Mazungo im "Happy Matatu"...

Eigentlich wollte Mazungo ja weiter nach Lamu die wegen ihrer Ruhe, Gemächlichket und Eselskarren auf autofreier Insel gerühmt, aber als ich die Reisehinweise des deutschen Auswärtigen Amtes gelesen habe in welcher von der Busfahrt dorthin aus Sicherheitsgründen abgeraten wird und mir das auf Nachfrage beim örtlichen Reisebüro bestätigt wird, noch erwähnend, dass erst vor drei Tagen mal wieder trotz Sicherheitsleute an Bord, die Businsassen von Banditen, wahrscheinlich aus Somalia kommend, (die Grenze ist nicht mehr weit) ausgeraubt worden seien und man mir deswegen dringend dringend raten würde das Flugzeug zu nehmen, aber leider leider alle Flüge wegen den Osterfeiertagen erstens, sehr sehr teuer und zweitens, sehr sehr ausgebucht seien, so dass eine eventuell von mir gewünschte Buchung, leider leider nicht mehr möglich sei und dieses auf keinen Fall.
Natürlich nehme ich nicht den Bus, die Fahrt 4 Stunden lang, wäre wahrscheinlich nicht sehr entspannend, auch wenn nichts negatives passieren würde.
So beschliesse ich leichten Herzens Lamu zu kippen und in Anbetracht der Hotelpreise, die sich nun wegen den Osterferien zu verdoppeln scheinen, Malindi zu verlassen und wieder gen Süden zu matatuieren, zu den altbekannten Nyali Chalets hin (Motto: Come as a guest, leave as a friend, come back as a discounter) auf günstigen Übernachtungspreis hoffend.
Als ich beim Ausschecken in Malindi den Rezeptionisten und seinem Cheffe, der zufällig zugegen ist frage, wieviel denn ungefähr das Matatu nach Mombasa kosten würde, fangen beide ganz aufgeregt von den hohen Spritpreisen zu reden an, zum ersten Mal in der Geschichte Kenias sind diese nun bei 110 Schilling pro Liter angelangt, die Boda-Bodas und die Tuk-Tuks hätten gestern schon die In-Town-Fahrpreise verdoppelt (!), und bei den Matatus würden mindestens 100 Schilling zusätzlich für die Mombasa Strecke verlangt.
Auch die Supermärkte würden fast täglich die Preise hochsetzen.
Das ganze Land sei in Aufregung, die Leute unterwegs zum Lebensmitteln bunkern, vor allem Mais, welches sie für das Nationalgericht "Ugali" benötigen.
Als ich den Rezeptionisten frage, ob denn nun auch sein Gehalt steigen würde, lacht dieser und wirft seinem Boss einen kurzen scheuen Seitenblick zu, beide sind peinlich berührt, der Chef sagt nichts und legt mir die Rechnung hin.
Und tatsächlich, der Tuk-Tuk Fahrer vor dem Hoteleingang besteht auf 100 Schilling für die kaum zehnminütige Fahrt zur Hauptstrasse (das ist der halbe Tageslohn eines Wächters oder eines Zimmermädchens) und nach kurzem diskutieren gebe ich nach und steige ein.
Ich erkenne die Stadt fast nicht wieder, überall Gewusel von Menschen die verzweifelt versuchen in den kleinen Läden noch zu den alten Preisen einzukaufen und Trauben von Menschen stehen an den Tanksäulen mit leeren Kanistern, die gefüllt werden wollen.
Nicht gut, gar nicht beruhigend.
"In Uganda, they have already Unrest", meint der Fahrer und fragt mich ob ich aus Frankreich oder Italien sei, die Länder die augenscheinlich für die Misere verantwortlich gemacht werden, da sie Libyen bombardieren.
Ich kann ihn beruhigen, sage, dass Luxemburg "a little peaceful country" sei, "with no military planes at all". Dass die AWACS Überwachungsflugzeuge der Nato unter luxemburgischer Flagge registriert sind und für die Luftüberwachung über Libyen zuständig sind behalte ich mal lieber für mich.
Ich werde noch den ganzen Tag über von Kenianern gefragt werden ob ich Franzose oder Italiener sei,
für diese werden wohl demnächst unfreundlichere Zeiten in Afrika anbrechen.
Mazungo wird der erste Passagier eines haltenden Matatus, der Preis nach Mombasa sei "300 Schilling only", welches ich akzeptiere.
Als Europäer kann ich diesen 3-euro-Fahrpreis ohne mit der Wimper zahlen, aber meine stetig mehr werdenden Mitfahrer, mit dem Conductor diskutierend, versuchen verbissen durch stetiges Kopfschütteln noch zum alten Preis mitfahren zu können, aber auch sie geben irgendwann auf und steigen mit gefüllten Benzinkanistern ein, was ich ein bisschen mit Sorge betrachte weil diese fast nie Verschlüsse haben und meistens nur ein alter hereingepresster Stofffetzen als Stopf reichen muss.
Da Kenia ein ziemlich restriktives Rauchverbot hat, kommt niemand auf die Idee sich eine Zigarette anzuzünden.
Es wird an jeder Tankstelle gehalten, Stop-and-Go in drei Stunden nach Mombasa, es stinkt nach verschüttetem Kerosin aber die Stimmung ist hervorragend.
Mazungo legt seine in 47 Jahren angeeignete Zurückhaltung ab, lächelt jeden neu dazukommenden Passagier fröhlich und neugierig an und ich komme mit einigen Mitfahrer ins Gespräch.
Ich bin hin und weg von diesen liebenswürdigen, herzlichen Menschen, würde so gerne mehr über sie wissen, wo sie herkommen und warum sie in diesem Matatu sitzen, was ihre Lebensträume sind.
Eine dicke Mama, eine Sitzreihe hinter mir, erzählt mir, dass sie nach Kalifi fährt, dort einen 82-jährigen Irländer pflegt, "not very clear in his head anymore", dieser steht wohl regelmässig in der Nacht auf, erschreckt sich zu Tode weil nur Schwarze um ihn herum sind und will zurück nach Hause welches er in Dublin wähnt.
Er wird dann von Mama Afrika beruhigt und wieder ins Bett gebracht, am morgen gefüttert und gewaschen, das tut sie, ihr Name ist Grace, jeden einzelnen Werktag seit 2 Jahren, immer wieder ihrem schönen aber verpflichtendem Namen gerecht werdend und nur am Sonntag, wenn sie frei hat, fährt sie für einen Tag zur Familie um ihre Kinder zu sehen.
Aber es sei ein guter Job, meint Grace und sie hoffe, dass der "Irish Gentleman" wie sie ihn nennt, noch lange leben wird.
Die Fahrt ist anstrengend, ich sitze in der Mitte der ersten Sitzreihe, ein etwa 12 jähriger scheuer Schuljunge rechts neben mir, links von mir noch ein Vater mit zwei etwa fünfjährigen Kindern, die mich etwas ängstlich angucken, vielleicht bin ich ihr erster Weisser den sie zu sehen kriegen.
Seine Frau, die keinen Sitzplatz mehr bekommen hat, steht weiter hinten, sie hält sich vorübergebeugt an unserer Sitzreihe fest und immer wenn ich nach hinten gucke um mit Grace zu reden, sehe ich durch ihren Kleidausschnitt ihre grossen Brüste hin und her schaukeln, was nur mir peinlich zu sein scheint aber mich doch davon abhält ein Foto von meinen Mitfahrern zu machen.
Inzwischen sind 24 Personen in dem alten Nissan Hiaje hereingepresst, welches ich zwischenzeitlich "Happy Matatu" getauft habe.
Leider habe ich eine kurze Hose an (als einziger, das tut man nicht, ausser man ist am Strand oder so arm, dass man sich keine lange Hose leisten kann) und bei jedem abbremsen, bei jedem Bumper auf der Strasse kippt unsere Sitzreihe leicht nach vorn, meine Knie werden gegen scharfkantiges Blech gedrückt was weh tut, aber da der Matatu Reisende erfinderisch ist, nehme ich mein kleines Handtuch aus dem Tagesrucksack und benutze es zusammen gefaltet als Knieschoner.
In Kalifi müssen alle Mombasa Reisenden das Fahrzeug wechseln und ich überlege kurz ob ich Grace fragen soll ob ich mit ihr den Irländer besuchen könne, lasse es dann aber und wir verabschieden uns.
Der scheue Schuljunge hat mir im neuen Matatu einen Platz neben sich reserviert und als es weitergeht erzählt er mir, dass er James heisst und in Mombasa aufs Internat geht und einmal im Monat seine Mutter in Malindi besucht.
Als ich ihn frage ob er denn nicht jedes Wochenende frei hätte, meint er, ja schon, aber seine Mutter könne sich seine Fahrt nach Hause nur einmal im Monat leisten.
Er gehe sehr gerne in das Internat, zählt er weiter, er sei in englisch der Klassenzweitbeste und dann erzählt er mir von einemherren namens Thomas Cook und Mazungo muss zu seiner Schande gestehen, dass er den Namen Thomas Cook nur mit Reisebüros und Wechselstuben in Verbindung bringen kann und nimmt sich vor bei Gelegenheit mal Wikipedia zu konsultieren.
Der scheue James, inzwischen nicht mehr so scheu, erzählt weiter von Nottingham Forest, hier kann ich mitreden und versuche Robin Hood einzubringen, aber zu meinem grössten Erstaunen hat James noch nie von Robin Hood gehört was damit zusammen hängen könnte, wie ich später durch googeln erfahren muss, dass der berühmte Bogenschütze und König der Diebe, im Sherwood Forest sein Unwesen trieb und der Nottingham Forest wohl ein berühmter englischer Fussballclub ist.
Aha, ein kleiner Generationskonflikt, aber jeder 12-jährige sollte Robin Hood kennen, findet Mazungo, wobei nicht jeder 47-jährige alle englischen Fussballclubs mit Namen wissen müsse.
Schon halten wir in Nyali beim Nakumatt Shoppingcenter, ich verabschiede mich von James per Handschlag und meine Tasche, die vor drei Stunden, in dem anderen Matatu noch meinen Blicken entzogen wurde, taucht wie selbstverständlich, was es in Kenia wahrscheinlich auch ist, wieder auf und Mazungo winkt noch kenianisch unüblich, aber aus der Sicht eines freudig gerührten Ausländers verständlich, dem Happy Matatu hinterher, setzt sich dann auf den staubigen Gehweg, um sich, unter den erstaunten Blicken der vobeieilenden Passanten, seine blutenden Knie zu verbinden.
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