Von Stefan Sasse
Als mit der Berichterstattung zum echten oder eingebildeten "Reformstau" in den 1990er Jahren und dann der neoliberalen Wende auf allen Ebenen ab Beginn der 2000er Jahre die Medien freiwillig auf einen unangenehme und schiefe Bahn rutschten und der rasenden Abwärtsbewegung mit schrillem Jauchzen Beifall zollten, gab es nur wenige, die sich am neuen Thema der "Medienkritik" übten. Zu den Pionieren auf dem politischen Sektor gehören zweifellos Albrecht Müller und Wolfgang Lieb, die mit den "NachDenkSeiten" und Müllers Büchern (Reformlüge, Machtwahn,...) einen gewaltigen Erfolg darin erzielen konnten, ein Bewusstsein für Manipulation, Fremdeinflüsse und meinungstechnischen Einheitsbrei zu schaffen. Ihr Ziel bestand im Aufbau einer kritischen Gegenöffentlichkeit, die der Dauerbotschaft aus allen Kanälen der Massenmedien eine eigene, unabhängige Stimme entgegensetzen konnte. Auf genereller Ebene griff Stefan Niggemeier die Medien an, für Falschmeldungen, methodische Fehler und ethische Ausrutscher (oder unethische Methoden) wie im Bereich der Vermischung von Artikel und Werbung. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass sie erfolgreich waren: es gibt heute eine große Gemeinde gerade im Netz, die den Massenmedien mit prinzipiellem Misstrauen gegenübersteht und sich gegenseitig durch Verlinkung und Aufmerksammachung auf so genannte kritische Inhalte unterstützt. Die Frage, die sich nun stellt ist, ob der Erfolg vielleicht zu weit ging.
Gänzlich unberechtigt ist sie nicht. Seit mehreren Monaten stagnieren die Besucherzahlen bei zahlreichen Blogs im Netz. Es scheint, als ob die Leser größtenteils Wanderungen von der einen zur anderen Plattform vollzögen; viele Leser sind Gäste auf vielen dieser Plattformen gleichzeitig. Das ist nichts Schlimmes und an sich begrüßenswert; es ist aber ein Indikator dafür, dass das stete Wachstum der "Gegenöffentlichkeit" seit 2004 (dem Erscheinen von "Die Reformlüge") zum Stillstand gekommen ist. Ich will diesen Stillstand nutzen um kurz innezuhalten und über die Erfolge der Bewegung zu reflektieren.
Der erste, wahrnehmbarste Erfolg ist die Macht, die Blogs gewonnen haben. Die Formen der Internetkommunikation, vor gerade zwei, drei Jahren noch als völlig bedeutungslos verlacht, haben inzwischen einen gigantischen Stellenwert angenommen. Kaum ein größeres Thema kommt mehr ohne einen Artikel zu der Reaktion "des Internets" aus, und obwohl sich das meist auf platte Klischees über Twittr und Facebook beschränkt, spielen auch Blogs inzwischen eine kleine, aber feste Rolle im bundesdeutschen Nachrichtenspektrum. Gerade die Ereignisse in Norwegen zeigen, dass die Blogs - auch wenn es sich um besonders hässliche Exemplare wie "Politically Incorrect" handelt - nicht mehr wegzudenken und wegzudiskutieren sind.
Der zweite, bestreitbare Erfolg ist die Wandlung der Medien selbst. Obwohl manche dies bestreiten würden empfinde ich, dass die Medien insgesamt sich wieder deutlich zu mehr Pluralität gewandelt haben. Die einstige neoliberale Einheitsfront existiert nicht mehr, und Beiträge von Dieter Hundt oder INSM-Botschaftern liest man nur noch selten. Wenn sie doch erscheinen, wie jüngst in der FR, dann eher als Teil des Meinungsspektrums denn als Repräsentation der Mehrheitsmeinung. Die INSM ist wieder auf dem Rand des Meinungsspektrums und konstituiert es nicht mehr. Das ist ein gewaltiger Erfolg. Zeitungen wie die FTD bieten eine größere Meinungsvielfalt als je zuvor, und selbst Blätter wie Spiegel und Handelsblatt sind zu einer pluralistischeren Linie zurückgekehrt.
Diese Erfolge vor Augen stellt sich die Frage, ob die Medienfixierung, wie sie beispielsweise auf den NachDenkSeiten immer noch hingebungsvoll gepflegt wird, überhaupt noch aktuell ist. Meiner Meinung nach ist sie es nicht. Die Kritik der "Gegenöffentlichkeit" bewegt sich immer noch in den Bahnen einer groß angelegten Verschwörung, erzählt immer noch das Narrativ von den finsteren Hintermännern hinter den Kulissen der großen Verlage und natürlich der allgegenwärtigen Krake Bertelsmann, das so eigentlich nicht korrekt sein kann. Es ist zweifellos richtig dass nach den Eigentumsverhältnissen keine große Vielfalt auf dem Medienmarkt herrscht. Allerdings existieren die Medien nicht im luftleeren Raum. Der Erfolg der "Gegenöffentlichkeit" macht es unmöglich, den dummen Einheitsbrei weiter zu verbreiten, besonders seit die Finanzkrise so eindrucksvoll Fakten geschaffen hat, die nicht ohne die Gefahr zu ignorieren sind sich das Etikett "Ideologe" aufzukleben. Wie viele Menschen nehmen heute noch Hans-Werner Sinn ernst?
Wir sollten Medien mehr als das betrachten, was sie sind: eine Institution des demokratischen Staates, die nach bestimmten Regeln und Gesetzmäßigkeiten funktioniert und die auf die Bedürfnisse der Leser eingeht. Exemplarisch sei dies an zwei Beispielen verdeutlicht: - Immer wenn ein großer Skandal bekannt wird, behaupten die Menschen zwar, dass sie angewidert seien und es nicht wissen wollen - Zeitungen und Zeitschriften, die ein Titelthema daraus machen, verkaufen sich trotzdem besser als solche die es nicht tun. - Wenn irgendetwas passiert gibt es ein Bedürfnis nach Information, siehe Norwegen. Der Druck etwas zu produzieren ist unglaublich, und das Spekulieren erzeugt neuen content, wo eigentlich keiner vorhanden ist. Das kann man kritisieren, ganz ohne Zweifel, und das sollte man auch. Nur, bedauerlicherweise wird es durch das Verhalten der meisten Menschen gestützt. Es ist zwar richtig, dass die Medien Meinungen formen und verändern können - es ist aber auch im Gegenteil richtig, dass die Medien auf vorhandene Meinungen reagieren.
Letztlich sind die opportunistisch. Wir haben das stets beklagt, als sie noch den neoliberalen Dogmen folgten. Der Wind hat sich gedreht, und die Medien mit ihm. Sollte es uns gelingen, ihn irgendwann weiter in unsere Richtung zu drehen, werden auch die Medien folgen. Das ist eine regelrechte Gesetzmäßigkeit. Wir können bei aller berechtigten Kritik nicht die Regeln ignorieren, nach denen Medien in unserer Gesellschaft funktionieren. Tun wir es doch, so erschaffen wir nur eine weitere Verschwörungstheorie, die aggressiv ihre Positionen nach außen vertritt. Das ist vieles, aber "kritisch" ganz sicher nicht, und für neu hinzustoßende Personen abstoßend und unattraktiv. Wenn wir uns nicht in die lange Reihe der Sonderling-Communities einreihen wollen, die im Netz unterwegs sind, dann sollten wir anfangen wieder offener zu denken.