Mehr als ein Kopftuch: Das fatale Karlsruher Missverständnis

Von Peymani @Ramin_Peymani

Der “Klodeckel” geht diesmal an das Bundesverfassungsgericht für die Aufhebung des von ihm selbst 2003 für statthaft erklärten generellen Kopftuchverbots für Lehrkräfte. Damals hatte man den Bundesländern erlaubt, “Bekleidung von Lehrern, die als religiös motiviert verstanden werden kann”, zu untersagen. Damit war insbesondere das Tragen von Kopftüchern gemeint. Doch nun hatten zwei muslimische Pädagoginnen mit ihrer Verfassungsbeschwerde Erfolg – und gießen damit Öl in die aufgeheizte Islamdiskussion im Land. Der in seiner Bergründung konstruiert wirkende Richterspruch ist ein weiteres Beispiel für falsch verstandene Toleranz. Damit wir uns nicht missverstehen: Ich halte nicht nur die religiös motivierte Verkleidung muslimischer Frauen, sondern ebenso das aufdringliche Herzeigen von Halsketten mit dem gekreuzigten Jesus oder das Tragen orangefarbener buddhistischer Gewänder in Schulräumen für unangemessen. Wer den Staatsdienst wählt – noch dazu die Arbeit mit Heranwachsenden – muss hinnehmen, dass dort besonders strikte Regeln gelten. Und zwar nicht nur in Bezug auf die charakterlichen Anforderungen, sondern auch hinsichtlich des Auftretens, das nun einmal die Bekleidung einschließt. Wer dies nicht akzeptieren kann, wähle bitte einen anderen Beruf.

Es käme niemand auf die Idee, einer Jugendgruppe eine Betreuerin im Bikini zuzumuten oder dem Kindergärtner das Tragen von Rock und Pumps zuzugestehen. Auch auf diese Weise würde eine Weltanschauung oder ein Lebensgefühl zum Ausdruck gebracht, was Betroffene sicher vehement einfordern würden, gäbe es dafür eine Lobby. Doch im Falle von Erzieherinnen und Lehrern erregten diese Accessoires öffentlichen Anstoß und schürten Konflikte, sie wären gar geeignet, die der Obhut überlassenen jungen Menschen zu verstören. Aus gutem Grund sind sie daher nicht gestattet. Bei religiösen Eiferern glauben wir jedoch, besonders nachsichtig sein zu müssen. Und so ist nun auch die letzte Bastion gefallen – das höchste deutsche Gericht beugt sich dem Zeitgeist. Zwar bezieht sich der Richterspruch nur auf Regelungen in Nordrhein-Westfalen, doch dürfte von ihm eine Signalwirkung für das ganze Land ausgehen. Die Hälfte der Bundesländer verbietet ihren Lehrerinnen nämlich das Tragen von Kopftüchern im Unterricht. Künftig wird diese Praxis nicht mehr durchzuhalten sein – nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern vor allem deshalb, weil das Urteil enormen öffentlichen Druck erzeugen wird.

Der Richterspruch ist befremdlich: Statt dafür Sorge zu tragen, dass Schüler in einem neutralen Umfeld unterrichtet werden, dehnt Karslruhe die weltanschauliche Neutralität des Staates auf einen Bereich aus, der an sich des besonderen Schutzes vor religiöser Einmischung bedürfte. Dem liegt offenbar eine fatale Fehleinschätzung zugrunde. Denn erst der politische Islam hat das Kopftuch zum Symbol erhoben. Millionen muslimischer Frauen kommen ohne Kopftuch aus. Die von den Richtern verneinte “hinreichend konkrete Gefahr” kann bei einem offen zur Schau gestellten politischen Symbol also durchaus angenommen werden. Hinzu kommt ein anderer Aspekt: Eine Religion, die in ihrem Entwicklungszyklus heute etwa dort angekommen ist, wo sich beispielsweise das Christentum zur Zeit der Kreuzzüge befand, kann nicht mit denselben Maßstäben gemessen werden wie jene Religionen, deren Wurzeln viele Jahrhunderte weiter zurückreichen. Dies ist der Teil in der Islamdebatte, der in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt. Es hätte einen Königsweg für die Richter gegeben, um all dem Rechnung zu tragen: Religiöse Botschaften – und seien sie noch so subtil – haben in Klassenzimmern nichts zu suchen!


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