichen – eine Entwicklung die in Sachen Unverständlichkeit und Verwirrung in die richtige Richtung geht. Vielleicht sind sie der Versuch für mehr Esoterik in der Stadt: Handauflegen und alles wird grün. Ich aber muss mich an Objekten abarbeiten, ich will sie spüren. Daher schlage ich vor diese Kuscheltaster durch brachiale Hebel zu ersetzen, die man mit ganz viel Kraft runterdrücken muss.
Mit mindestens zwei Händen müsste man die unergonomischen Knäufe anfassen – für Menschen mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten gar nicht erst zu bewerkstelligen. Das wiederum bringt die Mitbürger in die Pflicht, die so hilfsbereit einspringen können. Echte Inklusion muss eben gelebt werden.
Die Hebel besäßen aufwendige Federmechaniken, die das Griffstück bei rot zurück schnappen und dabei geräuschvoll gegen den Mast knallen ließen. Dann wüsste auch jeder Sehbehinderte im Umkreis, dass die Ampel wieder rot ist und man könnte sich das nervtötende Geklacke und Gepiepse gleich mit sparen.
Vor Allem aber wäre so ein Elektrostuhl-Hebel eine echte Bereicherung für den Standort Deutschland. Die Wartung der anfälligen Mechanik würde Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor schaffen, Grafik Agenturen müssten zu Hauf mit dem Design von Warnhinweisschildern vor Quetschungsgefahren beauftragt werden und in Berlin könnten geschulte Lotsen Touristen die umständliche Bedienung abnehmen.
Dann hätte der Rest der Welt wieder etwas Albernes aus Deutschland zu fotografieren und der Ruf als Maschinenbau-Nation wäre auch gepflegt. Mit ein bisschen Humor wird das alles gar nicht so schlimm und immmerhin sitzen wir alle im selben Boot. Wenn sie während des Lesens wenigstens einmal schief gegrinst haben, ist das doch der beste Beweis: Wir sind uns schon ein ganzes Stück näher gekommen!
Paul Ertel
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