Mehr als nur eine Lebensschau

Mittelmäßig: Anders kann man Hans Kelsens Leistungen kaum nennen, die im Maturaprotokoll aus dem Jahr 1900 erhalten sind. Am Akademischen Gymnasium wurde ihm zwar ein „lobenswert“ für mathematische Leistungen attestiert, aber noch im ersten Semester des Abschlussjahrs fällt das „Nicht genügend“ in Kalligraphie auf, das der junge Mann schließlich in ein „Genügend“ verwandelt. Ansonsten: durchwegs „befriedigend“. Dass auf dieser Basis eine alles andere als mittelmäßige Laufbahn möglich ist, ahnte damals niemand – am wenigsten wohl der Schulabgänger, der vorerst seinen Militärdienst im Auge hatte.

1884, als Dreijähriger, übersiedelte Kelsen mit seinen Eltern und Brüderchen Ernst von Prag nach Wien. Er wuchs auf, maturierte, schloss das Jusstudium ab und gab seinem Land 1920 ein neues Grundgesetz. Die Josefstadt, der achte Wiener Gemeindebezirk, war Kelsens Heimat, bis er ab 1930 Lehraufträge in Deutschland, Tschechien und der Schweiz annahm und 1940 aus Europa vertrieben wurde.

„Geschichte einer Josefstädter Karriere“ ist Untertitel der Ausstellung über „Hans Kelsen und die Bundesverfassung“, die bis 27. Februar 2011 im Bezirksmuseum Josefstadt zu sehen ist. Es ist nicht bloß eine Lebensschau mit Anekdoten, Urkunden und persönlichen Gegenständen; vielmehr erschließt sich über Schriften, Fotos, Schautafeln und Tonbandaufnahmen, wie die politischen Kräfte der frühen Ersten Republik zusammen wirkten. Die Beweggründe hinter dem Bundes-Verfassungsgesetz treten hervor und ermöglichen eine neue Sicht auf die Staatsgeschichte. Der Ausstellungskatalog, den die Museumsleiterin Maria Ettl mit dem Historiker Gerhard Murauer konzipiert hat, ist eine wertvolle Ergänzung.

Weiters läuft im Palais Porcia in der Innenstadt noch bis 12. November die Ausstellung „In guter Verfassung“. Das Bundeskanzleramt und das Österreichische Staatsarchiv präsentieren eine Chronologie, aus der die Bedeutung der Bundesverfassung für alle Lebensbereiche klar wird: Ob Schulen, Gemeinden, EU oder ORF – die Verfassungskonformität spielt immer eine Rolle.

Mehr zu Hans Kelsen und seinen kürzlich wiederveröffentlichten Schriften im zweiteiligen Sammelband „Die Wiener rechtstheoretische Schule“ bietet mein Artikel „Die Grundlage des Staates“ in der aktuellen FURCHE – erhältlich in gedruckter Form.


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