Mehdorn und Azer – Vier Fäuste für ein Desaster?

Oder: Nichts gelernt, Berlin?

BER – die nicht enden wollende Geschichte eines Großprojektes, welches mittlerweile zur Lachnummer verkommen ist. Kostenexplosionen (geplant: 2,5 Mrd.€ – aktueller Stand: 4,5 Mrd.€), mehrfache Verzögerungen, Schuldzuweisungen der Verantwortlichen, Personaldebatten und -konsequenzen: Man fühlt sich wie in einer Soap, einer schlechten allerdings.

Nun wurde in diesem Jahr ein alter Bekannter für die Position des BER-Geschäftsführers verpflichtet: Hartmut Mehdorn. Ja, der Hartmut Mehdorn, dem die Berliner einen Großteil der Probleme am Berliner Hauptbahnhof, aber auch an der chaotischen S-Bahn-Situation und den Entlassungen und Streckenstreichungen bei Air Berlin zu verdanken haben. Und nun will er wiederum “Großes” leisten und dem BER Beine machen. Dazu, so ließ er kürzlich verlauten, plant er vor allem eine Teileröffnung des Nordpiers im Herbst diesen Jahres. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Vision soll jedoch personelle Konsequenzen nach sich ziehen und einen weiteren alten Bekannten und jahrelangen Wegbegleiter Mehdorns nach Berlin lotsen: Hany Azer.

Der 63jährige gebürtige Ägypter, der als einer der renommiertesten Tunnelbauexperten Europas gilt, arbeitete mit Mehdorn bereits von 2001 an als Projektleiter am Berliner Hauptbahnhof zusammen. Jener Hauptbahnhof, an dem nichtmal ein Jahr nach der Eröffnung ein tonnenschwerer Stahlträger, zum Glück ohne Personenschaden, aus der Glasfassade gerissen wurde. Jener Hauptbahnhof, dessen Dach auf Betreiben Azers um 20 Meter (auf 431 Meter) verkürzt worden ist, so dass ICE-Reisende bei schlechtem Wetter nicht nur sprichwörtlich im Regen stehen. Und, jener Hauptbahnhof, bei dem der Druck Mehdorns, eine Fertigstellung auf jeden Fall vor der Fußball-WM 2006 in Deutschland zu bewerkstelligen, unter anderem dazu führte, dass Schrauben nicht ausreichend geprüft wurden und der Bahnhof schon 2015 für Monate zumindest teilgesperrt werden muss, um diese Schäden zu beheben. Ein tolles Duo! Und diese Beiden sollen nun an der Debakel-Baustelle BER für Besserung sorgen?

Azer und Mehdorn sind Vertraute und sehr ähnliche Typen, wenngleich Azer im Gegensatz zu Mehdorn die Öffentlichkeit meidet. Auffällig ist jedoch auch bei ihm ein Mangel an Kritikfähigkeit sowie an einer objektiven Wahrnehmung der eigenen Arbeit. So gab er in einem Interview (auf den Hauptbahnhof angesprochen) zu Protokoll, dass die Berliner stolz auf ihre Bauten seien und ihm vornehmlich zugejubelt bzw. er beklatscht würde. So hätte es, anders als bei Stuttgart 21, in Berlin zwar Kritik, aber keinerlei Widerstand gegeben. Auch über die Grenzen der Stadt hinaus, gäbe es scheinbar nur ein positives Echo. So behauptet Azer, Berlin würde um diesen Bau weltweit beneidet und er erhielte regelmäßig Anrufe aus aller Welt mit Fragen dazu. Ich behaupte, dass das positive Bild sich gravierend ändern würde, müssten all diese vermeintlichen Schwärmer des Hauptbahnhofes, diesen mehrere Monate lang tatsächlich benutzen.

Auch bei seinen beiden großen Folgeprojekten, dem Umbau des Berliner Ostkreuzes und der Projektleitung rund um Stuttgart 21, kann kaum von Erfolg gesprochen werden. Azers Anspruch war es, die veranschlagte Bauzeit von 10 Jahren am Ostkreuz vielleicht gar zu senken, was misslang. Es gibt gar Behauptungen, er wollte eine vollständige Sperrung des Bahnhofes und keinen Umbau unter laufendem Betrieb – was einen verkehrstechnischen Supergau zur Folge gehabt hätte und die Anliegen der S-Bahn-Fahrer wiederum hätte unter den Tisch fallen lassen – weil er sich den Umbau ansonsten nicht zutraute. Dieses Projekt, wessen Bauzeit gerade um zwei Jahre verlängert werden musste, kann er jedoch nicht bis zum Ende betreuen, da er 2008 von Mehdorn nach Stuttgart gelotst wurde, um den Bau des dortigen Bahnhofs gegen die Widerstände voranzutreiben. Auch hier blieb er erfolglos und gab 2011 auf. Es bleibt unklar, ob er dies tatsächlich aus freien Stücken oder auf Drängen der Deutschen Bahn tat.

Mehdorn und Azer – Zwei, die sich gesucht und gefunden haben. Zwei, die als herrisch und aufbrausend gelten: Mehdorn stellte dies mehrfach öffentlich unter Beweis, Azer erhielt den Spitznamen “Rumpelstilzchen”, welcher Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit zulässt. Überhaupt haben Beide mehrfach gezeigt, dass ihnen die Anliegen von Mitarbeiter, Kunden und Angestellten herzlichen egal sind. Für beide zählt offenbar nur eines: Die Befriedigung ihrer Egos durch kostengünstigeres und schnelleres Fertigstellen von Projekten, als dies in Plänen vorgesehen war – ohne jede Rücksicht.

Anders als bei Azer, muss man bei Hartmut Mehdorn, um diese Behauptung zu belegen, nicht lange nach Fakten suchen. Als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG (1999 – 2009) hatte er vornehmlich ein Ziel: Den Börsengang und damit die Teilprivatisierung des Unternehmens. Dem ordnete er so gut wie alles unter. Er hat das Staatsunternehmen Deutsche Bahn sicher modernisiert und wettbewerbsfähig gemacht, allerdings immer wieder auf Kosten der Kunden und der Steuerzahler. Neben allen Rationalisierungen, Streckenstilllegungen, Preiserhöhungen in Gesamtdeutschland, gibt es wiederum aus der Hauptstadt ein sehr bezeichnendes Beispiel für Mehdorns Vorstellung von der Deutschen Bahn:

Nachdem der Berliner Senat 2002 die Zuschüsse von 234 Mio. auf 45 Mio. jährlich kürzen wollte, Verspätungen und Zugausfälle, aber auch das Sperren der DB gegen Teilprivatisierungen des Streckennetzes waren der Grund, drohte Mehdorn mit der Verlegung der Hauptzentrale von Berlin nach Hamburg, Streckenstreichungen und gar einer Stilllegung des gesamten Bahnverkehrs zum Fahrplanwechsel 2003. Unter anderem diesem Druck beugte sich der Senat und ließ die Zuschuss-Höhe unverändert, so dass die Bahn-Tochter seither jährlich zwei- bis dreistellige Gewinne einfuhr, wenngleich die Probleme der Berliner Stadtbahn in den letzten Jahren dramatisch zunahmen. Mehdorn war dies egal. Die Zahlen der S-Bahn stimmten, das zählte.

Weitere Beispiel bestätigen dies. Als beispielsweise herauskam, dass es bei der Deutschen Bahn über lange Zeit Bespitzelungen von Mitarbeitern, Aufsichtsräten und Journalisten gegeben hat, von denen Mehdorn offenbar mehr wusste, als er zugab, stellte er klar, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und niemand im Vorstand diese Maßnahmen angeordnet hätte. Dennoch bot er, märtyrerhaft, seinen Rücktritt an, ließ sich diesen jedoch mit einer Abfindung von insgesamt rund 6 Mio.€ vergolden. Kritikfähigkeit oder gar ein Schuldeingeständnis? Fehlanzeige. Warum auch? Die Bilanz der Bahn hatte sich in den zehn Jahren seiner Regentschaft ins Positive verkehrt. Aus rund 1,5 Mrd.€ Verlust (1999) hatte Mehdorn knapp 2,5 Mrd.€ Gewinn (2008) gemacht. Dass parallel jedoch das Streckennetz schwand, der Service schlechter wurde, die Preise mehrfach stiegen und von einst 350.000 Mitarbeitern am Ende seiner Tätigkeit nur noch 240.000 beschäftigt waren, stört ihn dabei sicherlich nicht. So gab es dann bei seiner Verabschiedung auch fast ausnahmslos warme Worte für Mehdorn, sowohl von Konzernmitarbeitern als auch aus der Politik.

Im Anschluss versuchte er mit demselben Konzept die, in tiefroten Zahlen steckende, Airline, Air Berlin, zu sanieren. Sparprogramme (“Shape & Size”, “Turbine 2013″) wurden aufgelegt, Flugzeug- sowie Streckenstilllegungen, Stellenstreichungen (besonders dort, wo es keine Betriebsräte gibt) und Lohnkürzungen in Aussicht gestellt. Im ersten Jahr stieg der Umsatz gewaltig, der Verlust hingegen auch. Erst 2012 wurde ein Gewinnplus ausgegeben, wenngleich die Flotte um fast 10% geschrumpft war. Wiederum zählten für Mehdorn nur die nackten, möglichst schwarzen, Zahlen und nicht Kunden- und/oder Mitarbeiteranliegen.

Und nun? Jetzt will Mehdorn zusammen mit Azer auch das Flughafen-Desaster zum Guten wenden. Die Frage ist jedoch, ob dies zum Nutzen der Menschen (Fluggäste, Mitarbeiter, Geschäftsbetreiber) und der klammen Kassen Berlins und Brandenburgs geschehen soll, oder wiederum der Selbstbeweihräucherung der beiden Herren dient. Es steht außer Zweifel, dass jeder Tag, an dem nicht vom BER gestartet oder auf selbem gelandet wird, ein Problem ist, welches mittlerweile 0,5 Mio.€ verschlingt und obendrein durch den verzögerten Bau die Kosten steigert. Insofern sind die aktuellen Ankündigungen Mehdorns, im Herbst diesen Jahres zumindest eine Teileröffnung vorzunehmen, erstmal unvoreingenommen zu betrachten und nicht sofort kategorisch auszuschließen. Die Problematik ist jedoch, dass für die Inbetriebnahme des Nordpiers umfangreiche Einbauten vorgenommen werden müssten, die wiederum Geld und Arbeitskraft kosten, die anderswo gebraucht würden. Aber nicht nur das. Die Betreiber der Geschäfte des so genannten “Marktplatzes” hätten vorraussichtlich nichts davon, da die Fluggäste nicht an ihnen vorbeikämen, sondern ein gutes Stück Fußweg dorthin zurückzulegen hätten. Weiterhin steigen die Kosten, die wiederum auf die Gebühren der Airlines umgelegt würden, und zum Beispiel Easyjet davon abhalten könnten, vom BER zu starten. Bei möglichen Nachlässen, würde es sowohl Probleme mit konkurrierenden Fluggesellschaften, als auch mit dem EU-Recht geben. Weiterhin muss der unterirdische Flughafenbahnhof eröffnet, die Zahl der Zubringer-Busse erhöht werden. Am Aufwendigsten ist jedoch die Achilles-Ferse des BER, seine Brandschutzanlage, die für eine Teileröffnung geteilt werden müsste. Alles Genannte scheint technisch möglich, erhöht den Kostenberg jedoch weiter und garantiert nicht, dass eine Teileröffnung bereits im Herbst möglich ist und, dass ein reibungsloser Ablauf, bei gleichzeitigen Bauarbeiten, gewährleistet werden kann. Darüber hinaus möchte sich niemand ausmalen, was geschieht, wenn aufgrund des erhöhten Bautempos wiederum Schäden entstehen oder aber gar in einem Notfall die Brandschutzanlage versagen sollte.

Das Problem dabei ist, dass Mehdorn und Azer mehr als einmal unter Beweis stellten, wie wenig ihnen an Kunden und Mitarbeitern liegt, sondern, dass lediglich die Befriedigung ihrer Egos wichtig ist. Sie bekommen wiederum eine Gelegenheit, sich als Sanierer oder Retter zu präsentieren, die es besser machen, als alle anderen. Nochzumal sie den Vorteil haben, dass sie ob der bisher desaströsen Entwicklung des BER, eigentlich nur gewinnen können. Bisher lief nahezu alles schief und es kann nicht mehr schlimmer werden. Probleme, weitere Kosten und Verzögerungen können demnach auf Vorgänger abgewälzt, Erfolge dagegen den eigenen Taten zugeschrieben werden. Auch in Sachen Reputation in ihren Branchen haben Beide nichts zu verlieren. Mehdorn ist fast 71, Azer 63. Wenn der BER engültig am Netz sein wird, werden sicherlich beide in Rente gehen bzw. der großen Geschäftswelt den Rücken kehren. Wenn dann, aufgrund ihrer Tätigkeit, Probleme entstehen, werden sie dafür kaum noch zur Verantwortung gezogen werden können. Von daher muss sich die Politik Berlins und Brandenburgs bewusst machen, wen sie da verpflichtet hat und vielleicht noch verpflichten wird und, dass es momentan wichtiger denn je ist, genau hinzuschauen und nachzufragen, was geplant ist und was, wie umgesetzt wird. Geschieht dies nicht, bleibt nur die Frage: Nichts gelernt, Berlin?


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