Als leidenschaftlicher Konsument von Medien aller Art ist es bisweilen schwer, seine Aufmerksamkeit gleichmäßig zu verteilen. Digitale Medien sind schön und gut, aber als Jugendlicher habe ich ja noch gelesen! Und zwar Comics.
Das digitale Zeitalter macht auch diesem Zeitvertreib Beine, denn mittlerweile kann man Comics online erwerben und lesen, kommt also auch an Titel ran, die es nicht im Laden oder (wahrscheinlicher) gar nicht auf deutsch gibt. Ein solcher Titel, den ich seit dem letzten Jahr mit großer Faszination lese ist “Chew” von John Layman und Rob Guillory. Und den stell ich jetzt einfach mal vor. Mahlzeit!
Protagonist der Graphic Novel ist Tony Chu, ein eher mittelmäßiger Cop in Philadelphia, der aber eine besondere Fähigkeit hat. Tony Chu ist ein Cibopath (einer von drei bekannten weltweit), das bedeutet, dass er übersinnliche Eindrücke von allem bekommt, was er sich in den Mund steckt.
“Beißt er beispielsweise in einen Apfel, dann bekommt er ein Gefühl davon, an was für einem Baum er gewachsen ist, welche Pestizide verwendet wurden und wann er geerntet wurde.” (frei übersetzt von der zur Rechten abgebildeten Seite)
Das einzige, was keinerlei Sinneseindrücke auslöst ist rote Bete. Mit ein wenig Fantasie lässt sich abschätzen, was Tony für Eindrücke bekommt, wenn er beispielsweise Tiere isst und deren Tod und Zubereitung nachvollziehen kann. Zahlreiche unappetitliche Bilder im Kopfkino bilden dann auch ein zentrales Stilmittel in der fortlaufenden Geschichte. Für die Rahmung wichtig zu wissen ist, dass es wegen eines katastrophalen Ausbruchs von Vogelgrippe (von der unklar ist, ob es sich nur um Propaganda der Regierung handelt) verboten ist Geflügel zu essen. Während eines Einsatzes, bei dem Chus Partner Colby ein Teil des Gesichts weggemessert wird und Chu allein einen Massenmörder allein stellt, tötet sich dieser selbst, bevor er die Namen seiner Mordopfer nennt. Weil Chu einen guten Bissen nimmt, bekommt er alle Namen, kann die Fälle aufklären und die Leichen finden. Der Erfolg ist unbestritten, aber seinem Vorgesetzten gefällt die Art nicht, wie er an die Infos gekommen ist. Die FDA (U.S. Food & Drug Administration, wegen der Vogelgrippe offenbar mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet) allerdings schon, weshalb Chu kurzerhand zur Special Crime Division versetzt und von seinem neuen Partner Mason Savoy (ebenfalls Cibopath) trainiert wird, um seine Gabe gezielt einzusetzen. Doch die erste Lektion, die Chu lernen wird, ist die, dass man niemandem vertrauen darf…
Chew ist eine fortlaufende, wendungsreiche Geschichte mit derzeit 31 Ausgaben in einer durch Kriminalität gefluteten Welt, die perverser und abgedrehter kaum sein könnte. Ob blutrünstige Kampfhähne, Frösche, die nach Hühnchen schmecken und von der Mafia gezüchtet werden oder auch blutige Feuergefechte in einem Teleskop in der Arktis, hier wird dem Leser nichts erspart, auch visuell. Wir lernen Chus Familie kennen, z.B. seinen Bruder Chow Chu, ehemaliger Fernsehkoch oder seine Schwester Toni Chu. Im Laufe der ersten Sammelbände verliebt sich Chu in Amelia Mintz, die ein Saboscrivner ist, also jemand, der den Eindruck von Essen so präzise mit Worten beschreiben kann, dass der Leser den Eindruck bekommt, er würde das beschriebene Gericht selbst essen. Dass Sie Restaurantkritiken für die Zeitung schreibt, ist daher kein Zufall.
Ich habe bislang 5 Sammelbände gelesen und der sechste Band, der erst im Dezember veröffentlicht wurde, kommt bald dran. Klar, Chew ist kein Comic für kleine Kinder. Da wären die Seitenhiebe auf aktuelle politische Verhältnisse auch verschenkt. Die Storybögen bei Chew steigern sich ins Wahnwitzige, die Gewalt könnte grafischer kaum sein, ist aber auch wieder so übertrieben, dass es zu einem Running Gag wird. Für Fans des Lustigen Taschenbuchs vielleicht zu rau, der grafische Stil ist insgesamt eher handfest und passt gut zur Story. Andererseits ist das auch keine tiefschürfende, schwere Story, es ist ein bissl Krimi, viel Spaß, etwas Sci-Fi und man muss immer damit rechnen, dass im nächsten Panel eine neue Enthüllung oder ein Twist lauert.
Die Serie ist übrigens mehrfach ausgezeichnet worden, sowohl mit dem Eisner Award als auch zwei Eagle Awards (beide 2010). Die ersten beiden Sammelbände waren außerdem auf der New York Bestseller Liste. Chew, Vol. 1: Taster’s Choice und die weiteren Bände gibt’s unter anderem bei Amazon als Taschenbuch oder für den Kindle, schätzungsweise ist er auch im gut sortierten Comicfachhandel zu bekommen. Ich aber lese (und kaufe) Comics hauptsächlich bei Comixology (hier zu Band 1). Dort kann man die Comics in HD im Web oder per App auf den meisten Tablets lesen. Sollte man mal ausprobieren. Ansonsten: Guten Appetit!