Weil ich selbst – wenn auch nur für einen kleinen Sender – journalistisch tätig bin, muss das folgende einfach mal gesagt werden. Der Text stammt vom 23. März und wurde auf www.ohrfunk.de veröffentlicht.“Live-Ticker Libyen!” so konnte man es seit Anfang März auf allen großen Nachrichtenseiten im Internet lesen, und allmählich griffen auch Sondersendungen in Radio und Fernsehen um sich. Leser und Hörer wollten mit Informationen über die sympathische Revolution im nordafrikanischen Terrorstaat versorgt werden, auch wenn es noch keine neuen Informationen gab. Die Ticker mussten alle 5 bis 10 Minuten neu gefüllt werden, damit der Anschein von Aktualität nicht verloren ging. Ein hübsches kleines Politspiel irgendwo in der Welt, dem man am Fernsehen und im Internet beiwohnen konnte. “Gamification der Wirklichkeit” ist ein treffender Begriff für diese Entwicklung. Ereignisse in der Welt werden mit Spaß und Spannung verfolgt, wie in einem Computerspiel, bei dem man gern alle paar Minuten die Updates liest. Das Spiel “libysche Revolution 1.0″ war im Begriff, sich zu einem Bestseller zu entwickeln, die Grenzen zwischen Freude beim Zuschauen und echter Anteilnahme dürften für den gewöhnlichen Fernsehzuschauer, Radiohörer und Internetleser fließend gewesen sein.
Und dann – von einem Tag auf den Anderen – lief das Japan-Spiel Libyen den Rang ab. Erst ein Erdbeben, dann ein Tsunami, und schließlich, der Gipfel der Genüsse, eine Atomkatastrophe. Live-Ticker all über all, und Sondersendungen in Hülle und Fülle, und zwar trotz der schlechten Informationspolitik des Kraftwerksbetreibers und der Regierung. Und so sehr man sich über diese Politik aufregte, es gab alle 5 Minuten ein Update, auch zu der Zeit, als die Korrespondenten der Zeitungen und Sendeanstalten die Region um Fukushima aus Angst um ihr eigenes Leben längst verlassen hatten. Alle paar Stunden wurde die endgültige, die absolute Kernschmelze prognostiziert, bis die Abstumpfung der Bevölkerung so groß war, dass unbedingt ein neues Thema her musste. Durch die ganztägigen Sondersendungen hatten sich Einschalt- und Klickquoten wirklich rentiert. Also schwenkte man auf die nationale Kernkraftdebatte um, holte Hörer und Leser gedanklich nach hause zurück und zeigte den blamablen Zustand der Regierung.
Bis – Tusch und Fanfare! – der UN-Sicherheitsrat einen Militäreinsatz in Libyen genehmigte. Gut: Für die Revolutionäre kommt er zu spät und ist darum auch nur politische Augenwischerei mit Todesfolge, aber den Medien konnte gar nichts besseres passieren. Die Live-Ticker konnten wieder von jeder einzelnen Angriffswelle berichten, auch wenn sie dafür am Zensurtropf des Militärs hängen und bedenkenlos dessen Propaganda übernehmen. Kritischer Journalismus? Was ist das in einer Zeit, wo die Kasse nur bei Quoten klingelt? Action ist gefragt, nicht trübes Fischen in den kaum verständlichen Untiefen internationaler Diplomatie und Politik.
Äh – Was war noch mal mit Japan? Ach naja: Der Strom ist wieder einigermaßen am Kraftwerk, die Superkatastrophe bleibt wohl aus, da ist Libyen jetzt interessanter. Und hier zuhause in der Atomdebatte? Ach: Haben die Leute am letzten Sonntag in Sachsen-Anhalt anders als erwartet gewählt? Siehste: Alles nur Schall und Rauch. Und in drei Monaten interessiert es keinen Schwanz mehr, ob die Reaktoren wieder hochgefahren werden oder nicht.
Manchmal schäme ich mich wirklich, ein Medienschaffender zu sein. Dort in Japan zum Beispiel hat es über 20.000 Tote gegeben, denn für die weit über 10.000 vermissten besteht kaum noch Hoffnung. Millionen haben nachts in Eis und Schnee kaum eine Unterkunft, ihnen fehlt es an Wasser, Nahrung, medizinischer Versorgung. Viele von ihnen haben alles verloren, die Habe ihres ganzen, in der zivilisierten Welt durchlebten Lebens, die Früchte ihrer jahrzehnte langen Arbeit. Und viele von Ihnen werden Freunde und Verwandte niemals wiedersehen, und ihre Heimat ist nur noch Schutt und Asche.
Oder in Libyen: Kann irgendwer in der Bevölkerung etwas für den Machtwahn eines Gaddafi? Jeder Luftangriff zur späten Wahrung des internationalen Renomees kostet unwiderbringlich Menschenleben. Wie viel Leid muss man dort erdulden, weil die Weltgemeinschaft zwar den Rebellen nicht wirklich helfen will, denn Gadafi ist inzwischen ein verlässlicher Ölpartner, aber wenigstens den Anschein zu wahren versucht, als sei sie auf der Seite der Unterdrückten. Fast könnte man die Eiertanzdiplomatie deutscher Außenpolitik auf diesem Gebiet als ehrliche Haltung missverstehen, wenn man nicht wüsste, dass es auch innenpolitische, und zwar wahlkampftaktische Gründe für deutschlands Enthaltung gibt. Einerseits will die FDP Stimmen bei den Bürgern gewinnen, die gegen einen Militärschlag sind, andererseits kann man den Alliierten nach einer Resolution, die man nicht explizit abgelehnt hat, trotzdem helfen. Und drittens versteht ohnehin kaum einer die Ränkespiele hinter solchen Entscheidungen.
Die Medien könnten das Weltgeschehen etwas transparenter gestalten. Weniger Live-Ticker, mehr echte Information, wenn sie denn zur Verfügung steht, und zwischen den aktuellen Informationen Hintergründe und Gespräche, allerdings welche, in denen man sich gegenseitig ausreden lässt und Zeit hat, einen Gedanken auch mal zu ende zu denken. Vermutlich aber sind solche Zeiten, wenn es sie je gegeben hat, längst vorbei. Medien und Verantwortung: In den letzten Wochen passte das kaum zusammen.
Natürlich gab es Ausnahmen: Deutschlandfunk und Deutschlandradio sollten hier ebenso erwähnt werden, wie die Berichterstattung der Wochenzeitung “Die Zeit” im Internet. Auch das ZDF wurde für seine Berichterstattung über Japan sehr gelobt. Dabei muss man aber bedenken, dass mit der Libyen-Krise die japanische Katastrophe nicht beendet ist. Sie geht unvermindert weiter und wird für die Menschen vorerst nicht gemildert. Und wie wenig nachhaltig ständige Action-Berichterstattung hier in Deutschland ist, wird der kommende Sonntag zeigen.