Der Saal des Sempderdepots ist nur schwach erleuchtet. 12 niedrige Podeste hinter denen jeweils elektronisch präparierte Pianos stehen rhythmisieren den Raum. Das Publikum findet an diesem Abend keine Sitzplätze vor, sondern bewegt sich nach Lust und Laune im Raum. „Freie Platzwahl“ ist somit wörtlich zu nehmen. „Maschinenhalle #1“, so der Titel der Veranstaltung, tut ihrem Namen alle Ehre. Wer sitzt schon im Theatersessel in einer Maschinenhalle! Nachdem die 12 Tänzerinnen und Tänzer ihre Plätze auf je einem Podest eingenommen haben, markieren wenige harte Klavierakkorde den Beginn der Vorstellung. So, als wollten sie sich einzeln präsentieren, beginnt das Ensemble nacheinander auf den Kupferplatten, die auf den Podesten liegen und die mit den Pianinos verkabelt sind, mit seinen Schrittkombinationen. Und jeder dieser Schritte löst Klavierklänge aus. Oder tanzen sie zu der elektronisch gesteuerten Musik?
Maschinenhalle #1 (c) Franz Zotter
Christine Gaigg (Choreografie), Bernhard Lang (Musik), Winfried Ritsch (Technik) und Philipp Harnoncourt (Licht) zeichnen für diese Produktion verantwortlich. Im Vorjahr als Auftragswerk vom Steirischen Herbst entstanden, produziert das Werk an diesem Abend in Wien neben der Performance selbst eine Flut von Gedanken. Egal, welchem Rhythmus sich die Agierenden gerade hingeben, ob langsam, beschaulich oder stakkatomäßig in einer atemlosen Hetze, das Publikum gruppiert sich ballungsartig um diejenigen, die gerade dabei sind aktiv zu sein. Kegelscheinwerfer erleuchten die ProtagonistInnen abwechselnd und sorgen so zusätzlich für den Publikumsfluss im Raum, der den Lichtreizen folgt. Getanzt wird zu Klängen, die zuvor in die Musikmaschinen eingespeist wurde, ohne Rücksicht auf die anderen TänzerInnen im Raum. Jede und jeder agiert für sich und dennoch ähnelt sich ihre Choreografie. Auf Bildschirmen wird angezeigt, wie oft eine bestimmte Bewegung wiederholt werden muss und es wird einem bei den angezeigten Zahlen schwindelig. Wenn von 300 auf 0 heruntergezählt wird, dann weiß nicht nur die Company, dass jetzt harte Arbeit auf sie zukommt. Maschinengleich wiederholen die Akteurinnen und Akteure ein bestimmtes Bewegungsmuster bis endlich – man empfindet es beinahe als Erlösung – zwei von ihnen menschliche Regungen zeigen. Sie sacken in sich zusammen, fallen dramatisch auf den Boden, um im selben Moment jedoch wieder emporzuschnellen, um sofort darauf wieder und wieder zusammenzufallen und wieder und wieder aufzustehen. Selbst der Erschöpfungszustand gerät zur replizierbaren Aktion ohne Erlösungsgnade.
Die Poesie der Musik in den langsameren Passagen steht im harten Kontrast zu jenen Teilen, in denen die Taktzahl so erhöht wird, dass das Unisono-Stampfen der Tänzerinnen und Tänzer nicht nur Produktionsassoziationen zulässt, sondern schon fast martialisch wirkt. Und doch kann man den Menschen eine gewisse Lust an ihrem Tun nicht absprechen. Es ist offenkundig schön, produktiv zu sein, sich einzubringen in ein größeres Ganzes, sein Bestes zu geben, bis zum Umfallen. Viele aus dem Publikum mag dabei wohl ein mulmiges Gefühl beschlichen haben, zu sehr sind Parallelen zur heutigen Arbeitswelt offenkundig, die von den meisten als Hamsterrad empfunden wird, in dem man zu funktionieren hat.
Der Kunstkniff, das Publikum als Teil des Geschehens einzubinden, quasi als Beobachter, wenn nicht sogar als Überwacher der „Menschmaschinen“ funktioniert. Es erhält die Möglichkeit, sich als Teil des Geschehens zu fühlen und dennoch erhält es die Chance, dabei zu reflektieren. Über die eigene Rolle in dieser Vorstellung, aber noch mehr über die eigene Rolle im Arbeitsprozess, in den es eingespannt ist. Die kleine, begrenzte Aktionsfläche, auf der jeweils getanzt wird, lässt keinen großen Spielraum für Individualität zu. Umsomehr wird jede einzelne Bewegung, die von den am Nachbarpodest Tanzenden abweicht, schon als kleine Sensation gewertet. Die Macht der Gruppe wird nur dort spürbar, wo alle zugleich im selben Schrittrhythmus agieren. In diesen Momenten generiert die Masse zur Macht, obwohl es nur 12 Menschen sind, die diese Masse bilden. Masse und Macht sind nicht im Sinne Canettis zu verstehen, sondern, obwohl das Lustprinzip auch hier eine gewisse Rolle spielt, eher in der Macht der Produktion durch und für die Massen.
Ein Abend, der neben den körperlich extrem anstrengenden und dadurch bewunderungswürdigen Repetitionen reichlich Gelegenheit bot über unsere eigene Rolle in der Produktionsgesellschaft aber auch über die derzeitige Pervertierung von Konsum und dessen Auswirkungen auf das Individuum nachzudenken.
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