Alarmierende Rechenspiele
Medien liefern Fehlinterpretationen des neuen IAEA-Berichts über Iran
Von Knut Mellenthin (junge Welt)
Seit Freitag ist der jüngste Iran-Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Internet zugänglich. Nach dem Reglement der in Wien ansässigen UN-Behörde hätte das elf Seiten umfassende Dokument eigentlich bis zu seiner Behandlung auf der nächsten Vorstandssitzung am 5. März vertraulich bleiben müssen. Es ist jedoch schon seit Jahren üblich, daß die Berichte gezielt an bestimmte Personen weitergereicht werden, sobald sie fertig sind.
Die Onlineausgaben der meisten Mainstreammedien behaupteten sofort, der neue Bericht sei »alarmierend« und enthalte »schwere Vorwürfe«, wie es im Spiegel hieß. Die New York Times kommentierte hoffnungsvoll, daß der Report »wahrscheinlich die Diskussion weiter entflammen« werde, ob Iran kurz vor der Erlangung einer irreparablen Atomwaffenfähigkeit steht, wie israelische Politiker unablässig behaupten.
Hervorgehoben wurde in den meisten Medien vor allem die angeblich im IAEA-Bericht enthaltene Aussage, Iran habe seine Kapazität für die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent verdreifacht. Das steht jedoch nirgendwo in dem Papier, sondern ist das Ergebnis von fragwürdigen Rechenkunststücken. Tatsächlich nutzt Iran zur Zeit nur etwa ein Zehntel seiner installierten Gaszentrifugen, um Uran auf 20 Prozent anzureichern. Dieses wird für die Herstellung von Brennplatten für einen kleinen Reaktor in Teheran benötigt. Die Anlage wurde dem Iran noch zur Zeit der Schah-Diktatur von den USA geliefert. Dort werden Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Mit dem Rest der installierten Zentrifugen wird Uran auf 3,5 Prozent angereichert. Daraus sollen später Brennelemente für Atomkraftwerke hergestellt werden.
Überraschend oder »alarmierend« ist daran gar nichts. Daß Iran seine Produktion von 20prozentig angereichertem Uran verdreifachen will, war der IAEA längst bekannt und stand bereits im vorausgegangenen Bericht vom 8. November 2011. Als Beleg wurde damals auf eine Meldung der iranischen Nachrichtenagentur Fars vom 8. Juni 2011 verwiesen, die eine entsprechende Mitteilung des Leiters der nationalen Atomenergiebehörde, Fereydun Abbasi, wiedergab.
Die 20prozentige Urananreicherung wurde am 9. Februar 2010 in Natanz aufgenommen. Seit dem 14. Dezember 2011 wird sie auch in der neuen Anlage von Fordow betrieben, die tief unterirdisch unter einem Berg liegt. Dem jüngsten IAEA-Bericht zufolge hat Iran bis zum 17. Februar dieses Jahres insgesamt etwa 109,2 Kilo 20prozentiges Uran produziert, davon 95,4 Kilo in Natanz und 13,8 Kilo in Fordow. Das sei, wie die Mainstreammedien hastig kommentieren, fast die Hälfte der Menge, die für die Herstellung einer Atombombe benötigt wird. Die Rechnerei ist jedoch nur ein sinnloses Gedankenspiel, denn dafür müßte das Uran noch weiter auf über 90 Prozent angereichert werden. Iran will das nicht, wie immer wieder ausdrücklich erklärt wurde, und hat es auch noch nie versucht. Ob das Land die technischen Fähigkeiten dafür hätte, ist ungewiß. Es würde im übrigen sofort von den Meßinstrumenten, Kameras und Inspektoren der IAEA bemerkt werden.
Man könnte eine weitere Rechenaufgabe anschließen: Wenn Iran zwei Jahre benötigte, um die Hälfte des für eine Bombe erforderlichen Urans auf 20 Prozent anzureichern, wie lange würde er dann brauchen, um die doppelte Menge auf 90 Prozent anzureichern? Sechs Monate, sagt Israels Verteidigungsminister Ehud Barak. Der Mainstream applaudiert. Und zwei mal zwei sind mindestens sieben.