Der folgende Beitrag wurde bereits am 31. März 2015 als Kommentar beim Ohrfunk veröffentlicht.
Wie schon so oft ist in dieser Woche wieder der Journalismus selbst ein wichtiges Thema. Nichts ist schneller geschrieben und zusammengesetzt als die Kritik an der eigenen Zunft, schreibt ein Redakteur, und ich nehme an, er hat recht. Man kann auch Presserummel um die Presse machen, und man kann auch mit Presseschelte Geld verdienen. Das ist aber nicht der Punkt, warum man über den Journalismus nachdenken sollte.
Wenn ich eine Zeitung lese oder Radio und Fernsehen höre, dann möchte ich informiert werden. Ich möchte wissen, was tatsächlich über ein Ereignis bekannt ist, und ich möchte manchmal im Vorfeld von Veranstaltungen, Wahlen oder sonstigen politischen Verhandlungen etwas über die ausgangslage wissen. Am Ende möchte ich wissen, was dabei herausgekommen ist, und es kann auch mal ganz spannend sein, sich die Wartezeit auf ein Wahlergebnis oder eine Verhandlung mit interessanten Hintergrundberichten zu vertreiben, wenn man dabei etwas lernt. Was ich nicht brauche, das sind Brennpunktsendungen, weil es Schnee gibt, stürmt, oder weil eine Politikerschar eine Unglücksstelle besucht.
Und damit sind wir beim traurigen und unschönen Thema: Noch letzte Woche habe ich gehofft, dass die Medien sich beim Germanwings-Absturz endlich mal respektvoll und angemessen verhalten würden. Bei einigen
öffentlich-rechtlichen Medien schien es einige Stunden so, als würde es klappen. als ich selbst am Mittwoch vergangener Woche über das Gymnasium in Haltern hörte und über die Hilfsbereitschaft der Menschen in den französischen Alpen, waren die Berichte in der ARD zurückhaltend, ruhig und respektvoll, und als die Behörden meldeten, es seien keine neuen Erkenntnisse vorhanden, enthielt man sich während der kurzen Zeit meiner Zuhörerschaft jeglicher Spekulationen. Inzwischen weiß ich aber, dass es in Wahrheit ganz anders war. Es war so sehr anders, dass Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Haltern die Medien via Facebook zur Zurückhaltung aufforderten, und dass gestandene Journalisten sich von dem Berufsstand verabschiedeten, weil sie das Treiben der Kollegen nicht mehr ertragen konnten. Insbesondere das sogenannte Witwenschütteln stieß auf Kritik, bei dem man unbedingt trauernde Angehörige zeigen und Statements von ihnen erlangen will. Und als dann die Medien den vollen Namen des Unglücks-Co-Piloten der Maschine nannten und das Haus seiner Familie belagerten, da waren alle Dämme gebrochen. Seither läuft die Spekulationsmaschinerie auf Hochtouren, welche Krankheit er hatte, warum er überhaupt noch flog und so weiter. Und zunehmend gerät die Lufthansaführung ins Visier der Meute, die noch einen verurteilbaren Schuldigen sucht und sich genau auf die Menschen einschießt, die bis jetzt ihre Sache sehr gut und respektvoll gemacht haben. Und nachher werden sie Selbstkritik üben und die leere Versprechung abgeben, dass man sich nächstes mal an den Pressekodex halten werde, dass dies ein einmaliger Ausrutscher gewesen sei, wie es ihn seit Gladbeck schon häufig gab. Und sie werden sich über den Druck aus den Redaktionen und von den Shareholdern beklagen, die sie sonst als Helden der freien Wirtschaft feiern.
Das also ist Journalismus.
Aber die Medienschelte der Medien ist unehrlich. Sie ist da, weil sie ankommt, weil sie von denselben Leuten gutgeheißen wird, die vorher jedes Detail über den Absturz und den Piloten wissen wollten. Erst kauften sie die Zeitungen und hörten und sahen sie die Sondersendungen, um ihre Sensationslust zu befriedigen, und dann, um sich moralisch über die Mediengeier zu empören. Wir alle, wenn auch nicht jeder, waren es, die die Journalisten aussandten, trauernde Angehörige zu belästigen und Politikern für nichtssagende Wahlwerbestatements ein Forum zu bieten. Es sind unsere Seh- und Hörgewohnheiten, die so etwas nicht nur möglich machen, sondern geradezu erzwingen. Würde niemand eine Zeitung mit einer
Sensationsschlagzeile oder einer spekulativen Frage als Überschrift kaufen, würden die Einschaltquoten bei nichtssagenden sogenannten
Nachrichtensendungen schlagartig nach unten purzeln, wären die Klickzahlen auf den Internetseiten der Journaille gleich null, wenn sie ihren eigenen Kodex und die Menschenrechte verletzen, dann würden sich auch die Helden der freien Wirtschaft schnell umstellen. So weist bei jeder Medienschelte einiges an Fingern auch auf uns zurück.
Du hast gut reden, sagen die ernsthaften Journalisten in meinem Kopf, du bist nur blogger und musst dein Geld nicht damit verdienen. Richtig! Aber ich will verdammt sein in alle Ewigkeit, wenn ich nur dann auf Menschenrechte schwöre, wenn ich sie mir vermeintlich leisten kann. Ohne die Journalisten funktioniert die moderne Informationsgesellschaft nicht, auch nicht die informierte Demokratie. Der Journalismus, und zwar ein unabhängiger Journalismus, ist unverzichtbarer Bestandteil des Systems, in dem wir leben wollen. Doch der Journalismus ist für diese Gesellschaft eine Dienstleistung, und deshalb sollte er nicht nach marktwirtschaftlichen Gesetzen funktionieren. Der Markt ist der Tod der guten und verantwortungsbewussten Recherche. Das weiß jeder, doch es ändert sich nichts. So werden wir uns wohl darauf einstellen müssen, dass auch künftig bei sogenannten Katastrophen mehr und mehr die Grenzen der Menschlichkeit überschritten werden.