Medien, Verantwortung und der saubere Vollbart

Es muss nicht immer die Lügenpresse sein, die Un-, oder Halbwahrheiten abdruckt. Die meisten Medien, sieht man von Satiremagazinen ab, berichten durchaus seriös und nehmen sich wenigstens ein paar Minuten Zeit für die Recherche. Genau diese Recherche macht nämlich die Qualität einer Meldung aus. Wer sich mit manch einer Story beschäftigt, der stellt rasch fest, dass man wenig Möglichkeiten hat, sie zu überprüfen. Genau das sollte man aber unbedingt tun. Speziell wenn das, was man liest sich nicht mit den eigenen Erfahrungen deckt.

Studien

Es gibt tausende und abertausende wissenschaftliche Studien. Eine solche Studie zeichnet sich durch eine klare Herangehensweise und vor allem durch Transparenz aus. Eine ordentliche Studie durchzuführen kostet Zeit und Geld. Im Regelfall werden die Forscher stolz sein und das Ergebnis überall publizieren. Außer natürlich die Studie ist mit fragwürdigen Methoden entstanden, oder hat nicht das Ergebnis gebracht, das man wollte. Das kann passieren, wenn ein Unternehmen die Studie bezahlt hat. Wenn Firma Braun ihre Rasierer testen lässt, dann werden die Vergleichstests bei denen Braun den wenig ruhmreichen zweiten Platz belegt hat aus dem Drucker direkt in den Aktenvernichter transportiert. Oder man zitiert sie auszugsweise und konzentriert sich auf einen winzigen Teilbereich, in dem das Ergebnis dann doch den Erwartungen entspricht.

Enterococcus spp

Nachdem wir das Wesen und die Problematik von Studien kurz angesprochen haben, will ich, bevor ich (endlich) auf das eigentliche Thema komme, noch einen Bakterienstamm erwähnen. Enterokokken sind Bakterien, die in unserem Verdauungstrakt daheim sind. Dort verstoffwechseln sie Nährstoffe und arbeiten für uns, genauso wie der Rest unserer Darmbakterien. Neben dem Darm sind solche Enterokokken aber auch im Käse beheimatet und kommen auch in Probiotischen Lebensmitteln zum Einsatz.

Bezahlte Studie

So, nachdem wir das geklärt haben können wir uns mit dem eigentlichen Thema auseinandersetzen. Im Juli 2018 hat die Firma Fragrance Direct(UK) Unlimited, ein Versandhandel für Parfum und Aftershave eine Studie in Auftrag gegeben. Mit einem Umsatz von 27.937.087 £ und einem Gewinn vor Steuren von 576.362 £ im Geschäftsjahr 2017 ist das Unternehmen durchaus ganz erfolgreich. Ziel der Studie war es, den hygienischen Zustand von Bärten zu prüfen. Das Ergebnis findet sich in einem Artikel im Blog von Fragrance Direct, der den schönen Titel „Beard Hygiene" trägt. Es wird angegeben, dass das Microbiology Department der Manchester Metropolitan University beauftragt wurde Bärte zu prüfen. Ziel war es zu klären, welche Bakterien dort leben und ob sie ein Gesundheitsrisiko darstellen.

Enterokokken im Bart

Das erschreckende Ergebnis: In 47% der getesteten Bärte wurden Enterokokken gefunden. Das möchte ich so nicht unbedingt stehen lassen, daher habe ich mich an die Recherche gemacht. Ja, es gibt die Manchester Metropolian University tatsächlich und sie machen auch medizinische mikrobiologische Studien. Allerdings findet sich auf der Website, noch in anderen Archiven, in denen wissenschaftliche Studien üblicherweise veröffentlicht werden, eine Publikation. Eine Anfrage, die ich an die Universität gestellt habe, bliebt unbeantwortet. Man weiß also nicht, ob es die Studie wirklich gegeben hat. Hat sie tatsächlich stattgefunden, dann weiß man nicht, wie das Setup war, wieviele Probanden getestet wurden und welche Schlüsse die Wissenschaftler selbst gezogen haben. Nicht selten relativieren sie die Erkenntnisse und verweisen auf Unschärfen und die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen. Hat man, wie in diesem Fall, aber keine Studie, dann hat man auch keine Ahnung und muss sich mit dem begnügen was der Auftraggeber herausgibt.

Abschreiben

Und der Auftraggeber hat es sich ganz leicht gemacht. Im eigenen Blog hat er isoliert eine einzige Information aus der Studie wiedergegeben. Demnach wurden die Darmbakterien in 47% der Bärte gefunden. Die Bartlänge macht dabei keinen Unterschied. Danach bekommt man eine Anleitung, wie man sich nach dem Toilettengang die Hände wäscht. Rechnet man diese Zahlen hoch, dann müssen mindestens 4-5 Personen untersucht worden sein. Zwei davon hätten dann die genannten Enterokokken im Bart haben müssen um auf etwa die Hälfte zu kommen. Inwiefern diese Aussage aber wissenschaftlich haltbar ist, kann man anhand der zur Verfügung stehenden Informationen nicht sagen. Soweit so unseriös, es ist aber noch schlimmer. Die Marketing-Menschen vom Parfumversand haben offensichtlich eine ordentliche Pressemitteilung gemacht und die haben zahlreiche Medien aufgenommen und einfach abgeschrieben.

Dünnes Eis

Dabei wird, wenn überhaupt, wieder nur der Artikel im Blog des Versandhandels angegeben, in dem sich die recht dünnen Informationen finden. Dafür wurde die Aussage in Überschriften wie „Ach Du Scheiße", „Unappetitliche Studie", oder „Fäkalien in fast jedem zweiten Bart" ordentlich zugespitzt und in reißerischen Artikeln unters nichtsahnende Volk gebracht. Ich habe Artikel gefunden, die auf die Startseite der Universität verwiesen um den Eindruck einer fundierten Information zu erzeugen. Die meisten haben aber einfach auf den Blogartikel als Quelle angegeben. Gut, wenn man sich tatsächlich auf einen Blogartikel in einem Webshop für Parfum verlassen möchte, dann kann man das durchaus machen. Betreibt man eine Website auf der man so etwas ohne fundierte Quelle veröffentlichen will, dann zählt das wohl zur Meinungsfreiheit. Als mündiger Medienkonsument muss man bei solchen zwielichtigen Quellen aber genau abwägen, was man glaubt und was man kritisch anzweifelt.

Werbeaktion

Nachdem ich auf jeden Fall und Du wohl auch noch nie etwas von dem britischen Duftwasserhändler gehört haben hat die Verbreitung der Nachricht schon einmal etwas gebracht. Namhafte und vertrauenswürdige Webseiten haben einen Link auf den Blogartikel gesetzt. Über so etwas freut sich der Webmaster natürlich, denn Links sind bekanntlich Gold wert und werden je goldiger, je stärker die Seite ist, von der aus der Link gesetzt wurde. So erfreulich das alles für den Verursacher ist, so unangenehm ist das natürlich für uns alle. Wir als Bartträger wurden in zahlreichen abgeschriebenen Artikeln als unhygienisch dargestellt. Dabei liegt den Berichten wohl nicht viel mehr, als eine geschickte Marketingaktion zugrunde. Schließlich kann man beim Auftraggeber der Studie auch Bartpflegemittel, inklusive Bartseife bestellen.

These

Ich will natürlich nicht behaupten, dass nicht irgendjemand von der Manchester Metropolian University Bärte getestet hat. Trotzdem kann ich mir drei Szenarien vorstellen, die das erschreckende Ergebnis ganz einfach erklären und mir auch nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen:

  1. These: Die untersuchten Männer arbeiten allesamt bei der Städtischen Kanalreinigung von Manchester und wurden direkt am Arbeitsplatz getestet.
  2. These: Die Wissenschaftler haben das Angenehme mit dem Nützlichen kombiniert und die Proben am Set eines Pornodrehs von den männlichen Darstellern genommen. Der Titel des Streifens war wohl irgendwas mit Kaviar.
  3. These: Die Mitarbeiter der Universität Manchester haben schlichtweg verdammt dreckige Hände.

Es gibt also durchaus eine Erklärung für das Ergebnis der Studie und solange die Hintergründe nicht offengelegt werden, werden wir nicht erfahren, ob die 1., die 2., oder die 3. These zutrifft.

Vorsicht bei Bartproben

Was wir auf jeden Fall daraus lernen sollten ist, dass wir nicht unter allen Umständen jeden Wissenschaftler an unseren Bart lassen sollten. Steht man gerade bis zum Nabel in den Abwässern von Manchester, dann ist es keine gute Idee, bereitwillig einen Abstrich anfertigen zu lassen. Auch wenn das eine nette Abwechslung ist, sollte man genau hinterfragen um was es geht und was mit der Probe passiert. Im Regelfall wird sicherlich jeder von uns einen absolut bedenkenlosen Bart tragen. Seriöse Studien zeigen ja auch ganz deutlich, dass Gesichthaar aus Sicht der Hygiene einen klaren Vorteil bringt. Trotzdem tauchen immer wieder sogenannte Studien auf, die mit unseriösen Mitteln, ungeeigneten Probanden und unter unrealistischen Bedingungen entstehen. Ein mündiger Umgang mit den Medien und ein Hinterfragen solcher Meldungen sollte für jeden von uns selbstverständlich sein!


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