Medienführerschein, wozu?

Von Simsinger
Metaphern haben zwei zentrale Eigenschaften. Sie helfen uns durch Vereinfachung komplexe Sachverhalte besser zu verstehen und sind - eben deshalb - oft auch falsch. Gerade bei einem „Medienführerschein“ ist es sicherlich keine Haarspalterei diesen Begriff einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Schließlich soll es sich dabei um einen politischen und damit auch medial wirksamen Begriff handeln. Der Begriff Medienführerschein ist eine Botschaft, die mit dem Auftrag ausgestattet ist, uns ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, um uns vor einer diffusen medialen Bedrohung zu wappnen. Doch wozu soll dieser Medienführerschein gut sein?
Es ist keine Neuigkeit, dass die Veröffentlichung von Privatem sowohl positive, als auch deutlich negative Seiten hat. Im Wesen der digitalen Revolution liegt die Sichtbarmachung von absolut Allem - ob man das nun will oder nicht will! Die erste Frage lautet also: Bietet ein Medienführerschein ausreichend Schutz, um dem Begriff Privatsphäre ein echtes Gewicht zu verleihen? Die Antwort: Wohl kaum! Der Begriff Medienführerschein ignoriert nämlich die Tatsache, dass die digitale Revolution den „Aggregatzustand“ von Information verwandelt hat. Setzen wir also der Metapher des Medienführerscheins eine andere entgegen. Wenn sich etwas, sagen wir von flüssig auf gasförmig, verwandelt wären dann Eimer das richtige Instrument einer Überschwemmung Herr zu werden? Alles in Allem erinnert unser Umgang mit dem Wesen der Digitalisierung an eine Geschichte von Schildbürgern, die versuchen Licht in ein fensterloses Gebäude zu schaufeln - beziehungsweise es wieder raus zu bekommen
Aus der Perspektive eines Medienmachers würde man nicht ohne Sarkasmus feststellen, dass jeder, der dem Begriff „Medienführerschein“ nicht sofort intuitiv misstraute, auch kein Recht auf eben diesen zweifelhaften Befähigungsnachweis hätte. Als Werbeprofi würde man sich reflexartig über die Fortsetzung der antiquierten Datenautobahn-Metapher lustig machen. Doch das Ansinnen, Schülern Medienkompetenz zu vermitteln ist kein Anlass für Ironie, auch wenn diese hilft, das Gefühl einer selbst an sich diagnostizierten Medien-Inkompetenz zu lindern. Mit anderen Worten: je mehr Hoffnung ein Medienführerschein suggeriert, umso stärker werden die Zweifel, ob Medienkompetenz nicht nur eine Illusion ist? Wofür genau soll also dieser „Führerschein“ ausgestellt werden? – und was ist mit dem Begriff „Medien“ im Zeitalter der digitalen Revolution überhaupt gemeint?
Das auffällige an dem Begriff des Medienführerscheins ist, dass er eine analoge Denkweise zu einem völlig neuen Problem zu erkennen gibt. Diese Denkweise betrachtet die digitale Revolution noch immer als „Medium“ obwohl es offensichtlich ist, dass sich das Verhältnis zwischen Sender und Empfänger fundamental verändert hat. Worin liegt also das Missverständnis?
Während die Medienwissenschaft und die Bildtheorie sich traditionell mit der „Arbeit am Bild “ befassen, geht es bei digitalen Bildern um die „Arbeit mit Bildern“. Da alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse von digitalen Prozessen durchdrungen werden, geht es um ein Mensch-Maschine System, und kaum mehr um die Frage „was ein Bild in den Medien bedeutet“. Die „Arbeit am Bild“ entstammt der Tradition der Kunstgeschichte und erfährt selbst bei Marshall McLuhan in Form des „Mediums“, das er mit der „Botschaft “ gleichsetzt, letztlich nur eine neue Interpretation. Die Digitalisierung zwingt uns aber heute diese Tradition hinter uns zu lassen und den Begriff der „Arbeit mit Bildern“ beziehungsweise der „Arbeit mit Information“ ernst zu nehmen. Schon allein, weil wir niemals wissen, ob ein Bild ein tatsächliches Ereignis zeigt und authentisch ist, oder ob man dieses im „richtigen" Kontext, mit der „richtigen “ Deutung, in der „richtige“ Dauer präsentiert bekommt, ist „die Arbeit am Bild" heute häufig nicht viel mehr als ein hoffnungsloses Unterfangen. Im besten Falle ist sie eine lustvolle Spekulation, warum wir überhaupt irgendein bestimmtes Bild sehen mussten.
Die Digitalisierung bedeutet nichts anderes als „eine Arbeit mit Bildern." So einfach diese Unterscheidung zur „Arbeit am Bild“ ist, so groß ist die Tragweite dieser Betrachtung. Der Bildschirm (das Interface) ist das, wo sich das Aktuelle virtualisiert und das Virtuelle zur aktuellen Tätigkeit wird. Digitale Bilder sind nur die visuelle Kruste einer binären Sprache. Jedes Bild, das an digitalen Prozessen teilnimmt wird dabei zu „Information“ – selbst ein Bild von Picasso kann sich diesem Sog nicht entziehen. Weder sind digitale Bilder heute noch als ein „Medium" zu betrachten noch haben sie eine „Botschaft" - sie sind einfach nur Werkzeuge für unterschiedliche Prozesse, die aber ebenfalls kaum nachvollziehbar sind. Mit anderen Worten, die Digitalisierung erfordert einen neuen Bildbegriff, nämlich jenen einer neuartigen Bild-Ergonomie (ergon / Arbeit, Werk und nomos / Gesetz, Regel). Diese Bilder, deren Funktionsweisen nicht nur jeder Werber gut kennt, sind die Boten des Mensch-Maschine Systems. Während der Begriff der „Arbeit am Bild“ noch von memnetischer, literarischer oder intuitiver Natur ist, ist die „Arbeit mit dem Bild“ beziehungsweise die „Arbeit mit Information“ direkt an die Gewohnheit und an die Reflexe der unmittelbaren Tätigkeit gebunden. Jemand, der ein Computerspiel spielt wird sich kaum mit einer kritischen Bild-Analyse befassen. Die Funktion dieser Bilder hat nur eine Funktion: sich kompatibel (compatior / Mitleid, Mitempfinden) zur digitalen Maschine zu verhalten, die Maschine an einem Teil haben zu lassen und um schließlich selbst Teil der Maschine zu werden. Produkt- und Software Ergonomie, Daten-Sammeln und Daten-Auswerten sind weitere Faktoren um diese Bindung zu festigen.
In diesem Licht betrachtet wird die Konditionierung an die interaktiven Maschinen kein Medienführerschein lösen können, weil er keine bessere Alternative zu den digitalen Maschinen verspricht. Im schlimmsten Falle wäre dieser Führerschein eine Affirmation dessen, worüber Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse (Philosophie der Zukunft) schrieb: "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein."(1)
Nicht als Medienprofi, sondern als Vater eines 10-jährigen Kindes mache ich deshalb folgenden Vorschlag: Um dem Blick aus Nietzsches Bemerkung zu entkommen sollten wir unseren Kindern dabei helfen ihren kindlichen Blick auf die Welt zu bewahren, Fragen dann beantworten, wenn sie gestellt werden, uns von ihrer Welt und ihrer Intuition inspirieren lassen, gemeinsam mit ihnen mehr Bücher lesen, digitale Medien weder verbieten noch fördern, sondern diese nur wenn nötig, gezielt und kurz benutzen und einfach:
„Den-Kindern-echte-Aufmerksamkeit-schenken.“ Können wir das?!
Die Einführung eines Medienführerscheins wirft aber auch eine zweite wesentlich dringlicherer Frage auf: Warum verlagert der Staat ein allgemeines Problem, nämlich das, dass jeder Bürger, freiwillig oder unfreiwillig heute zum „gläsernen Bürger“ werden muss, auf eben diesen? Warum wird ein allgemeines Problem privatisiert?
Ein staatlicher Medienführerschein ist jedenfalls nicht mehr als ein wirkungsloses Alibi für das Ausbleiben politischen Handelns. Gibt es Alternativen für die Geisterfahrt mit einem Medienführerschein? Wären nicht Instrumente, die an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen digitaler Geschäftsmodelle ansetzen nicht wesentlich effizienter, um uns selbst und unsere Privatsphäre zu schützen? Ideen dazu gäbe es.
Stephan Doesinger, 29. Juni, 2011