„Miss Milla“
(Millaphon Records)
In schlechter Regelmäßigkeit wurden auch früher schon bei bevorstehenden fußballerischen Großereignissen die maßgeblichen Balltreter zu ihren Musikfavoriten befragt – was man dann las und hörte, ließ sich gut unter dem Sammelbegriff ‚Zeitdokumente des Grauens‘ abheften und man wünschte sich, diese Büchse der Pandora wäre nie geöffnet worden. Es galt uneingeschränkt die Regel: Gut am Ball, musiktechnisch eine Katastrophe, man wollte die geschmacklichen Verirrungen der Herren Ballack, Podolski, Effenberg und Kahn unter keinen Umständen für nachfolgende Generationen bewahrt wissen. Mit einer einzigen Ausnahme: Mehmet Scholl war schon damals einer der ganz wenigen Kicker, denen man bedenkenlos auf und neben dem Rasen zuzuhören bereit war, seine Playlisten mussten nicht in den Giftschrank und zeugten von gehörigem Sachverstand. Er hatte die Sportfreunde schon auf dem Zettel, bevor sie in seichten Gewässern buchstäblich baden gingen und er sorgte mit der Einladung der Hidden Cameras zu seinem Abschiedsspiel nicht nur für den ansprechenden Score, sondern brachte in der ihm eigenen, verschmitzten Art auch noch gleich ein paar Vorurteile beim Fanvolk auf den Prüfstand.
Dass ihm dieses Hobby heute noch als zweiter Bildungsweg dient, ist sicher sowohl für ihn als auch für sein Label Millaphon Records von Vorteil, erst kürzlich hat er ja seinen länger verwaisten Platz am Mikro des BR2-Nachtmix wieder eingenommen und nun erscheint mit „Miss Milla“ seine insgesamt dritte Kompilation, diesmal natürlich im Selbstverlag. Scholls gesammelte Lieblingsstücke wollten noch nie dem Anspruch genügen, das Neueste vom Neusten zu präsentieren, wie schon auf den Vorgängern präsentiert er auch jetzt eine sehr persönliche Auswahl, die gern auch älter, nie aber gewöhnlich sein darf. Seine Vorliebe bleibt dabei dem Indierock und –folk vorbehalten, aktuelle Trends wie EDM oder auch diverese Spielarten von RnB oder Black Music sucht man weiterhin vergebens unter den Favoriten – man wüßte trotzdem gern, was ein aufgeweckter, neugieriger Geist wie er davon hält.
Noch immer bestimmen also Emotion, Melancholie und ausgeprägte Melodik die Scholl’sche Kernkompetenz – neben den üblichen Platzhirschen des Breitwandformats wie VNV Nation, Black Rebel Set, Paloalto, We Are Augustines und alten Bekannten (Noah And The Whale, Hidden Cameras) findet sich so auch eine ganze Reihe liebenswerter Nischenpflänzchen: The War On Drugs, gerade mit neuem Album wieder im Rennen, sind mit einem Stück ihres Debüts „Slave Ambient“ vertreten, Justin Vernons Volcano Choir kommt mit dem vielschichtigen Ambientsound von „Comrade“ auf die Setlist und auch so wundersame Kleinkunstkollektive wie Pepper Rabbit und The Oh Hello’s dürfen überraschen. Natürlich wird auch die Münchner Szene nicht ausgespart, die fabelhafte Moonband fehlt ebensowenig wie die sträflich unterschätzten Dobré und das Quintett Balloon Pilot aus dem eigenen Haus. In der Summe ist das alles von angenehmer und vertrauter Vorhersehbarkeit, nicht ganz so verwegen und ambitioniert wie das Programm des gleichnamigen, labeleigenen Kellerklubs, aber zeitlos genug, als dass man die CD auch in ein, zwei Jahren noch gut zur Hand nehmen kann.