Schon lange bevor Maupassant zum gefeierten Schriftsteller avancierte und seine Werke zu den meistgelesenen Klassikern der Weltliteratur zählten, hing der junge Dichter und Autor mit den Großen seiner Zeit rum, würden junge Literaturfans heute sagen.
Bereits in Jugendtagen schrieb Maupassant wie besessen Gedichte und interessierte sich im Grunde ausschließlich für Natur, Literatur – und Frauen. Sein Weg zum gesellschaftlich anerkannten Autor war lang und mit vielen Niederlagen verbunden.
In seinem biografischen Roman „Maupassant“ zeichnet Arne Ulbricht die Lebensstationen des Dichters, Bohemien, „Dandys und Fauenhelden“ nach, portraitiert fast lapidar „legendäre“ Vorbilder und Weggefährten. Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben nicht um eine wissenschaftliche Biografie, sondern um eine Fiktion mit biografischem Anspruch:
„Das führt dazu, dass alle erwähnten Orte und alle namentlich erwähnten Personen tatsächlich existiert und in Guy de Maupassants Leben eine Rolle gespielt haben“, so der Autor in seiner Vorbemerkung.
Dass Arne Ulbricht Guys Lebensgeschichte nicht chronologisch erzählt, ist dagegen künstlerische Freiheit. Ums vorweg zu nehmen: die Kombination aus Quellenstudium und Fiktion ist in diesem Fall äußerst gelungen, recherchierte Fakten und eigene Dichtung fügen sich stimmig, wie aus einem Guss zusammen.
Arne Ulbrichts Hingabe ans Thema Maupassant geht dabei weit über die fast komplette Werk- und Quellen-Kenntnis hinaus: „Ich habe zum Beispiel in Cannes im Hotel übernachtet, in dem Maupassant versucht hat, sich umzubringen, und das war vielleicht der merkwürdigste Moment, den ich je erlebt habe“, so Arne Ulbricht.
„Ich habe in Rouen in der Bibliothek seine Manuskripte gesichtet und gesehen, wie er geschrieben hat. Die Tinte wurde an verschiedenen Stellen blasser, und ich wusste: Jetzt hat er die Feder wieder eingetaucht. Das hat dazu geführt, dass ich die gesamte Rohfassung mit Feder geschrieben habe und auch die erste Fassung meines aktuellen Romans mit Feder schreibe. Das ist toll!“
Diese Durchdringung ist wohl der Grund dafür, dass Ulbricht so gekonnt den Bogen schlägt, vom Strand in Eretrat, wo Guy de Maupassant seine wilden und freien Kindertage verbringt bis zu den Pariser Salons, in denen er als Erwachsener um literarische Aufmerksamkeit ringt.
Als „Naturbursch“ und aufgewachsen ohne Vater, fällt es dem jungen Maupassant von Anfang an schwer, sich gesellschaftlichen Normen zu fügen. Lieber erkundet er umliegende Wälder und felsige Küsten, klettert in Höhlen, lauscht stundenlang den abenteuerlichen Geschichten der Fischer oder seiner Mutter, die ihm Romane vorliest.
Um so dramatischer wird sein Eintritt ins katholische Seminar nach Yvetot, ein Internat, das Guy als Hölle auf Erden empfindet, und das er schließlich wegen umziemlichen Verhaltens verlassen muss. Er entsprach eben nicht den ländlichen Moralvorstellungen seiner Zeit.
Recht früh, mit 17, lernt Guy de Maupassant den berühmten Gustave Flaubert, Autor von Madame Bovary, kennen. Guys Mutter hatte den Kontakt vermittelt und der wohlwollende Flaubert wird zuerst Guys Mentor, später väterlicher Freund und Vertrauter. Flaubert ist es auch, der Guy eines Tages rät, sich weniger mit Huren zu vergnügen und statt dessen mehr zu schreiben.
Nach dem Rauswurf aus dem Internat, besucht Guy in Rouen das Lycée Impérial wo er im letzten Schuljahr mit einem Gedicht über Karl den Großen einen ersten Achtungserfolg vor Publikum erzielt. Er selbst ist fasziniert von den Gedichten Bouilhets und tatsächlich lernt er den Dichter persönlich kennen, der für ihn zum ersten Mentor wird.
Kurz vor Guys Schulende, stirbt Bouilhet – sein Tod schweißt Guy und Flaubert enger zusammen. Guy war noch keine 20 und stand kurz vor Beginn seines Studiums, als Frankreich Preußen den Krieg erklärt. Für unzählige Männer und auch für Guy de Maupassant beginnt eine Zeit voll Grausamkeit und Entbehrungen.
Um dem Krieg endgültig zu entkommen, bricht Guy de Maupassant auf Anraten seines Vaters das Studium ab und nimmt eine Stelle im Marineministerium an, wo der geborene Nicht-Bürokrat schnell kreuzunglücklich wird. Trotzdem wird er dort viele Jahre arbeiten.
Ausgleich findet Maupassant nicht nur durch sein exzessives Sexualleben sondern auch durch tagelange Ruderpartien auf der Seine: mit alten Freunden aus Internatszeiten und neuen Freunden aus Paris genießt Guy salzige Luft, Sonne, Mond und das Gefühl von Freiheit.
Nach Lust und Laune macht die Bande junger Männer am Ufer Halt, rudert zur Badeanstalt, besucht schwimmende Cafés – in denen man sich Renoirs Frühstück der Ruderer vorstellen kann – oder holt attraktive Damen ins Boot.
Auch die Besuche bei Flaubert und der literarische Austausch mit Turgenew, Goncourt und Zola ist Balsam für seine geschundene Seele. Zwischendurch schreibt Maupassant eigene Gedichte, Dramen und Novellen, hofft auf Veröffentlichungen in renommierten Zeitungen.
Dabei fühlt er sich weder den Naturalisten noch den Impressionisten noch sonstigen Schulen und Regeln verpflichtet: „Ich will …vor allem keine affigen Wörter erfinden oder aus irgendwelchen uralten Texten längst ausgestorbene Begriffe ausgraben, damit mein Text nach großer Kunst klingt“, beschließt Guy de Maupassant lobenswerter Weise für sich.
„Und irgendjemanden imitieren will ich erst recht nicht. Ich möchte…mit exakt ausgewählten Verben und Adjektiven in wenigen Sätzen möglichst viel zum Ausdruck bringen. Und diese Sätze sollen nicht…exotisch sein, sondern auf einfache Art schlicht und schön.“
Dann eine erste Veröffentlichung, Anfang 1875 – eine Novelle. „Und es war ein befriedigendes Gefühl die eigene Geschichte endlich gedruckt zu sehen“, empfindet der Autor, obwohl er längst nach Veröffentlichungen im Figaro oder des Gaulois schielt.
Und während Zola einen Erfolg nach dem anderen feiert, verschiebt sich der endgültige Durchbruch bei Maupassant von Jahr zu Jahr…Als der Gaulois 1878 tatsächlich ein Gedicht Maupassants auf der Titelseite bringt und ihm eine „brillante Karriere“ voraus sagt, lebt dieser bereits mit der Diagnose Syphilis und ständigen Migräneattacken. Ein Schicksal, das er mit vielen Zeitgenossen teilt.
Im Herbst des selben Jahres dämmerte Guy in einem Zustand vor sich hin, „der Formen einer schweren psychischen Störung annahm“ – hier schließt sich bereits für den Leser der Kreis, denn der Roman beginnt mit eindrücklichen Szenen vom Endstadium der Krankheit.
Trotzdem: Guy de Maupassant erlebt in den letzten Kapiteln – ob fiktiv oder nicht – die Pariser Weltausstellung, bei der zum ersten Mal die Glühbirne vorgestellt wurde, wechselt vom Marineministerium ins Bildungsministerium, veröffentlicht ein Theaterstück und begeistert schließlich ein Publikum das „Zola verschlang und noch immer Hugo las“.
Wegen eines alten Gedichtes erhält Guy de Maupassant auch eine Anzeige wegen „Verletzung der öffentlichen Sitten und Moral“ – mit Hilfe eines offenen Briefes von Flaubert den die Redaktion des Gaulois ungekürzt auf der Titelseite bringt, entzieht sich Maupassant nicht nur einem Verfahren, auch die öffentliche Aufmerksamkeit ist ihm sicher.
Schon Zola war davon überzeugt, man müsse es machen wie sein Freund Manet, der seinen großen Ruhm – wie es scheint – vor allem seinen skandalösen Bildern und Aktionen verdankt. Gemeinsam mit Zola, Huysmanns, Céard, Hennique und Alexis veröffentlich Guy einen Novellenband und sein Beitrag „Boule de suif“ ging als eindeutiger Liebling der Kritik hervor.
Von einem Meisterwerk ist die Rede und das Publikum müsse sich darauf einstellen, dass das Erscheinen von Maupassants Gedichtbandes ein „literarisches Ereignis“ werde. „Nach zähem, oft zermürbendem Kampf war der Erfolg über Nacht über ihn herein gebrochen, als hätte er keinen weiteren Tag mehr warten können“, schreibt Arne Ulbricht.
„Ein Kritiker, der sich ausschließlich dem Gedichtband gewidmet hatte, hatte ihn gar als einen der größten zeitgenössischen Dichter bezeichnet.“ Gemessen an Guys Gesundheitszustand, kam der Druchbruch wirklich keine Minute zu früh: nach dem Flaubert einem Schlaganfall erlag, verschlechterte sich auch Guys Befinden rapide und eines Morgens konnte er nicht mehr aufstehen.
Ein dreimonatiger Sonderurlaub den er mit seiner Mutter auf Korsika verbringt, fühlt sich an wie der Abschied vom Ministerium, und Arne Ulbricht überlässt es der Fantasie seiner Leser, in welchem Maß Guy de Maupassant seine Popularität noch genießen kann, bevor ihn treue Gefährten am Ende ihrer Kraft in einer Zwangsjacke und geistig umnachtet in eine Pariser „Einrichtung“ bringen.
„Maupassant“ ist so vielfältig wie dessen Werk selbst und kann sowohl für Literaturfans, als auch für Kunstliebhaber, Biografie- und Historienfreunde erhellender Lesegenuss sein, vorausgesetzt, man lässt sich durch einige verstörende Anfangsszenen und ein paar zotige Begrifflichkeiten nicht abschrecken . Dank umfassender Recherche und fiktiver Elemente, dürften auch Maupassant-Kenner ihre Freude an der Neuerscheinung aus dem Klak-Verlag haben.
Arne Ulbricht „Maupassant“, 246 Seiten, Klappenbroschur, 16 Euro 90, Klak Verlag